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Berlin: Belastbar

Ein 130-Tonnen-Fahrzeug hat die Kaiserin-Augusta-Brücke getestet: Die alte Konstruktion verträgt vier Fahrspuren

Von Annekatrin Looss

Ungerührt rollen die Autos über die Kaiserin-Augusta-Brücke in Tiergarten. Dass es eng wird an dieser Stelle, daran haben sich die Autofahrer gewöhnt. Schon seit Jahren sind zwei Fahrbahnen der vierspurigen Brücke gesperrt. Mehr Belastung wäre zu viel für die fast 80 Jahre alte Stahlbeton-Konstruktion, hieß es bislang aus der Senatsverkehrsverwaltung. Besonders im Hinblick auf die zahlreichen voll beladenen LKWs aus dem nahe gelegenen Industriegebiet ließen die Behörden hier Vorsicht walten.

Das soll sich jetzt ändern, dank des riesigen rot-gelben Kolosses am rechten Fahrbahnrand, dem Belastungsfahrzeug, kurz „Belfa“ genannt. Mit Hilfe des 530 PS starken und im Normalzustand 22 Meter langen und 80 Tonnen schweren Fahrzeugs, das bei Bedarf auf 35 Meter verlängert werden und 50 weitere Tonnen Ballast aufnehmen kann, wollten die Verantwortlichen gestern herausfinden, wie viel die Kaiserin-Augusta-Brücke tatsächlich aushält. Seit Montag wird getestet. Zunächst haben Bauingenieur Klaus Steffens und sein Team unter der Brücke eine Messstrecke mit Sensoren angebracht. „Die Brücke sieht von unten genauso verkabelt aus, wie ein Patient auf der Intensivstation“, sagt Steffens, unter dessen Leitung das Fahrzeug an der Hochschule Bremen entwickelt wurde. Mit Hilfe der Sensoren kontrollieren die Experten die kritischen Stellen an der Brücke, jede Dehnung, Drehung oder Temperaturveränderung wird genau registriert, im Ernstfall kann der Versuch sofort abgebrochen werden.

Am Dienstag hingen sowohl die Fahrerkabine vorn, als auch der Kontrollraum hinten am Fahrzeug in der Luft. Nur in der Mitte, auf fünf Stützen, stand das Fahrzeug auf der Brücke. Mit Hilfe einer Hydraulik wurde die Brücke nach und nach immer mehr belastet, bis am Mittag das Ergebnis feststand: die Brücke hält ohne Probleme 130 Tonnen aus, alle vier Spuren können für den Verkehr freigegeben werden. Auch Schwerlasttransporte dürfen die Brücke ab sofort passieren.

Rund 100 dieser Transporte genehmigen die Berliner Behörden jedes Jahr. Sie müssen in allen Einzelheiten, wie Gewicht, Länge oder Anzahl der Achsen des Transporters, beantragt werden. Die Senatsverwaltung schreibt dann die Route vor. „Bislang haben wird diese Transporte nur über Brücken geführt, die nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden“, so die Sprecherin der Senatsverkehrsverwaltung, Petra Reetz. Nur diese Brücken entsprachen den für Schwerlasttransporte gültigen Normen. Es sei gut zu wissen, dass nun auch die wesentlich ältere Kaiserin-Augusta-Brücke für diese Transporte genutzt werden könnte.

Steffens ist Inhaber des Bundespatentes für das Fahrzeug, dessen Entwicklung rund eine Million Euro gekostet hat. Nach elf Probetests in Norddeutschland wird es in Berlin nun erstmals kommerziell eingesetzt. Schon in der vergangenen Woche ließ die Senatsverwaltung die Betriebsgleisbrücke an der Neuköllner Grenzallee testen. Auch hier war das Ergebnis positiv, die bislang zweispurige Brücke kann wieder auf vier Bahnen befahren werden. „Diese Brücke haben wir vor allem im Hinblick auf die zusätzliche Belastung durch die Erweiterung der Stadtautobahn getestet“, sagt Frieder Bühring, Leiter der Abteilung Tiefbau bei der Senatsbauverwaltung.

Bislang wurde die mögliche Belastung der Brücken in Berlin wie bundesweit mit Hilfe statischer Berechnungen festgestellt. Nie konnte man dabei jedoch einkalkulieren, wie sehr das Material der Brückenkonstruktion schon verschlissen war. Die Brücken blieben, wie in Neukölln, vorsichtshalber zum Teil gesperrt.

Die Stadt habe Millionen gespart, behauptet Steffens. Eine vorbeugende Instandsetzung der Brücken hätte insgesamt zwei Millionen Euro gekostet, die Messungen jedoch nur 50 000 Euro in Neukölln und 35 000 Euro an der Kaiserin-Augusta-Brücke. Tiefbau-Abteilungsleiter Bühring widerspricht: „Angesichts der Haushaltslage hätten wird das Geld nicht investiert, sondern die Brücke wäre weiter gesperrt gewesen.“

Seinen nächsten Einsatz hat das „Belfa“ in Bremen. Dort soll vor der Sanierung eines Hauses der Abwasserkanal darunter auf seine Tragfähigkeit getestet werden. Er habe seine Erfindung gerade zur rechten Zeit fertig gestellt, findet Steffens. Zahlreiche Brücken wurden im Osten Deutschlands durch das Hochwasser beschädigt. Dank des Belastungsfahrzeugs kann nun getestet werden, wie sicher sie noch sind. Sie müssen nicht vorsichtshalber abgerissen und neu gebaut werden. Auch Steffens nächste Erfindung wird hoffentlich in den Hochwassergebieten zum Einsatz kommen. Ein Testfahrzeug für Eisenbahnbrücken soll in der nächsten Woche fertig werden. Die Deutsche Bahn wird es freuen: Mehr als 100 ihrer Brücken wurden durch das Hochwasser bisher in Mitleidenschaft gezogen.

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