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Berlin ist international. Beim Karneval der Kulturen wird das ordentlich gefeiert.

© dpa

Berlin 2030 - Unsere Serie blickt in die Zukunft (4): Berlin bleibt multikulti

Wie die Berliner Bevölkerung in 2030 aufgestellt sein wird, lässt sich schon heute ablesen. Derzeit haben mehr als 780 000 Berliner einen Migrationshintergrund. Und die deutsche Hauptstadt zieht die Welt weiterhin magisch an.

Das Fahrzeug in der riesigen Halle sieht ungewöhnlich aus. Die Fahrerseite: leer. Steuer, Kupplung, alles befindet sich auf der Beifahrerseite, und doch: Made in Germany. Neben dem Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn baut die Berliner Firma Shiva Medicare Group mit internationalen Partnern Magnetresonanztomografen (MRT) in Lkw meist deutscher Hersteller ein. Die Geschäftsführer stammen aus Indien, die Geräte importieren sie aus Italien, und das rollende Untersuchungszimmer wird bald an die britische Gesundheitsorganisation NHS geliefert. Die MRT-Mobile sind bei Kunden weltweit gefragt. Eine Berliner Spezialität, und doch geht es kaum globaler.

Der Unternehmensgründer und Geschäftsführer, Monoj Kumar Chowdhury, und sein Bruder, der geschäftsführende Gesellschafter Sanuj Kumar Chowdhury, haben ihr Büro in Friedrichshain, die Berliner sind in der Hochfrequenz-Laserchirurgie und der Medizinbranche rund um den Globus geschätzt. Von ihren Steuerzahlungen aber profitiert ihre Heimatstadt. So klein ist die Welt, und so groß die Chance für die Metropole durch ihr internationales Publikum. 1992 waren 385 889 Menschen ohne deutschen Pass in Berlin gemeldet. Derzeit haben laut Zensus fast 781 000 Berliner einen Migrationshintergrund. Bis 2013 sollen laut Senatsprognose weitere 129 000 Neu-Berliner aus dem Ausland hinzu kommen.

Nihat Sorgec, Integrationsberater und Unternehmer: "Die jungen Zuzügler sind wegen der Demografie Berlins für diese Stadt hoch interessant."
Nihat Sorgec, Integrationsberater und Unternehmer: "Die jungen Zuzügler sind wegen der Demografie Berlins für diese Stadt hoch interessant."

© doris spiekermann-klaas TSP

„Ich bin ein Berliner“ bedeutet also zunehmend auch „Ich bin ein Globaler“. Von der wachsenden Internationalität kann die Hauptstadt weitere Impulse für die wirtschaftliche Entwicklung erwarten. Zugleich streben aber weiter Armuts- oder Krisenflüchtlinge ins reiche Nordeuropa, auch nach Berlin.

Junge Berliner sind international

Bereits jetzt haben mehr als 40 Prozent aller jungen Berliner um die 18 Jahre einen Migrationshintergrund. Neben den zuletzt vielen süd- und südosteuropäischen Einwanderern kommen viele Engländer und Menschen aus den baltischen Staaten. Der aktuelle Zensus ergab, dass sogar fast 24 Prozent der gesamten Berliner Bevölkerung, also 780 930 Menschen, eine ausländische Herkunft haben – mehr als der Senat vermutete. Die Hälfte dieser Menschen hat einen ausländischen Pass. „In 17 Jahren wird der Migrantenanteil auf 35 bis 40 Prozent steigen“, prognostiziert Experte Thorsten Tonndorf von der Stadtentwicklungsverwaltung – das bedeute auch mehr Botschaften, Kulturstätten, Wissenschaftsinstitute oder Privatunis.

Monoj Kumar Chowdhury, Medizintechnikfachmann und Entrepreneur: "Bei meinen Dienstreisen werde ich ganz normal als Berliner und Deutscher betrachtet."
Monoj Kumar Chowdhury, Medizintechnikfachmann und Entrepreneur: "Bei meinen Dienstreisen werde ich ganz normal als Berliner und Deutscher betrachtet."

© doris spiekermann-klaas TSP

Nihat Sorgec kam 1972 als 14-Jähriger aus der Türkei mit guten Noten, aber ohne Deutschkenntnisse nach Berlin. Heute ist der Konstrukteur, Vertriebsingenieur, Produktmanager und Chef des „Bildungswerks Kreuzberg“ unter anderem auch Teilnehmer beim Integrationsgipfel und der Islamkonferenz. Der Bundesverdienstkreuzträger wurde selbst von US-Präsident Barack Obama in Expertenrunden geladen. Wie kann die Integration in einer Stadt wie Berlin mit gesellschaftlichen Spannungen künftig klappen? Sorgec appelliert an die Generation der ersten Gastarbeiter, legendäre „deutsche“ Tugenden wie Gründlichkeit mit „türkischen“ wie Flexibilität an die nächste Generation weiterzugeben. „Viele Berliner Eltern aller Nationalitäten, die Hartz-IV-Lebensläufe haben, leben das Ideal aber leider nicht mehr vor, Arbeiten zu gehen und eigenes Geld zu verdienen“, bedauert er. Da will er mit neuen Mentorenprojekten ansetzen. Es müsse gesellschaftlich größere Anreize geben, sich den Lebensunterhalt selbst zu erarbeiten, statt Geld vom Staat zu beziehen. „Schon wegen des besseren Selbstwertgefühls.“

