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Berlin: Belebende Hüllen

In der Innenstadt sind so viele Gebäude mit Werbung verhängt wie seit langem nicht mehr

Im Jahr zwölf nach Christo und Jean Claude zeigt sich die Innenstadt verhüllter denn je. 1995, als die beiden Künstler den Reichstag in Silberfolie gepackt und wie ein Paket verschnürt hatten, war das eine Sensation. Damals schlabberten an Berlins Fassaden-Baustellen ebenso undurchsichtige wie einfallslose Planen aus grauem Kunststoff, und man hätte sich gewünscht, dass Christo nicht einfach abhaut, sondern sein Gastspiel verlängert.

Nun aber sehen wir: Der Spaziergang durch die Berliner Mitte wird zum Erlebnistrip. Höher! Größer! Breiter! scheint die Devise – Platz da für hübsche Mädchenköpfe, smarte Mannsbilder, schöne Landschaften, vorüberrauschende Autos und eindringliche Botschaften. Die Riesenposter drängen sich ins Stadtbild, setzen sich ungefragt auf unsere Netzhäute, stehen auf und wandeln ins Gehirn, ob du willst oder nicht.

Wir haben ein paar aktuelle Beispiele fotografiert. Jedes Megaplakat, mit dem – und das ist die andere Seite – hässliche Baustellen kaschiert und ein bisschen Potemkinsches Dorf gespielt wird, bringt zusätzlich Farbe in die City. Und Geld in leere Taschen. Ich möchte auch nicht gerade in einem Bett liegen, das im 18. Stock der Charité hinter so einer schwarzen Werbeplane steht – aber wenn ich höre, dass mit den Einnahmen der weithin sichtbaren Charité-Einwickelei die Aufstockung des Bettenhauses finanziert wird, fühlt sich plötzlich mein Gemeinsinn gekitzelt. Sind sie nicht alle, in sich gekehrt, stumm geworden, die da empört mit dem Finger auf die Werbebotschaften an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im Westen und an der östlichen Marienkirche gezeigt haben – als sie merkten, wie gut der Zweck war, der die plakativen Mittel heiligte?

Noch steht die St. Hedwigs-Kathedrale so festgemauert am Bebelplatz wie ihr Hirte mit dem Bischofsstab, aber alsbald, ab Mai, werden wir statt ihrer eines Mega-Posters ansichtig – redet Geld, so schweigt die Welt, sagt das Sprichwort. Und mittlerweile haben wir ja ein paar sehr attraktive Beispiele für die belebende Wirkung des Werbe-Geldes auf unser Stadtbild: Das Brandenburger Tor hat seine Verhüllungen ebenso für die eigene millionenteure Kosmetik benutzt wie das Charlottenburger Tor: Außenwerbung ist eine kräftige Finanzspritze für Rekonstruktionen aller Art. Nur einmal haben wir eine Werbung getroffen, die ganz selbstlos in der Charitéstraße am Haus Nr. 3 hängt: Ein über drei Geschosse reichendes Poster zeigt eben jenes Bürgerhaus im Original, das hier für den Naturschutzbund wiedererstehen soll – nach seinem Vorbild aus den zwanziger Jahren. Ein vergrößertes Foto von anno dunnemals wirbt für die Wertarbeit der Handwerker und Stuckateure, die da hinter der Kunststoff-Folie walten, und es macht neugierig, wie das wird, wenn’s fertig ist.

Berlin, dieser „Mikrokosmos in sich“, sei in den letzten Jahren zu einem exzellenten Werbeträger geworden, sagt Andrej Tatic, Inhaber der Riesenposter-Firma „Megabiz“. Der Unternehmer hatte vor zehn Jahren, mit 23, die Idee, Baustellen mit Werbung zu verhüllen. Inzwischen findet er auch im Ausland Flächen, auf denen er die von seiner Firma produzierten Großplakate mit den Produkten international bekannter Marken als Hingucker platziert.

Solche Riesenposter spült schon mal eine sechsstellige Summe in die Renovierungskasse. Oder in die des Hauseigentümers, wie zum Beispiel für das Poster an der Giebelwand des Funktionsgebäudes der Komischen Oper. Andrej Tatic schätzt, dass 50 bis 80 Prozent aller Sanierungsmaßnahmen in Berlin mithilfe von Riesenpostern refinanziert werden, bestes Beispiel waren Brandenburger und Charlottenburger Tor, Megabiz wirbt für die Berlinale, war an der Fußball-Weltmeisterschaft beteiligt und hofft, demnächst die Siegessäule zu verhüllen. Die Achtung vor dem Kunstwerk schränkt die Produktpalette ein, ein schmaler, schlanker Gegenstand muss es sein, der unter der Goldelse hängt und als Poster die Säule umhüllt.

Dass die Stadt durch die Verhüllungsbilder bunter wird, sieht mittlerweile auch manch denkmalschützender Bedenkenträger ein, „wenn wir unser Poster abnehmen, kommt oft ein schönes Stück Berlin wie aus dem Ei gepellt hervor“, sagt der Riesenposter–Experte. Und er bestätigt, dass längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind: Lebende Bilder könnten Standbilder ersetzen, Lichteffekte über Wände huschen, zuckende Blitze Aufmerksamkeit erregen – vielleicht ist alles schon einmal da gewesen, damals in den verrückten Zwanzigern …

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