zum Hauptinhalt
Das Café Kranzler (hier im Jahr 2000) war eine Institution des Wohlbehagens im alten West-Berlin.

© picture-alliance / dpa

Berlin-Bücher: West-Berlin: So lebten wir im Schatten der Mauer

Ein neues Buch über eine Zeit, die gar nicht so lange her ist: Elke Kimmel erinnert an das alte West-Berlin

West-Berlin – dazu hat jeder seine eigenen Klischees im Kopf. Kuchen im Kranzler, Linie 1, Geldscheffeln im sozialen Wohnungsbau, Benno Ohnesorg, das Pathos von Ernst Reuter und Willy Brandt.

Fehlt was? Dann steht es sicher im Buch von Elke Kimmel, die sich dem Thema weniger klassisch historisch, sondern eher über das private und persönliche Leben der West-Berliner nähert – was zwangsläufig nicht sauber zu trennen ist und natürlich trotzdem eine ganze Menge Geschichtsschreibung erfordert.
Die berlinhistorisch versierte Autorin hat dazu einen riesigen Haufen Material durchkämmt und das Leben ihres Objekts in plausible Abschnitte eingeteilt: Sie beginnt nach dem Krieg und interpretiert die Blockade 1948 als eigentliche Geburtsstunde der Halbstadt, deren Gestalt mit der Mauer 1961 zementiert wird. Es folgt das Aufbegehren der Studenten 67/68, das in die „bleierne Zeit“ ab 1975 mündet.

In der hängt die Stadt am finanziellen Tropf und beschäftigt sich lustlos mit sich selbst, bis schließlich mit dem Jubiläum 1987 das Ende der beiden Stadthälften heraufdämmert, die sich dann nach der Wende langsam aneinander zu gewöhnen beginnen. Ihr Fazit ist nüchtern und subjektiv, sie zieht es anhand der Bebauung des Potsdamer Platzes: „Die gebaute Mittelmäßigkeit... die immer ein wenig nobler aussehen will, als sie ist, könnte man als originäre Essenz West-Berlins bezeichnen.“

Bis dahin gibt es reichlich Lesestoff fürs „Ach ja, richtig“ und „Weißt du noch?“, was beispielsweise die eingehenden Schilderungen des DDR-Grenzregiments mit seinen Schikanen und periodischen Lockerungen angeht. Kimmig beleuchtet das zwielichtige Fluchthilfegeschäft, den Zuzug der türkischen „Gastarbeiter“, und am Beispiel von Inge Viett die langsame Radikalisierung eines Teils der linken Szene. Die Warteschlange für die Wohnungsinserate in der Sonntags-Morgenpost wird wieder lebendig, ebenso der vergessene Zank um Volker Hassemers „Skulpturenboulevard“, dessen prägnantestes Überbleibsel Vostells Cadillac am Rathenauplatz ist.

Dass die Berlin-Zulage für Arbeitnehmer auf sechs statt acht Prozent beziffert wird, ist allerdings ein Fehler, und auch die Rückschau auf den Bindestrich in „West-Berlin“, den das Buch übernimmt, wirkt seltsam unpolitisch – da wird als geschmäcklerisch abgetan, was ja doch die ewigen Attacken der DDR auf den Kernbereich des Vier-Mächte-Status betraf. Aber so oder so ist das ein gut lesbares Buch für ehemalige West- wie Ost-Berliner sowie alle anderen, die wissen wollen, wie das war: in West-Berlin zu leben.

Elke Kimmel: West-Berlin. Biografie einer Halbstadt. Ch. Links Verlag, Berlin. 272 Seiten, 61 Abbildungen, 25 Euro

+++

Lesen Sie mehr im Tagesspiegel - in unseren kostenlosen Newsletter aus jedem Berliner Bezirk. Ganz einfach und kostenlos bestellen unter www.tagesspiegel.de/leute

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false