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Ein offener Geldbeutel, in dem nur wenige Centstücke liegen

© dpa-Zentralbild

Berlin 2030 - Unsere Serie blickt in die Zukunft (8 und Schluss): Damit Berlin nicht alt aussieht

Chancengerechtigkeit für Kinder aus armen Familien zu schaffen und die soziale Mischung zu erhalten ist das Ziel. Noch hat Berlin die höchste Arbeitslosenquote, die meisten Hartz-IV-Empfänger, die größte Kinderarmut.

Eine Adresse gibt viel preis über den Menschen. Sie lässt Rückschlüsse zu auf Wohlstand oder auf Armut. Ulrich Schneiders Büro liegt in einer der Spitzenlagen in Mitte. Direkt gegenüber vom Monbijou-Park an der Oranienburger Straße. Diese ist auch eine Topadresse für Lobbyisten, deren Tagesgeschäft es ist, den Kontakt zu den politisch Verantwortlichen zu suchen. Zum Regierungsviertel ist es nicht weit. Schneider ist ein Lobbyist. Aber nicht für die Großkonzerne, sondern für all jene, die vielfach zu kurz kommen, die Hilfe benötigen vom Staat. Die Menschen, um die es bei seiner Arbeit geht, können sich die Mieten, die in diesem Quartier Berlins für sanierte Altbauwohnungen oder schicke Lofts verlangt werden, schon lange nicht mehr leisten.

 "Berlin verliert an Attraktivität, wenn die Gentrifizierung so weitergeht", sagt Heike Solga, Soziologin.
"Berlin verliert an Attraktivität, wenn die Gentrifizierung so weitergeht", sagt Heike Solga, Soziologin.

© David Ausserhofer

Schneider ist Geschäftsführer des Paritätischen Verbands. Müsste er nicht eher in Wedding oder Marzahn sitzen, um dichter dran zu sein an den Problemen und der täglichen Realität derjenigen, die beim Berlin-Boom abgehängt werden? „Nein, genau hier ist es richtig“, sagt Schneider. „Ich wünsche mir die Nähe zu denen, die es ändern können.“ Der Handlungsbedarf ist groß, und er wird in den kommenden Jahren immer größer. Bis 2030 rechnet die Stadt mit einem Zuwachs von 250 000 Menschen. „Ich habe den Eindruck, dass Berlin mehr und mehr zerreißt und auseinanderfällt. In einigen Stadtteilen springt einen die Armut direkt an“, sagt Schneider.

In der Tat hat die Stadt in den Jahren seit der Wende eine radikale Entwicklung genommen. Sie ist als Hauptstadt zum politischen Zentrum Deutschlands gereift, ist attraktiver Wissenschafts- und Hochschulstandort, Partymetropole und Touristenmagnet. Bei all den Wandlungen ist aber eine Konstante geblieben. Die Stadt hat ein Armutsproblem. Hier gibt’s die höchste Arbeitslosenquote, die meisten Hartz-IV-Empfänger, die größte Kinderarmut. Schneiders Verband schildert in seinem letzten Armutsbericht die Situation in Berlin als äußerst besorgniserregend. „Aber wir haben es in der Hand, das zu zu ändern“, sagt Schneider mit Blick auf die Zukunft.

In vielen Gegenden Berlins haben Menschen das Gefühl, dass nicht genug gegengesteuert wird, dass sich soziale Ungleichheit verfestigt und die Lage aufgrund der Wachstumsprognosen drastisch verschärft. Sie befürchten, dass die derzeit Ansässigen aus den innerstädtischen Kiezen in Kreuzberg, Friedrichshain, Neukölln, Tiergarten und Wedding verdrängt werden – so wie es in Prenzlauer Berg und im Alt-Bezirk Mitte längst geschehen ist – und sich in Großsiedlungen am Stadtrand wiederfinden.

"Ich habe den Eindruck, dass Berlin mehr und mehr zerreißt und auseinanderfällt“, sagt Ulrich Schneider, DPW-Geschäftsführer.
"Ich habe den Eindruck, dass Berlin mehr und mehr zerreißt und auseinanderfällt“, sagt Ulrich Schneider, DPW-Geschäftsführer.

© promo

Von einer zunehmenden Segregation und großer Dynamik spricht die Soziologin Heike Solga. „Wenn die Gentrifizierung so weitergeht, dann verliert Berlin viel von dem, was es so attraktiv macht“, sagt die Professorin, die sich am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung unter anderem mit Fragen der Chancengerechtigkeit befasst. „Auch die Zuzügler wollen das Besondere.“ Bisher sei es die Mischung in den Kiezen, die das Lebenswerte in Berlin ausmache. Solga hat einige Zeit in den Vereinigten Staaten gelebt und dort die Folgen der Segregation erlebt.

