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Klimaneutral soll Berlin werden, aber erstmal wird eine Autobahn gebaut. Und die vielen Zuzügler brauchen nicht nur Platz zum Wohnen, sondern auch Verkehrsmittel, um von A nach B zu kommen.

© dpa

Berlin 2030 - Unsere Serie blickt in die Zukunft (1): Klima und Mobilität: Berlin soll klimaneutral werden

Mehr Menschen, aber weniger Emissionen? Könnte klappen, wenn viele vieles gemeinsam nutzen: den Garten, das Auto, ein E-Bike. Ideen sind gefragt, damit die Stadt grün bleibt und nicht im Stau erstickt.

Genau genommen wächst Berlin bis 2030 nicht um einen ganzen Bezirk, sondern zunächst nur um dessen Einwohnerschaft. 250 000 Menschen zusätzlich brauchen nicht nur eine Bleibe, sondern drängen auch in Busse und Bahnen, auf Straßen und Radwege und Trottoirs. Gibt Berlin das her? Müssen dafür Parks geopfert werden? Wie grün können und müssen die neuen Kieze sein? Und wie sind die neuen und alten Berliner im Jahr 2030 sinnvollerweise mobil?

Fertige Antworten hat niemand, wohl aber fundierte Vorstellungen. Zum Beispiel am Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU. Hier arbeitet Elke Pahl-Weber, Professorin für Bestandsentwicklung und Erneuerung von Siedlungseinheiten. Auf ihrem riesigen Bürotisch steht das hölzerne Arbeitsmodell einer eben entworfenen Kleinstadt im Iran.

„Das Boot ist keinesfalls voll“, sagt Pahl-Weber mit Blick auf die Potenziale Berlins. Neubauten seien sowohl nötig, um den Wohnungsmarkt zu entlasten, als auch um die Energiewende voranzubringen. Denn deren größtes Potenzial läge im Gebäudebestand, von dem aber jährlich nur ein Prozent saniert wird. Die großen Sprünge bei der Energieeffizienz müssen deshalb aus der Verbindung von Bestandsentwicklung und Neubauten kommen, von denen die Professorin ein plastisches Beispiel beschreibt: Drei bis fünf Etagen hoch für maximale Energieeffizienz, mit Läden für den täglichen Bedarf im Parterre, Tiefgaragen für Fahrräder und gemeinschaftlich genutzte Autos und irgendeinem Treffpunkt für die Bewohner, etwa ein Kiezzentrum. Dazu Gemeinschaftsgärten oder begrünte Dächer, auf denen gern auch Gemüse wächst. Die Pflanzen binden Staub, erleichtern Hobbygärtnerei in der Ära des ewigen Zeitmangels und regulieren das Mikroklima, wenn die Sonne brennt.

"Solange ich nicht riesig in die Höhe baue, wird die Dichte von Einwohnern und Nutzung kein Problem", sagt Prof. Elke Pahl-Weber, vom Institut für Stadt- und Regionalentwicklung an der TU.
"Solange ich nicht riesig in die Höhe baue, wird die Dichte von Einwohnern und Nutzung kein Problem", sagt Prof. Elke Pahl-Weber, vom Institut für Stadt- und Regionalentwicklung an der TU.

© Mike Wolff

Bewässert werden die Pflanzen über Pumpen, die aufgesammeltes Regenwasser sowie Brauchwasser aus den Wohnungen hoch aufs Dach befördern, wenn der Strom dank Wind und Sonne gerade wieder im Überfluss vorhanden ist. Und zwischen den Häusern mit ihren möglicherweise begrünten Fassaden stehen nicht nur Bäume, dort liegen auch biologische Kläranlagen: Teiche mit Schilf oder Blumen. Der Strom- und Heizbedarf wird soweit wie möglich aus eigenen Quellen – Solaranlagen und Abwasserwärme etwa – gedeckt, aber zur Sicherheit bleibt der Musterkiez an die zentralen Versorgungsnetze angeschlossen.

„Die technischen Lösungen haben wir fast alle“, sagt die Professorin. „Die Schwierigkeit ist, sie im Gebäudebestand umzusetzen.“ Sie hütet sich vor dem negativ belegten Begriff der „Nachverdichtung“, sondern sagt stattdessen: „Solange ich nicht riesig in die Höhe baue, wird die Einwohner- und Nutzungsdichte nicht zum Problem.“ Berlin habe genug Platz für seine Neubürger. „Parks müssen und sollten wir dafür nicht antasten.“

Auch von der Umgebung der Häuser hat Pahl-Weber eine Idee: „Ich würde mir wünschen, dass wir einen Großteil des öffentlichen Raumes für Kinder und Sport reservieren.“ Ohne Autos werde es nicht gehen, zumal die Menschen immer auch individuell mobil sein wollen – künftig eher noch mehr als jetzt. Aber die Prioritäten bei der Aufteilung des urbanen Raums könnten nicht dauerhaft so autolastig bleiben wie bisher.

