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Berlin: Bekenntnisse eines Kleinverlegers

Siegfried Heinrichs erkannte früh die literarische Bedeutung Sándor Márais – doch sein Spürsinn brachte ihm noch nicht viel ein

Jeden Tag sitzt Siegfried Heinrichs in dieser Neuköllner Pizzeria, um zu essen, zu arbeiten, Verträge auszuhandeln. Heinrichs ist Verleger. Das heißt, seit gut zwanzig Jahren ist er der Oberbaum-Verlag, ein Ein-Mann-Unternehmen. Dass er ein Gespür hat für Autoren, verrät das Verlagsprogramm: eine eindrucksvolle Liste von Dissidenten-Literatur. Die Entdeckung Sándor Márais allerdings, den vermeintlichen Glücksgriff, „den bereue ich heute“. Heinrichs sitzt an einem seiner Stammtische. Vollbart, rundliches, knautschiges Gesicht, hohe Stirn.

Mitte der Neunziger ruft ihn der Übersetzer Hans Skirecki an. Er habe ein grandioses Buch gelesen. „Besorgen Sie sich die Rechte!“ Skirecki meint Márais autobiografischen Roman „Die Bekenntnisse eines Bürgers“. Heinrichs liest das Manuskript und ist begeistert. Es ist eine Chance. 1986 hat er den Verlag übernommen. „Die machten damals Bücher von Stalin und Mao, aber keine Literatur.“ Zehn Jahre hat er nebenbei Bücher gemacht, war hauptberuflich Lagermeister in einem Kreuzberger Armaturen-Werk. Er kauft die Deutschland-Rechte für Márais autobiografisches Werk und die Briefe, „für gerade mal 2000 D-Mark“. 1996 erscheinen die „Bekenntnisse eines Bürgers“, Startauflage 500 Stück. Das Ergebnis ist noch bescheidener. Oberbaum verkauft kaum ein Buch, die Kritik ignoriert Márai.

Drei Jahre später, Herbst 1999. Márais neu aufgelegter Roman „Die Glut“ und der Autor werden als sensationelle Wiederentdeckung gefeiert. Bald fehlt Márai in keiner Bestseller-Liste. Pech für Heinrichs: Der Roman ist bei Piper erschienen, einem Großverlag, der sich die weltweit gültigen Rechte an Márais Romanen gesichert hat. Gut für Heinrichs: Seine Rechte können viel Geld wert sein jetzt, da Márai so bekannt ist.

Binnen weniger Monate gibt Heinrichs die Tagebücher in sieben Bänden heraus, dazu die autobiografischen Romane „Bekenntnisse“ und „Land, Land“. An Piper verkauft er die Lizenz, diese Bücher als Taschenbuch nachzudrucken. Die Feuilletons würdigen die Oberbaum-Titel mit teils hymnischen Kritiken.

Wenn er davon erzählt, faltet Siegfried Heinrichs die Hände unter seinem Bauch. Er wirkt dann unberührt von der Tatsache, dass ihm die Begeisterung für Márai letztlich nichts gebracht hat. Ein Buch muss etwa 5000 Mal über die Ladentische gehen, sonst gilt es als Flop. Keiner von Heinrichs’ Márai-Titeln hat diese Marke erreicht. Piper dagegen hat die gleichen Titel, als Taschenbücher, nach eigenen Angaben über eine Million Mal verkauft. Oberbaum habe nicht rechtzeitig ausgeliefert, als die Nachfrage groß war, sagen einige Buchhändler. Heinrichs sagt, große Verlage hätten mehr Geld für Werbung. „Sie kommen leichter in die Auslagen der Läden, werden besser wahrgenommen.“ Wirklich erklären kann man die große Diskrepanz zwischen Riesen- und Misserfolg damit aber nicht. Sagt auch Ulrike Buergel-Goodwin, Pipers Taschenbuch-Chefin. „Eine tragische Geschichte.“

Könnte sein, ihr Verlag hat künftig alle Márai-Rechte in Deutschland. Heinrichs will verkaufen, Piper ist interessiert. Einen fünfstelligen Eurobetrag könne Heinrichs bekommen, schätzen Branchenkenner. Ob es so kommt, entscheiden die Márai-Erben in Kanada. Nur unter dieser Bedingung bekam Heinrichs die Rechte.

Marc Neller

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