Ein solcher Prozess sei nur mit Mühen wieder umkehrbar. Ein Verdrängen – beispielsweise in Großsiedlungen am Stadtrand – benachteilige die Menschen weiter. Bisher hätten sie zwar vielleicht eine schlechte Bildung, lebten aber in angesagten Wohngebieten. „Dann grenzen wir sie strukturell nicht nur durch Bildung aus, sondern auch durch den Lebensraum“, sagt Solga. Schon die Adresse allein wäre aussagekräftig und würde etwas über die Sozialisation aussagen. Nach Solgas Auffassung muss bei den Bauprojekten – sowohl bei innerstädtischen Lückenschließungen als auch bei Großsiedlungen am Stadtrand – auf einen Mix geachtet werden. Es dürften eben in einem Kiez nicht nur die Luxuseigentumswohnungen entstehen, sondern es müsste genauso Wohnungen für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen geben.

„Wir brauchen eine andere Steuerpolitik“

Genauso brauche man Programme für den sozialen Wohnungsbau. Ulrich Schneider geht davon aus, dass die Landesregierung die sozialen Herausforderungen nicht alleine wird stemmen können. „Wir brauchen eine andere Steuerpolitik“, sagt Schneider. Denn auch die Infrastruktur muss stimmen. Vor allem die Bildungseinrichtungen für Kinder und Einrichtungen für die präventive Jugendarbeit. „In keinem Bereich muss man mehr um Gelder kämpfen als bei der Jugend- und Kinderarbeit. Es scheint leichter, das Stadtschloss wieder aufzubauen, als ein Jugendzentrum zu renovieren“, sagt Schneider.

Für die Soziologin Solga ist Bildung eine Grundvoraussetzung für eine soziale Stadt. Sie plädiert dafür, nicht nur auf den Unterricht zu schauen, sondern auch Bildungsangebote für Eltern oder Nachmittagsangebote für die Schüler zu schaffen. Als Vorbild nennt sie den Rütli-Campus. Vor wenigen Jahren noch war die Neuköllner Schule Symbol für das Versagen der Hauptschule und das Zurücklassen von Kindern – hauptsächlich mit Migrationshintergrund. Jetzt trägt der Campus Rütli, auf dem es Kitas, Jugendeinrichtungen und eine Schule von der ersten bis letzten Klasse gibt, sogar zur Stabilisierung eines Kiezes bei.

Die Plätze an der Schule sind wieder begehrt. In Ghettos am Stadtrand werde es für die Schulen immer schwerer, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen. Auch die Wissenschaftlerin sieht Schwierigkeiten der Finanzierung und plädiert für eine Umverteilung. „Ich hätte nichts dagegen, wenn es bei der Kultur weniger Subventionen gäbe“, sagt sie. Selbst wenn ein Ticket für Theater oder Museen dann wesentlich teurer würde: „Das Bildungsbürgertum geht weiter in die Oper.“

Mit Bildung im herkömmlichen Sinn ist es für Ulrich Schneider nicht getan. Kinder könnten nur vernünftig lernen, wenn sie in einem stabilen Umfeld leben. Aus diesem Grund müsse es zukünftig genügend öffentlich geförderte Jobs geben. Viele langzeitarbeitslose Eltern könnten aber nicht von Stellen profitieren, die durch Firmengründungen entstehen. „Man kann nicht von Chancengleichheit der Kinder reden, wenn es keine Beschäftigung für Eltern gibt. Das ist Heuchelei oder zynisch“, sagt Schneider. Eine Sorge zumindest muss sich Berlin nicht machen:  „Uns gehen die Kinder wegen der Zuzügler nicht aus“, sagt Solga.

Beide Experten erkennen ein weiteres Feld, auf dem es erhebliche Veränderungen geben wird. In der Stadt werden deutlich mehr ältere und alte Menschen leben. Schon jetzt gibt es einen Zuzug der so genannten jungen Alten, also Menschen, die sich nach dem Ende des Berufslebens entschließen, in die Metropole zu kommen. Sie lockt das kulturelle Angebot und das großstädtische Leben. Dabei handelt es sich oft um vergleichsweise wohlhabende Akademiker. Aber 2030 werden diese derzeit jungen Alten richtig alt sein und die notwendige medizinische und pflegerische Infrastruktur brauchen. Dies hat auch Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) als Handlungsfeld erkannt.

Gleichzeitig wird die Altersarmut zunehmen. Nach Schneiders Einschätzung wird dies ab 2025 zum Problem. „Dann kommen die Langzeitarbeitslosen ins Rentenalter“, sagt Schneider. Die Zahl der Rentner, die auf Grundsicherung angewiesen seien, wird sich Schätzungen zufolge bis dahin mehr als verdreifachen. In Berlin ist auch die Zahl der Singlehaushalte in dieser Altersgruppe besonders groß. „Aber noch haben wir die Zeit gegenzusteuern“, sagt Schneider. Anders als bei der Kinderarmut ist er bei den Senioren optimistisch. Denn die Alten haben ein Druckmittel: das Wahlrecht.

Die Hauptstadtregion, ihre Chancen, ihre Herausforderungen - Unsere Serie "Berlin 2030" blickt in die Zukunft.

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