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Berlin: Berlin-Blockade: Der Pilot und das Mädchen mit den Löwenmäulchen

Es gibt da einen Grauton - die Farbe von Lumpen und schmutzigen Füßen - das war Susanne Riedi-Joks Kindheit in Berlin. Manchmal, wenn sie in den Jahren danach zurückdachte, schimmerte etwas Helles darin; mit der Zeit wurde es schwächer und drohte schließlich ganz zu verschwinden.

Es gibt da einen Grauton - die Farbe von Lumpen und schmutzigen Füßen - das war Susanne Riedi-Joks Kindheit in Berlin. Manchmal, wenn sie in den Jahren danach zurückdachte, schimmerte etwas Helles darin; mit der Zeit wurde es schwächer und drohte schließlich ganz zu verschwinden. Sie hat dann lange erfolglos versucht, diese Erinnerung aufzufrischen. Als sie am vergangenen Freitagabend in einem Saal des Alliiertenmuseums im Arm eines festlich gekleideten 79-Jährigen liegt, ist es ihr doch noch gelungen.

Zuletzt begegnet sind sich die beiden vor gut 50 Jahren, an der Ladeluke einer Militärfrachtmaschine. Susanne war neun, Donald W. Measley 26. Es war die Zeit der Luftbrücke, amerikanische Militärmaschinen flogen Nahrungsmittel aus Westdeutschland in die von den Sowjets blockierte Stadt. Was sich erwachsene Berliner damals nicht trauten, ihren hungrigen Kindern war es selbstverständlich: das Betteln um Chocolate, Chewing-Gum und Ice-Cream. Viele wurden von ihren Eltern eigens dafür an den Tempelhofer Flughafen geschickt, die Tagesausbeute wurde später auf dem Schwarzmarkt gegen Brot und Kartoffeln getauscht.

Auch Susanne, die nach der Evakuierung gerade zurückgekehrt war und die Nächte im Freien verbrachte, stand oft am Drahtzaun. Beobachtete die MPs, wie sie mit Jeeps über die Rollbahn jagten und die Kinder kassierten, wenn sie sich zu einem der Flugzeuge, zu den spendablen US-Piloten durchzuschlagen versuchten. Eines Tages war alles anders: Das Zauntor öffnete sich, und ein Militärpolizist brachte Susanne und ein paar andere Mädchen - barfuß, blond bezopft und mit Löwenmäulchen-Sträußen in den Händen - direkt bis zu den Fliegern.

Es ging um Pressefotos. Amerika sollte wissen, wieviel Gutes seine Soldaten in Deutschland taten. "Er war ein wunderschöner Pilot", erinnert sich Riedi-Joks heute an die erste Begegnung mit Donald Measley, "und er war wie ein guter Vater zu mir." Immer wieder suchte er in den folgenden Wochen am Rollbahnrand nach Susanne, gab ihr Kaugummi, wechselte ein paar Worte - nicht mehr. Dann hoben die Sowjets ihre Blockade auf, der Pilot verschwand.

Später ging Riedi-Joks für ein "Haushaltsjahr" in die Schweiz, blieb, heiratete, bekam Kinder. Nebenbei las sie die Biografien von Nazi-Größen, das Tagebuch des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß, und Erich Fromms "Anatomie der menschlichen Destruktivität". Sie forschte nach den Ursachen ihrer kaputten Kindheit. Gleichzeitig versuchte sie über fünf Jahrzehnte, den amerikanischen Piloten wiederzusehen, von dem ihr nur ein Foto geblieben war.

Riedi-Joks hatte keine Chance. Im Kalten Krieg unterlagen Details über US-Soldaten in Europa der Geheimhaltung, auch später konnte ihr niemand helfen. Erst 1998 entdeckte sie in einer deutschen Zeitung den Namen eines Amerikaners, der in Berlin wohnte und Kontakt zu ehemaligen Luftbrücke-Piloten hielt. Mit seiner Hilfe konnte Measley, 78jährig, in Santa Barbara, Kalifornien, ausfindig gemacht werden. Zu ihrem Wiedersehen am vergangenen Freitag hat Riedi-Joks noch versucht, irgendwo in Berlin einen Löwenmäulchenstrauß aufzutreiben, doch damit konnte kein Blumenhändler dienen. Sie musste dann nicht lange überlegen, roséfarbene Rosen hat sie ihm gekauft, einen Arm voll.

Rico Czerwinski

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