zum Hauptinhalt

Berlin-Charlottenburg: Berlins erster Edel-Italiener schließt

Massimo Mannozzi wird heute 75 Jahre alt und schließt demnächst nach 49 Jahren Berlins ersten Edel-Italiener.

Er war ein Pionier und wurde zum Menschensammler, zum Missionar, zur Legende. Aus der Berliner Restaurantgeschichte ist Massimo Mannozzi nicht wegzudenken. Und nun will der Cavaliere nach 49 Jahren sein „Bacco“ in der Marburger Straße schließen.

Die schweren Tische aus Kastanienholz, die von Korbmachern geflochtene toskanische Decke, die schmiedeeisernen Gitter, die damals, 1968, in zwei Güterwaggons aus Italien nach Berlin transportiert wurden, den abgetretenen roten Teppich – all das will er zurücklassen. Die 19 Gästebücher aus abgegriffenem Leder allerdings, die Bilder an den Wänden, das Notebook mit 30 000 Fotos berühmter Menschen und den Namen „Bacco“ will er mitnehmen, heim in die Toskana, in sein gleichnamiges Hotel.

Ein Koffer bleibt freilich in Berlin, und sogar mehr. Die Wohnung will er behalten, denn sein Vermächtnis an Berlin wird er auch weiterhin besuchen. Das „Bocca di Bacco“, das sein Sohn Alessandro in der Friedrichstraße zu einem Lieblingslokal hier arbeitender Hollywood-Prominenz gemacht hat, das bleibt ja. Und den Filmball „Notte delle Stelle“ will er ebenfalls noch weitermachen, jedes Jahr am letzten Berlinale-Freitag. Ansonsten glaubt Massimo Mannozzi, der an diesem Sonnabend 75 Jahre alt wird, dass er genug getan hat.

1968 war die Zeit reif, den Berliner Geschmacksnerven eine Revolution zu verpassen

In einer ruhigen Mittagsstunde sitzt der charmante Padrone an seinem Stammplatz am Fenster, vor sich einen Brief mit roten Buchstaben auf dünnem Luftpostpapier. Den hat die Nichte kürzlich im Nachlass seines Bruder gefunden. Als Mannozzi gerade sein Ristorante in Berlin eröffnet hatte, bestellte er in diesem Brief bei seinem Bruder lauter Dinge, die bis dahin in Berlin weitgehend unbekannt waren: eine Flasche Aperol, eine Flasche Grappa, getrocknete Steinpilze, Salbei, Rosmarin ... Es war das Jahr 1968, und die Zeit war reif, den Berliner Geschmacksnerven eine Revolution zu verpassen. Einige Pizzerien gab es schon in der Stadt, aber seines Wissens nach keinen Ort, an dem richtig gut italienisch gekocht wurde.

Seine Berufung zur Kochkunst hatte der Sohn eines Töpfers aus Viareggio eher zufällig entdeckt. Als 16-Jähriger hatte er auf einem Frachter als Schiffsjunge angeheuert und wurde zum Kartoffelschälen in die Kombüse geschickt. So eng das da war, es war seine Welt, und er hatte einen weiten Horizont. Die Eltern schickten ihn dann auf die Hotelfachschule nach Venezien, von dort ging es weiter zum praktischen Einsatz in ein Schweizer Hotel.

Der erste Abend brachte gleich 360 DM Umsatz

Ciao Padrone. „Bacco“-Chef Massimo Mannozzi kann nach 49 Jahren auf eine lange Liste prominenter Gäste verweisen.
Ciao Padrone. „Bacco“-Chef Massimo Mannozzi kann nach 49 Jahren auf eine lange Liste prominenter Gäste verweisen.

© Georg Moritz

Dort traf er an der Rezeption die Berlinerin Monika, die sich ebenfalls noch in der Ausbildung befand. Sie war 17, er war 18, abends gingen sie aus. Und nun sind sie schon seit 51 Jahren miteinander verheiratet. Nach Stationen unter anderem in Düsseldorf und Kassel folgte Massimo Mannozzi seiner Frau nach Berlin. Mit seinem Bruder und dessen Frau hatten sie sich eines Abends im „Chez Nous“ in der Marburger Straße amüsiert. Gleich gegenüber war ein ehemaliger Elektroladen zu vermieten. Für 1000 DM Monatsmiete, damals eine Menge Geld, wurde man sich mit dem Hausbesitzer handelseinig. Gleich der erste Abend brachte 360 DM Umsatz.

Nicht lange nach der Eröffnung entdeckte Romy Schneider das nach dem Weingott Bacco benannte Ristorante, in dem so ganz anders gekocht wurde. Bald war sie Stammgast. Andere folgten. Davon erzählen die Gästebücher, die Massimo Mannozzi jetzt nach und nach aus dem Regal zerrt, sein kostbarer Schatz, die Erinnerungen an sein Leben. Sophia Loren kam, Claudia Cardinale und Gina Lollobrigida ebenfalls. Vor allem die großen Dirigenten, die viel international unterwegs waren und gutes Essen zu schätzen wussten, ließen sich verführen. Herbert von Karajan, der junge Simon Rattle und Landsmann Riccardo Muti.

