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Der Kindernotdienst hilft, wenn es ernst wird.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berlin bekommt Ambulanzen für Kinderschutz: Mehr Schutz für die Schwächsten

Immer öfter leiten Ämter Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung ein: In Berlin waren es im vergangenen Jahr mehr als 5000 Fälle. Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) plant jetzt neue Ambulanzen.

Es sind erschreckende Zahlen, und hinter jedem einzelnen Fall verbirgt sich eine traurige Geschichte: Mehr als 5000-mal mussten die Berliner Jugendämter im vergangenen Jahr feststellen, dass Kinder oder Jugendliche in ihren Familien oder ihrem persönlichen Umfeld in Gefahr waren. Insgesamt gab es 1984 Fälle, in denen das Kindeswohl akut gefährdet war. 651 Kinder mussten aus ihren Familien genommen werden. In 3254 Fällen ging man von einer sogenannten „latenten Kindeswohlgefährdung“ aus. Im Jahr zuvor waren rund 800 Fälle weniger bekannt geworden. Dies geht aus Daten des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg hervor.

Berliner sind sensibler, melden mehr Fälle

Insgesamt wurden von den Jugendämtern im vergangenen Jahr fast 10 000 Verfahren zur Gefährdungseinschätzung eingeleitet, das ist ein Anstieg von 13,3 Prozent. Doch es gibt auch eine positive Perspektive dabei: Fachleute halten den Anstieg nämlich eher für ein gutes Zeichen. Sie glauben, dass das Bewusstsein und die Sensibilität in der Bevölkerung und bei Erziehern für den Kinderschutz gestiegen sind und deshalb häufiger Verdachtsfälle gemeldet werden.

Die Sozialarbeiter und Familienhelfer müssen oft schnell entscheiden, ob ein Kind in der Familie sicher ist oder anders untergebracht werden muss, ob eine Verletzung tatsächlich von einem unbeabsichtigten Sturz herrührt oder von Schlägen. Zur Unterstützung bei dieser Entscheidung soll es in Zukunft Kinderschutzambulanzen geben. Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) plant, diese Anlaufstellen an vier der acht Berliner Kinderkliniken einzurichten. Dort soll ein Team von Ärzten und Fachleuten zusammenarbeiten, und Kinder sollen dort untersucht werden, ohne dafür stationär aufgenommen werden zu müssen. Bisher gibt es in den Kinderkliniken schon sogenannte Kinderschutzgruppen, die jedoch nur stationär aufgenommene Kinder nach einem standardisierten Verfahren untersuchen und einschätzen, ob Kindeswohlgefährdung vorliegt.

Hamburg hat nach Angaben der Senatsbildungsverwaltung bereits Erfahrungen mit Kinderschutzambulanzen. Im vergangenen Jahr seien dort 250 Kinder entsprechend untersucht worden.

Wurde das Kind missbraucht oder nicht?

Momentan arbeiten die Gesundheits-, Justiz- und Jugendverwaltungen an einem Konzept, das spätestens im Frühjahr beschlossen werden soll, und dann bei den Beratungen für den Haushalt 2016/17 berücksichtigt werden kann. „Im Zuge der Gefährdungseinschätzungen gibt es immer wieder auch Grenzfälle, in denen es schwerfällt, eine Kindeswohlgefährdung zweifelsfrei zu erkennen. Aus diesem Grund setze ich mich dafür ein, dass Berlin Kinderschutzambulanzen erhält, in denen speziell geschultes Personal in Zweifelsfällen mehr Klarheit schaffen könnte“, sagte Scheeres.

Seit Januar 2012 sind die Jugendämter per Gesetz verpflichtet, den Statistikämtern Daten über die Verfahren zur Kindeswohlgefährdung zu melden. 2007 war das Netzwerk Kinderschutz gegründet worden, nachdem mehrere tragische Fälle von Kindesmisshandlungen bundesweit Erschütterung ausgelöst hatten. Berlin führte die Hotline Kinderschutz ein, verstärkte die frühen Hilfen in der Schwangerschaft und nach der Geburt und die Kooperation von Hilfseinrichtungen. Trotzdem starb 2012 die zweijährige Zoe nach schweren Misshandlungen, obwohl Mitarbeiter des Jugendamtes Pankow die Familie betreut hatten.

Nach Angaben des Amtes für Statistik handelt es sich in zwei Drittel der 2013 gemeldeten Verfahren um Fälle von Vernachlässigung, 22 Prozent betrafen körperliche Misshandlungen, 29 Prozent psychische Misshandlungen. In rund vier Prozent der Fälle ging es um sexuelle Gewalt.

Mehr Personal wird gebraucht

Die meisten Verfahren wurden in Reinickendorf und Mitte eingeleitet, die wenigsten in Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf. Der Reinickendorfer Jugendstadtrat Andreas Höhne (SPD) weist aber darauf hin, dass sein Bezirk auch die höchste Zahl an Fällen habe, die sich als unproblematisch herausstellten oder in denen den Familien durch Unterstützungsangebote geholfen werden konnten.

Er fordert, genau wie seine Amtskollegin Sabine Smentek (SPD) in Mitte, dass zur Stärkung des Kinderschutzes vor allem mehr Personal und Ressourcen in den regionalen Diensten der Jugendämter nötig seien. „Die Kollegen in den Jugendämtern laufen alle am Anschlag“, sagte Höhne. Smentek sagte, ihr mache besonders Sorge, dass fast 25 Prozent der neu eingestellten Mitarbeiter bald wieder aufhören. „Der Stress ist groß, Zeit für Einarbeitung gibt es kaum, und in Brandenburg gibt es eine Gehaltsstufe mehr.“

Hotline-Kinderschutz: Tel. 61 00 66

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