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Johannes Schneider: Berlin, abgedichtet. Alltagslyrik aus der großen Stadt. Frohmann Verlag, Berlin. 184 Seiten, 20 Euro.

© promo

Berlin-Bücher: Die Schönheit der Linden

Berliner Alltagslyrik, gebunden: Johannes Schneiders „Abgedichtet“-Aphorismen aus dem Tagesspiegel

Klar, Berlin ist eine furchtbare Stadt. Dass wusste schon Goethe, als er höflich über den verwegenen Menschenschlag stöhnte. Und damals gab's noch nicht mal Döner essende Taxifahrer, bärbeißige Busfahrer und bummelige Bürgeramts-Mitarbeiter*innen. Aber irgendwas muss doch dran sein an der Stadt, sonst würden ja nur Masochisten hier leben, was offensichtlich nicht der Fall ist. Es gibt sie schließlich, die kleinen Lichtblicke, die mal unerwartet hervorblitzen, die charmanten Züge, gut versteckt zumeist, aber bei genauem Hinsehen doch erkennbar. Ja, und auch die gibt es, Bewohner, die ihre Stadt lieben und das auch zeigen, wenngleich nicht immer offensichtlich, sondern gern etwas verbrämt, ironisch gebrochen oder abgefedert in kunstvoller Verkleidung.

Die besondere Form der Liebeserklärung an eine gut gewachsene Stadt für schräge Typen durften Tagesspiegel-Leser von 2011 bis 2018 jeden Samstag als Wochenend-Goodie auf den „Mehr Berlin“-Seiten erleben. Für viele war die Rubrik „Abgedichtet“ schon ein Grund zur Vorfreude aufs große Zeitungsfrühstück. Johannes Schneider füllte sie oft genug mit Liebe, Lust und Leidenschaft. Jetzt sind seine Miniaturen gesammelt als Buch erschienen: „Berlin, abgedichtet. Alltagslyrik aus der großen Stadt“. Es ging ihm darum, „den unregelmäßig stolpernden Herzschlag der Stadt in einem Gedicht einzufangen“, wie Chefredakteur Lorenz Maroldt, an dieser Stelle selber ungewohnt lyrisch, in seinem Vorwort schreibt. Er fand in dieser Sammlung „Facetten einer Stadt, die eben auch das ist: ein Gedicht“.

Und ja, selbst die Kunst des positiven Denkens schimmert hervor, obwohl Berlin dafür wahrlich nicht berühmt ist. „Wichtige Differenzierung“ etwa geht so: „Eins, sagtest du/ früher im Jahr,/ als Blütensaft/ am Auto klebte,/ dürfe man/ nie vergessen:/ die Schönheit/ der Linden/ im Herbst.“ Auch der liebevolle Blick auf die Bewohner der Stadt, so sie nicht gerade die Politik verheddern, offenbart exakt dosierte Menschenliebe. Die „Kulturelle Vielfalt“ geht dann so: „Im Edeka/ am Spargelberg/ sucht die Hausfrau/ schälfaul dicke,/ der Hipster/ neben ihr will/ dünne Stangen -/ viele Spitzen,/ much Geschmack. Tiefster Frieden.“ Egal, ob es um „Geschichten aus der Potse“ geht oder um die „Neue Wohnung“, es wird deutlich, dass Berlin umso mehr leuchtet, je näher man ans Detail heranrückt.

Insofern enthält das Büchlein die gut gehüteten Geheimnisse der Stadt, die befreiende Lebensqualität, die findet, wer hart im Nehmen ist, ironisch und lässig. Natürlich gibt es auch sozialkritische Einschübe wie in „Kurfürstenstraße“ oder melodiöse wie in „Alt-Sponti-Freunde II“. Diese coolen Aphorismen könnte man sich auf den Schreibtisch legen, als Therapeutikum, falls man mal beim Versuch, irgendeinen notwendigen bürokratischen Akt anzustoßen oder gar auf die Reihe zu bekommen, aus lauter Verzweiflung wieder in den Computer beißt, weil die einfachsten Dinge nicht klappen in dieser Stadt. Natürlich ist sie nicht ganz dicht. Hauptsache, man kann damit umgehen.

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