Ein Widerspruch, den es aufzulösen gilt. Ein Fall für die Mobilitätsexpertin Barbara Lenz, die das Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Adlershof leitet und an der Humboldt-Uni eine Professur für Verkehrsgeografie innehat. „Es wird auf Dauer nicht möglich sein, dass so viele Autos in der Stadt fahren und herumstehen wie bisher“, sagt sie. „Eine lebendige Stadt braucht vor allem Fußgänger.“ Das Wort „Verzicht“ meidet Lenz wie Pahl-Weber die „Nachverdichtung“. Sie nennt es, den Autoverkehr „auf ein vernünftiges Maß bringen“, so dass seine Nebenwirkungen – Luftbelastung, Lärm, Unfallrisiko – akzeptabel werden.

Ihr Institut hat einmal die Option einer City-Maut für den S-Bahn-Ring durchgerechnet. Mit dem Ergebnis, dass ein Zufahrtsticket für die 100 Quadratkilometer große Umweltzone eher zu noch mehr Autoverkehr führen würde, weil viele Leute dann Umwege über die äußeren Tangenten nähmen.

In einer so großen Stadt wie Berlin erfülle die Parkraumbewirtschaftung den regulierenden Zweck besser, und langfristig werde das eigene Auto ohnehin nicht die Regel bleiben. Stattdessen zeichne sich ein Trend zu Car- und Bike-Sharing ab – ausweislich der vielen Leihwagen, die sich schon jetzt von Monat zu Monat vermehren und eben nicht 23 Stunden täglich am Straßenrand herumstehen wie das typische Privatauto. Dessen breite Akzeptanz beruht aus Sicht von Lenz auch auf einer Selbsttäuschung: „Weil ein Privathaushalt nicht in Abschreibungen rechnet, gibt es beim Auto keine Kostenwahrheit.“ Man sehe als Besitzer den einen Euro Spritkosten für die kurze Fahrt zum Einkauf – aber nicht die 20 000 Euro Kaufpreis oder 600 Euro für die letzte Reparatur.

Carsharing und E-Bikes - "Wir brauchen eine neue Art von Wegen"

"Auf Dauer werden nicht so viele Autos in der Stadt fahren und herumstehen können wie bisher", sagt Prof. Barbara Lenz, Verkehrsforscherin am Zentrum für Luft- und Raumfahrt. "Eine lebendige Stadt braucht vor allem Fußgänger."
"Auf Dauer werden nicht so viele Autos in der Stadt fahren und herumstehen können wie bisher", sagt Prof. Barbara Lenz, Verkehrsforscherin am Zentrum für Luft- und Raumfahrt. "Eine lebendige Stadt braucht vor allem Fußgänger."

© Georg Moritz

Dass dieses gern verschwiegene Kostenproblem auf Carsharing-Anbieter übergeht, findet Lenz vernünftig – und hofft, dass diese Modelle sich in absehbarer Zeit rentieren. In Kombination mit technischem Fortschritt sieht sie neue Chancen. Selbstfahrende kleine E-Autos etwa, die auf Bestellung vor die Haustür rollen und den ÖPNV-scheuen Kunden zur Arbeit fahren, bevor sie sich zum nächsten Besteller bewegen statt acht Stunden herumzustehen. „Die Techniker sagen, in 15 bis 20 Jahren ist das autonome Fahrzeug serienreif“, sagt Lenz. „Aber würden wir es akzeptieren, wenn uns ein leeres Auto entgegenkommt?“

Und natürlich würde es der erste Unfall eines solchen Fahrzeugs auf die Titelseiten der Boulevardblätter schaffen, während dort kein Wort verloren würde über die durchschnittlich 50 anderen schweren Unfälle, die sich am selben Tag in Berlin mit konventionellen Autos ereignen. Dem Fahrradverkehr trauen beide Professorinnen einen noch wachsenden Boom zu, zumal in Zeiten des Pedelecs. Barbara Lenz sieht den Engpass in der Infrastruktur: „Wir brauchen eine neue Art von Wegen für solche Fahrzeuge.“ Elektrisch unterstützte Lastenfahrräder gehörten ebenso wenig auf althergebrachte Radwege wie E-Bikes, mit denen jeder Rentner Tempo 25 fährt. Der geplante Schnellradweg von Zehlendorf in die City sei ein erster, kleiner Anfang. Die Öffentlichen sieht die Professorin auf gutem Weg. Das vorhandene Angebot müsse gepflegt, Bus und Bahn besser mit anderen Verkehrsmitteln – vor allem Carsharing – kombiniert werden und das Netz mit der Stadt wachsen.

Bleibt die bisher kaum gestellte, aber in Zeiten des Online-Shoppings immer drängendere Frage nach dem Lieferverkehr: Müssen täglich vier Paketdienste mit ihren Kleinlastern voller Schuhkartons und Kinderspielzeug noch in die kleinste Nebenstraße fahren? Auf Dauer nicht, findet Lenz. Zentralstellen wie die Packstationen der Post dämpften zwar die Explosion des Lieferverkehrs, „aber Gebietsmonopole für die Anlieferung wären durchaus prüfenswert“ – als Weg zur Verkehrsentlastung vor allem von Wohngebieten. „Ich bin ziemlich sicher, dass das ein großes Thema wird“, sagt die Professorin. „Und eine Stadt wie Berlin könnte sich ein solches Experiment durchaus leisten.“

Die Hauptstadtregion, ihre Chancen, ihre Herausforderungen - Unsere Serie "Berlin 2030" blickt in die Zukunft. Die nächste Folge erscheint am Freitag, 31. Mai zum Thema Wohnen.

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