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Berlin: „Beim Tempodrom hätte man die Reißleine ziehen müssen“

SPD-Fraktionschef Michael Müller will aus der Affäre um den Kulturbau Konsequenzen ziehen – und damit Vertrauen zurückgewinnen

Staatsanwälte ermitteln gegen SPDPolitiker wegen des Verdachts der Untreue und Vorteilsannahme. Erwarten Sie eine Anklage?

Nein. Die Sachverhalte, mit denen sich die Staatsanwaltschaft befasst, bieten keinen Anlass für solche Spekulationen. Es gibt auch keinen Zusammenhang zwischen dem Wahlkampf-Sponsoring für die SPD und der Finanzierung des Tempodroms.

Müssen Senatoren, etwa der SPD-Landeschef Strieder, personelle Konsequenzen ziehen?

Auch das erwarte ich nicht. Natürlich hätte man früher die Reißleine ziehen müssen statt die Kulturmacher im Tempodrom einfach gewähren zu lassen, die mit dem Management des Wirtschaftsbetriebs überfordert waren. Daraus muss man für die Zukunft Konsequenzen ziehen.

Hätte es sinnvolle Alternativen gegeben?

Man hätte der Tempodrom-Betreiberin Irene Moessinger sagen können: Du bekommst einen neuen Standort und kannst dort das alte Zelt wieder aufbauen. Oder man hätte in Kreuzberg einen kleinen, hübschen Veranstaltungsbau für deutlich weniger Geld hinsetzen können. Ohne Dachkonstruktion in Zeltform, ohne angeschlossenes Schwimmbad.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der verunglückten Tempodrom-Finanzierung für andere schwierige Projekte?

Nehmen wir die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM). Die Marke muss in irgendeiner Form für Berlin erhalten bleiben. Das blaue Zepter darf nicht verschwinden. Es ist ein Kulturgut dieser Stadt. Aber der Wirtschaftsbetrieb KPM kann sich offenbar nicht aus eigener Kraft tragen. Eine Dauersubventionierung der KPM kommt also nicht in Frage. Entweder kauft jemand den Betrieb oder wir versuchen, aus einer Insolvenz heraus einen kleinen, harten Betriebskern zu erhalten.

Die Topographie des Terrors ist auch so ein Sorgenkind…

…da stehen wir ebenfalls am Scheideweg. Es darf keine Bauruine stehen bleiben, aber die Topographie muss nicht unbedingt das werden, was uns der Architekt Zumthor vorgelegt hat. Seit zehn Jahren geht es hin und her, seit drei Jahren steht die Baustelle still. Wenn nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden kann, dass sich die Baukosten weiter nach oben entwickeln, plädiere ich für ein anderes Konzept. Für einen bescheidenen Bau, der vernünftig aussieht und in dem die Topographie-Stiftung arbeiten kann, der aber nicht der Selbstverwirklichung eines Architekten dient.

Es sieht so aus, als wenn die rot-rote Koalition mit ihren vielen Baustellen überfordert ist.

Alle diese Baustellen wurden nicht in den letzten zwei Jahren eingerichtet. Sie sind viel älter, aber sie werden von dieser Koalition nach und nach abgearbeitet.

Auch beim staatlichen Krankenhausbetrieb Vivantes und der Charité droht neues Ungemach.

Die Charité hat mit Herrn Ganthen einen neuen Vorstandschef, der die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Probleme des Klinikums stemmen kann. Vivantes leidet immer noch an einem Geburtsfehler: Die Krankenhäuser mussten mit hohen Schulden starten und sollten mit dem Verkauf von Grundstücken ihre Verbindlichkeiten abbauen. Bei der schlechten Situation auf dem Immobilienmarkt ist das nicht möglich. Auch da müssen wir einen Schnitt machen. Entweder wird Vivantes entschuldet, und die Tarifprobleme für die Beschäftigten werden gelöst, um finanziell auf eigenen Füßen stehen zu können. Oder es droht die Insolvenz, und wir müssen uns von einzelnen Häusern oder Fachbereichen trennen und diese an Private vergeben.

Komplett verkaufen wollen Sie Vivantes nicht?

Das haben die Grünen vorgeschlagen. Die sind ja nun auf dem FDP-Trip und wollen alles privatisieren. Das sehe ich bei Vivantes anders. Es muss ein öffentliches Angebot für die Gesundheitsversorgung wenigstens im Kern bestehen bleiben. Auch um die Krankenkassenbeiträge niedrig zu halten.

