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Berlin: Bekenntnisse eines Unsportlichen

Jim Avignon hat ein Riesen-Kunstwerk fürs Stadion entworfen. Dabei ist er kein Fan von Leibesübungen

Es wird wohl eines der größten Bilder der Welt werden: Rund 3000 Quadratmeter soll das Kunstwerk messen, das der Künstler Jim Avignon für das renovierte Olympiastadion entworfen hat. Sechs jeweils zweiteilige segelförmige Stoffbahnen, die bei der Eröffnungsveranstaltung von Sportlern auf dem Rasen ausgebreitet werden sollen. Der Auftrag lautete: Das neue Stadion in all seinen Funktionen zu spiegeln, von der Fußball- und Leichtathletik-Arena über den Ort für Musikveranstaltungen bis zum Wahrzeichen Berlins. Avignons Antwort: Er entwirft, in seinem typischen popbunten Stil, sechs Figuren, deren Köpfe als eigenes Stoffteil beweglich sind. Wie bei einem Kinderspiel lassen sie sich im Kreis von Rumpf zu Rumpf verschieben, der verbissen zähnefletschende Fußballspieler zur lächelnden Pop-Diva, die blonde Joggerin zum freundlichen Berliner Bär.

Eine spielerische Antwort auf den Ernst der Eröffnungsstunde, aber auch ein kritischer Kommentar auf die Monumentalität des Ortes, dessen Vergangenheit als Austragungsort der Olympischen Spiele 1936, so Avignon, man niemals vergessen könne. Ort wie Auftrag sind dem Künstler eigentlich denkbar fremd: Er sei zur Vorbereitung im Juni zum ersten Mal im Olympiastadion gewesen, bekennt Jim Avignon freimütig. Kein Fußballfan aus dem Herthablock also. Denn: „Ich bin eigentlich sehr unsportlich.“

Das jedoch war nicht sein größtes Problem. Ein gewisses Grund-Unbehagen ist dem Künstler überhaupt anzumerken, nicht nur ob der Größe des Auftrags. Jim Avignon sitzt in der Kreuzberger Ankerklause und grübelt: „War es wirklich richtig, den Auftrag anzunehmen? Ist das nicht alles eine einzige Verschwendung von Zeit und Geld?“ Immerhin: Eine Summe im fünfstelligen Bereich soll es kosten, die Stoffbahnen nach Avignons Entwürfen irgendwo im Brandenburgischen zu nähen. Und gut bezahlt ist der Job obendrein: „Das ist ein Auftrag, den man nur einmal im Leben bekommt“, weiß auch Avignon. Den man schon deshalb nicht ablehnen kann. Erst recht nicht, wenn man noch mit der Agentur befreundet ist, die das Event organisiert.

Ungewöhnliche Skrupel für einen Künstler, dem wie kaum einem anderen der Spagat zwischen Kunst und Kommerz gelungen ist. Der immer schon Großaufträge, auch von Seiten der Wirtschaft angenommen hat, und gleichzeitig unabhängig bleiben wollte, seine Bilder immer noch zu Preisen anbieten, mit denen er auch ein Publikum erreichen kann, das sich nie in Galerien traut. Jim Avignon hat Flugzeuge für die Deutsche BA bemalt und eine Uhr für Swatch gestaltet, er hat ein Rover-Modell verziert,einen Wagen für die Love Parade entworfen und auf den SPD-Parteitagen für Gerhard Schröder gemalt. Und er hat gleichzeitig Bilder für 15 Mark verkauft, Covers für das Berliner Label „Downbeat Records“ entworfen, und auch schon einmal ein Bild für eine Tagesspiegel-Kunstserie. Um seine Bilder hat man sich gerissen.

Warum also ist dieser Großauftrag so anders? Weil bei der Eröffnung Pink und Nena auftreten und Johannes B. Kerner moderiert? Oder vielleicht ist es gar nicht der Auftrag, der anders ist, sondern Jim Avignon selbst? In der Asperger-Gallery in Mitte zeigt er – ein zufälliges Zusammentreffen – zur gleichen Zeit eine Ausstellung mit dem Titel „It’s not easy being easy“. Es ist eine Art Resümee, eine Abschiedsausstellung: Zur Finissage heute Abend werden alle Bilder übermalt. Ein Abschied von einer künstlerischen Phase, die Jim Avignon in den vergangenen 15 Jahren vom Berliner Underground-Künstler zur anerkannten Marke gemacht hat. Nun, fühlt er selbst, muss noch einmal etwas anderes kommen. Vielleicht ein Wegzug aus Berlin. Vielleicht auch überhaupt keine Kunst mehr. Oder mehr Musik – seine Gruppe „Neoangin“ kommt in Moskau ohnehin besser an als in Berlin. Und vielleicht ist das der Grund, warum ihn das Olympiabild so beschäftigt. Weil es unverhofft zu einem Abschiedsbild geworden ist. Ein Abschied auf 3000 Quadratmetern.

Eines der Bilder aus der Ausstellung bei Asperger zeigt übrigens einen Gewichtheber am Strand. Auf den Gewicht-Kugeln steht „Past“ und „Future“. Das Gleichgewicht zwischen beiden scheint bei Jim Avignon in letzter Zeit etwas aus dem Lot geraten. Was der Künstler allerdings anders sieht: Bisher sei es ihm nur um Zukunft gegangen. Nun beginne er, auch die Vergangenheit als Gewicht zu begreifen, das vielleicht ein Gegengewicht braucht. In einer sportlichen Disziplin ist Jim Avignon also doch aktiv.

Finissage der Ausstellung „Jim Avignon. It’s not easy, being easy“: Freitag, 18 Uhr, Asperger Gallery, Sophienstr. 18.

Christina Tilmann

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