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Majestät musiziert. Auch Casanova berichtet von den Flötenkonzerten Friedrichs II., die im kollektiven Gedächtnis vor allem durch das berühmte Gemälde Adolph Menzels verankert sind.

© Google Art Project

Berlin-Bücher: Frauenheld auf Jobsuche

Im Sommer 1764 kam Giacomo Casanova nach Berlin und hoffte auf Anstellung bei Hofe. Glück hatte er hier allerdings nur in der Liebe.

Stellen Sie sich vor, Sie kommen auf Jobsuche nach Berlin, erhoffen sich einen Posten in der Verwaltung. Durch glückliche Umstände erhalten Sie Zugang zum Regierungschef, der Ihnen nach dem Bewerbungsgespräch eine nicht allzu lukrative Stelle als Quereinsteiger im Schulwesen anbietet, doch Sie wollen sich erst mal die Schule ansehen. Zufällig erscheint dort Ihr künftiger Arbeitgeber, inspiziert auch die Schülertoiletten, stößt auf Spuren einer gewissen Unreinlichkeit, wäscht aber nicht den Schülern den Kopf, sondern macht den verantwortlichen Lehrer vor aller Ohren zur Minna. Wer würde da den Job noch wollen.

Eine unwahrscheinliche Geschichte? Mag sein, aber so ähnlich hat sie sich zugetragen. Zugegeben, das ist genau 256 Jahre her. Der potenzielle Arbeitgeber? Friedrich II., König von Preußen, ein Mann Anfang 50. Der Arbeitslose? Giacomo Casanova, Abenteurer, Freigeist, Frauenheld, Ende 30. Eine dieser unglaublichen Begegnungen von Menschen grundverschiedener Sphären, von denen es in der Berliner und wohl auch jeder anderen Geschichte unzählige gibt. Die auf den ersten Blick wie gut erfunden wirken, und doch sind sie wahr.

Ein Sittengemälde des 18. Jahrhunderts

Aufgeschrieben hat diese Episode aus dem Sommer 1764 Ansgar Bach, Leiter des Berliner Touristikunternehmens „Literarisch Reisen“, dazu Autor entsprechender Bücher. Dem Globetrotter Casanova gilt offenbar sein besonderes Interesse. Dessen Besuchen in Leipzig und Dresden hat er bereits Bücher gewidmet und nun eben eines über die in Berlin und Potsdam (Ansgar Bach: Casanova in Berlin und Potsdam. Seine Affären und die Begegnung mit Friedrich Illustrationen von Alexandra Bonin. Verlag Kopfundwelt, Berlin. 128 Seiten, 15 Abbildungen, 14 Euro). Bachs ausführlich zitierte Hauptquelle sind dabei Casanovas Memoiren „Histoire de ma vie“, die nur als Bekenntnisse eines Erotomanen abzutun - das sind sie selbstverständlich auch - ein schwerer, in der Rezeptionsgeschichte längst überwundener Fehler wäre. Über den amourösen Rechenschaftsbericht hinaus und weitaus gewichtiger sind Casanovas Memoiren als europaweites Sittengemälde des 18. Jahrhunderts, ein Panorama der von Persönlichkeiten wie Friedrich II. oder Zarin Katharina geprägten Gesellschaft, eine als Abenteuerroman daherkommende Studie des sozialen und kulturellen Lebens in Europa. Bei aller Aufschneiderei, die sich Casanova darin geleistet haben mag, ist es doch ein erstaunlich genaues Werk, dessen Fakten, wie von Bach an vielen Beispielen zeigt, mittels anderer Quellen überprüft und bestätigt werden können.

Glück in der Liebe. Giacomo Casanova
Glück in der Liebe. Giacomo Casanova

© imago stock&people

So lässt sich auch der Ort der peinlichen Schultoiletteninspektion durch das Staatsoberhaupt leicht bestimmen. Es ist der Alte Marstall in der Breiten Straße in Mitte, heute Sitz der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Im zweiten und dritten Obergeschoss waren provisorisch die Zöglinge einer von Friedrich geplanten Kadettenschule für pommersche Junker untergebracht, „alle im Alter von zwölf bis dreizehn Jahren“, wie Casanova leicht indigniert schreibt, „schlecht frisiert, eingezwängt in armselige Uniformen und von bäuerischer Physiognomie“. Untergebracht waren sie in spärlich möblierten Sälen, als Toilette musste das unter den Betten verstaute Nachtgeschirr genügen. Nichts für einen wie Casanova, selbst in seiner damaligen Lage.

Und die war nicht gerade rosig: In London hatte ihn die vergebliche Werbung um eine junge Engländerin an den Rand des Ruins gebracht. Der Versuch, sich anderwärtig zu trösten, bescherte ihm eine „abscheuliche Krankheit“, die nur mühsam zu kurieren war. Seine Suche nach neuen Finanzquellen führte ihn quer durch Europa nach Berlin, wo er im „Gasthof zu den drei Lilien“, Poststraße 4 im heutigen Nikolaiviertel, unterkam. Auf Anraten eines Bekannten an Friedrichs Hof bat er den König in einem Brief um Audienz, erhielt binnen kurzem die Aufforderung, sich zu bestimmter Zeit im Park von Sanssouci einzufinden.

"Wissen Sie, Sie sind ein sehr schöner Mann"

Friedrich erschien pünktlich, kam gerade vom täglichen Flötenkonzert, wie ein Diener Casanova verraten hatte. Das Gespräch verlief sonderbar, streifte sprunghaft die von Friedrich vorgegebenen, dem Kandidaten ziemlich fremden Themen, mündete in ein unerwartetes, Casanova eher verstörendes Lob: „Wissen Sie, Sie sind ein sehr schöner Mann.“

War danach viel mehr zu erwarten als die schlecht bezahlte Stelle als Erzieher von tölpelhaftem Offiziersnachwuchs? Casanova hat dennoch das Beste aus seinem Berlin-Aufenthalt gemacht, besichtigte sogar Friedrichs Privatgemächer, von deren Kargheit ernüchtert, brillierte schließlich mit einer ihm aus Kindheitstagen bekannten, nun wiedergetroffenen Tänzerin in der Rolle, die er am besten beherrschte: als Liebhaber.

Dem König teilte er über seinen Bekannten mit, dass der Job als Kadettenausbilder für ihn nicht das Rechte sei. Kurz vor seiner Weiterreise nach St. Petersburg traf Casanova den Preußenkönig noch einmal bei der Wachparade in Potsdam. Friedrich fragte nach seinen Reiseplänen und ob er denn auch Empfehlungen an die Zarin habe. „Nur an einen Bankier“, musste Casanova antworten. Seine Majestät sah das pragmatisch: „Das ist auch weit besser.“

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