Wenn wir schon beim Privatisieren sind. Wird das Wohnungsunternehmen GSW verkauft oder nicht?

Es wird zu Wohnungsverkäufen kommen. Das kann die GSW sein. Es kann aber auch sein, dass wir anstatt der GSW gestückelte Wohnungsbestände aus verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften verkaufen. Bei der GSW erwartet die SPD-Fraktion zum Beispiel – neben einem hervorragenden Kaufpreis –, dass der Käufer einen Teil der Wohnungen an die Mieter weiterveräußert. Eine zweite Frage ist: Engagiert sich der neue Eigentümer für die Stadt? Für das Wohnumfeld, für Schulen und Kindertagesstätten. Oder will der Investor aus der GSW nur den größtmöglichen Ertrag herausziehen?

Wann fällt die Entscheidung?

Vor der Sommerpause.

Die Koalition könnte demnächst auch wegen einer zweiten Verfassungsklage gegen den Landeshaushalt in die Klemme geraten.

Ich glaube nicht, dass es im Doppelhaushalt 2004/05 juristisch gesehen Punkte gibt, an denen die Opposition ansetzen kann. CDU und FDP werden aber nicht so dumm sein, aus rein politischen Gründen zu klagen. Was wollte die Opposition damit für Berlin erreichen? Das ist mir völlig schleierhaft.

Mit einer erfolgreichen Klage wäre erneut der Beweis erbracht, dass Rot-Rot keinen ordnungsgemäßen Haushalt vorlegen kann.

Wenn der Opposition dieses parteitaktische Ziel reicht, soll sie diesen Weg gehen. Sie wird aber scheitern.

Wenn die Opposition doch Erfolg hätte? Wäre dann die Klage Berlins vor dem Bundesverfassungsgericht auf Sanierungshilfen des Bundes gefährdet?

Zumindest würde dies unsere Position in Karlsruhe nicht erleichtern.

Die Berliner SPD hat in den letzten Wochen ordentlich Federn lassen müssen. Wie wollen Sie aus dem Stimmungstief herauskommen?

Die Gründe für die schlechten Meinungsumfragen sind der negative Bundestrend und die harten Entscheidungen, die diese Koalition in Berlin treffen musste. Die Diskussion um das Tempodrom hat den negativen Trend sicher noch verschärft. Aber nach der Verabschiedung des Doppelhaushalts werden wir mehr Luft haben, um uns bis zum Ende der Wahlperiode 2006 anderen politischen Schwerpunkten zuzuwenden.

Und das führt zu besseren Umfragewerten?

Ja. Unser Problem ist doch, dass viele Menschen gegenwärtig glauben, dass wir mit dem harten Sanierungskurs immer nur die Falschen treffen. Für viele Berliner ist die Grenze des Zumutbaren erreicht. Gerade bei den unteren Einkommensgruppen geht nichts mehr. Die SPD muss genau prüfen: Was kann man wem an Belastung zumuten? Dass wir auch die höheren Beamten und Immobilieneigentümer mit der Sparpolitik treffen, wird oft nicht gesehen. Es geht auch um Gerechtigkeit.

Was wollen Sie denn anbieten, damit die Leute sagen, die SPD ist toll?

Die SPD muss deutlich machen, mit welchen Stärken der Stadt wir in die nächsten 10, 15 Jahre gehen wollen. Mit der Kultur, mit den touristischen Angeboten und der Wissenschaftsförderung. Darüber muss eine wirtschaftliche Entwicklung in Gang gesetzt werden, die Arbeitsplätze schafft.

Das hat Rot-Rot bisher versäumt?

Durchaus nicht. Aber es gab seit 2001 schwerpunktmäßig andere Dinge, die viel Kraft und Zeit gekostet haben. Harte finanzpolitische Entscheidungen muss man eben zu Beginn einer Wahlperiode treffen, sonst schafft man es nicht umzusteuern.

Es fällt auf, dass sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit aus den aktuellen Konflikten elegant heraushält.

Es war die alte Krankheit der Berliner SPD, interne Diskussionen regelmäßig in die Öffentlichkeit zu tragen. Das haben wir überwunden. Sie können sicher sein, dass der Regierende Bürgermeister koalitions- und parteiintern sehr deutlich sagt, wo es langgeht.

Das Gespräch führten Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach.

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