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Berlin: „Bei uns bleibt niemand sitzen. Man bekommt den Gaststatus“

Seit Pisa hat man schwarz auf weiß, dass unser Schulsystem kaum im Stande ist, Nachteile aus sozialer Herkunft auszugleichen. Das belegen auch die katastrophal hohen Abbrecherquoten von ausländischen Schülern: etwa jeder dritte.

Seit Pisa hat man schwarz auf weiß, dass unser Schulsystem kaum im Stande ist, Nachteile aus sozialer Herkunft auszugleichen. Das belegen auch die katastrophal hohen Abbrecherquoten von ausländischen Schülern: etwa jeder dritte. Woran liegt das?

Auch schwache Schüler brauchen Erfolgserlebnisse. Gerade Hauptschüler haben beim Schulwechsel schon sechs Jahre negative Erfahrungen hinter sich. Sie sind in der Grundschule nie mitgekommen, oft verhaltensauffällig gewesen. Ohne Motivation kommen sie auf die Hauptschule. Dort ist von elementarer Bedeutung, ihnen Selbstbestätigung vermitteln. Gelingt das nicht, bleiben sie früher oder später weg. Dazu kommt: Manche brechen gar nicht von sich aus die Schule ab, sondern werden schlicht nie versetzt. Wenn ein Schüler zum dritten Mal in die siebte Klasse kommt was soll er machen?

Auch deutsche Schüler kommen zuweilen über Jahre nicht mit. Dennoch brechen sie nicht so häufig ab. Warum?

Ohne es verallgemeinern zu dürfen: In der Tendenz kommen mehr ausländische Kinder aus unserer Bildung fernen Familien. Immer wieder kommen etwa Roma-Kinder zu uns, die in der ersten Generation sesshaft sind. In diesen Familien war vor ihnen nie jemand auf einer Schule. Auch in türkischen Familien hat schulische Bildung häufig nicht den Stellenwert, den sie haben sollte...

Ist das Hauptproblem nicht das der mangelnden Sprachkenntnisse?

Das kommt erschwerend hinzu. Wer dem Unterricht schon deshalb nicht folgen kann, weil er ihn nicht versteht, schaltet schon lange vor der Oberschule ab. Deswegen muss auch an den Grundschulen viel mehr Wert auf Sprachförderung gelegt werden. Jedes Kind hat ein Recht darauf, dass es gefördert wird, bis es die Sprache beherrscht.

An Ihrer Schule liegt die Abbrecherquote unter zehn Prozent. Was machen Sie anders?

Wir bemühen uns, jeden Schüler individuell zu fördern, aber auch zu achten. Wir arbeiten intensiv an den Deutsch-Kenntnissen. Wenn es in einer freundlichen Atmosphäre geschieht, lassen sich Schüler übrigens auch korrigieren. Dazu kommt: Bei uns bleibt niemand sitzen. Wer formell nicht versetzt wird, bekommt in der höheren Klasse einen „Gaststatus“. Kriegt er dort die Kurve, wird er nachversetzt. Gerade wenn Schüler das Ende absehen, setzen sie oft enorme Energien frei, um doch einen Abschluss zu bekommen.

Vor wie nach Pisa stehen Hauptschulen nicht gerade im Zentrum der Aufmerksamkeit. Fühlen Sie sich allein gelassen?

Hauptschulen werden faktisch nur gebraucht, damit die „besseren“ Schulen ungestört arbeiten können. Ein wirtschaftliches Interesse daran besteht kaum. Aber: Immer mehr Hauptschulen beschreiten aus eigener Kraft neue Wege, von denen andere Schulen lernen könnten.

Das Gespräch führte Jeannette Goddar

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