Unter den jungen Zuzüglern „kommen Jugendliche hierher, die sich von der attraktiven Dynamik Berlins angezogen fühlen“, sagt Sorgec, „diese Menschen sind ein Potenzial und wegen der demografischen Situation für Berlin hoch interessant.“ Letztlich hätten alle Menschen, unabhängig von der Herkunft, ähnliche Sehnsüchte, Wünsche und Hoffnungen.

Ausbildung aller Berliner bleibt wichtig

Karl Brenke, Experte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, sieht auch eine Gefahr. „Ich befürchte, dass Berliner Firmen noch mehr darauf spekulieren, dass sie wegen der Zuwanderung junge, gut ausgebildete Fachkräfte fix und fertig einstellen können, statt junge Berliner Schulabgänger aus bildungsfernen Schichten erst mühsam ausbilden zu müssen.“ Das Lohnniveau werde so potenziell weiter gedrückt.

Bei der größten Migrantengruppe in der Stadt, den türkischen Berlinern, sehen die Experten keine großen Bewegungen. Bei ihnen hielt sich zuletzt die Waage, wer nach Berlin zog oder die Stadt wieder verließ. 101 000 Berliner mit türkischem Pass leben hier. Insgesamt 80 000 Türken ließen sich einbürgern oder entschieden sich als in Deutschland Geborene mit dem Stichtagsalter 23 nicht für die türkische, sondern für die deutsche Staatsbürgerschaft. Ob sich mit der aktuellen Krise in der Türkei an den Wanderungsbewegungen etwas ändert? Für eine Einschätzung sei es zu früh, heißt es bei der Integrationsbeauftragten.

Der indischstämmige Berliner Chowdhury ist schon ewig Deutscher. Sein Opa, sein Onkel, sie alle waren bereits im Handel oder in der Forschung mit Deutschland verknüpft. „Bei meinen Reisen auch im Begleitteam des Regierenden Bürgermeisters werde ich ganz normal als Berliner und Deutscher betrachtet“, sagt Chowdhury. Wie Nihat Sorgec, den dann alle nach Currywurst und Oktoberfest fragen.

Als Berliner Unternehmer steht auch Chowdhury für das traditionelle Image der „deutschen Wertarbeit“. Viele Asiaten seien noch ehrgeiziger als Deutsche, sagt er, hätten es aber als Unternehmer schwer. Kredite seien teils schwer zu bekommen. Der Unternehmer appelliert an alle Migranten, wenn sie sich für Deutschland entscheiden, sich dann auch in die Ideale und die Kultur einzufühlen. Er hat einige Arbeitsplätze geschaffen, auch in seinem Therapiezentrum am Kurfürstendamm wollte er so gern auch eine internationale Mitarbeiterin beschäftigen. „Aber viele Patienten kamen leider nicht klar damit, dass sie Kopftuch trug.“ Es wirkte wohl altbacken. Zu Hause schlüpfe er auch mal gern in traditionelle Gewänder, nicht aber im Beruf. Zuwanderer und die Post-Gastarbeiter-Generationen sollten die deutsche Sprache lernen und deutsche Gepflogenheiten akzeptieren, lautet sein Appell: „Entweder du bist Deutscher, oder du bist Ausländer.“

Bis 2030 werden viele Machertypen wie Nihat Sorgec und Monoj Kumar Chowdhury nach Berlin strömen, sagen Senat und DIW voraus. Künstler aus Australien, die das kreative Berlin reizt, oder Geschäftsleute aus den USA, mit denen Berlin ein großes Handelsvolumen verbindet. Noch mehr Polen und Skandinavier werden in Berlin arbeiten. Sie werden in Wohnungen investieren oder Unternehmen in der Bauwirtschaft oder im Kfz-Handel mit dem Ausland aufbauen. Dass sich die Zuwanderer in Wohnghettos konzentrieren, erwartet der Senat nicht. Erwartet werden trotzdem Herausforderungen, wenn etwa für Bulgaren und Rumänen ab Januar 2014 eine Wohn- und Arbeitsfreizügigkeit gilt.

Sprecherin Elke Pohl aus dem Büro der Integrationsbeauftragten wünscht sich in puncto Integration etwas ganz Alltägliches von allen Berlinern. „Eine Nachfrage im Bus, eine nette Geste an der Kasse, einen Smalltalk mit dem Nachbarn in der U-Bahn – egal, woher der Mensch kommt.“

Die Hauptstadtregion, ihre Chancen, ihre Herausforderungen - Unsere Serie "Berlin 2030" blickt in die Zukunft. Nächste Folge am Dienstag, 11. Juni. Dann geht es um Wirtschaft und Forschung.

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