Auch Helmut Kohl war schon zu Gast

Die Prostituierten auf der Straße waren zunächst ein Problem. Klug ließ er sie nicht barsch aus dem Lokal weisen, sondern nur „kalt bedienen“, um sie nicht zum Wiederkommen zu ermutigen. Mit umso mehr Wärme und Herzlichkeit wurden Präsident Francesco Cossiga, Rita Pavone oder Adriano Celentano empfangen. Der Padrone konzentrierte sich, wenn er nicht den anfangs öfter mal betrunkenen Koch in der Küche vertreten musste, ganz auf seine Gäste. Als Helmut Kohl nach einem Telefon verlangte und fragte, ob er auch nach außerhalb telefonieren dürfe, war das selbstverständlich kein Problem. Eher schon machte ihm dessen Bestellung von „Fritto Misto“ zu schaffen. „Zu schwer für den späten Abend“, befand er und servierte dem Kanzler stattdessen gedünsteten Wolfsbarsch.

Auch Michael Schumacher war schon Gast.
Auch Michael Schumacher war schon Gast.

© privat

Queen-Sänger Freddy Mercury fühlte sich gleich so wohl, dass er sich ans Harmonium setzte, am Ende haben sogar die Leibwächter mitgesungen. Ähnliches passierte mit Rod Stewart, der auf einen Stuhl stieg für ein spontanes Konzert. Und mancher Dirigent schwang ein unsichtbares Zepter beim Spaghettigenuss weiter. Das Bacco war ein Ort zum Runterkommen. Aber natürlich zahlten sie alle ihre Zeche wie die ganz normalen Berliner, die letztlich das Lokal zum Erfolg brachten, betont der Padrone. Viele Unternehmer kommen in den Gästebüchern ebenfalls vor, aber auch Politiker wie Willy Brandt und Sportler wie Steffi Graf oder Pelé. So viele Widmungen, die an schöne Abende erinnern. Hildegard Knef, Michail Gorbatschow, Alain Delon, Depeche Mode, Josephine Baker, Vladimir Horowitz, Michael Schumacher, es hört gar nicht wieder auf. Und zu fast allen Namen hat Mannozzi kleine Anekdoten parat. Aus Ost-Berlin kamen die russischen Botschafter und scherzten mit ihm schon in einer Zeit, als der Kalte Krieg zwischen West und Ost noch aktuell war. „Kein Problem, wenn ihr kommt“, reagierte der Italiener. „Dann mache ich statt des ,Bacco‘ ein ,Piroschka‘.“

Zwischendrin tippt er Reservierungsbestätigungen in sein Notebook. Mit Computern könne er sogar besser umgehen als der Sohn Alessandro, erzählt er stolz. Sein Selbstbewusstsein hat der Erfolg gut genährt. An die Berliner Reaktionen auf die ersten hausgemachten Ravioli erinnert er sich so: „Die Leute sind verrückt geworden“ – er sagt es mit seinem immer noch ungebrochenen charmanten italienischen Akzent. Der Erfolg hatte seinen Preis. Tochter Jessica und Sohn Alessandro bekam er selten zu sehen. „Ich glaube, sie hassen mich manchmal dafür“, sagt er heute nachdenklich.

Die Tochter von Romy Schneider unterhielt er mit Zaubertricks

Queen zu Gast in der Hauptstadt.
Queen zu Gast in der Hauptstadt.

© Privat

Dabei konnte er richtig gut mit Kindern. Romy Schneider rief ihn an einem Sonntag an. Sie wollte mit ihrem Partner Daniel Biasini und Tochter Sarah vorbeikommen. Eigentlich war Ruhetag, aber Mannozzi sagte, sie solle ruhig kommen, er wolle etwas kochen. Die kleine Sarah unterhielt er mit Zaubertricks, bis sie anfing zu lachen. Romy Schneider freute sich darüber und bat ihn, in seinem Hotel in der Toskana die 3. Etage für sie zu reservieren, weil sie so müde sei und ausruhen wolle. „Aber dann ist sie doch nicht mehr gekommen.“ Dafür kam Markus Wolf. Der ehemalige Geheimdienstchef der DDR war ein beliebter Interviewpartner bei den Journalisten aus der Gegend um Lucca. Natürlich wurde in Italien auch gern über Mannozzi geschrieben, den erfolgreichen Sohn des Landes. Die Artikel hat er aufgehoben. „Mannozzi conquista Berlino“, lautet eine Überschrift. „Mannozzi erobert Berlin“.

Die vielen Weinregale im Bacco lassen ahnen, wie sehr er sich um den Weingeschmack der Berliner verdient gemacht hat. Als er anfing, wurde noch Chianti aus 2-Liter-Bastflaschen getrunken und lieblicher Lambrusco. Er ließ dann Kisten mit Antinori kommen und Sassicaia.

Mannozzi will ein Buch schreiben. Das wird Platz für seine wertvollen Fotos brauchen

Um die Konkurrenz hat er sich nie gekümmert. „Viele sind zu mir gekommen, haben geschaut und kopiert und Personal abgeworben“, sagt er. Das nahm er mit Gelassenheit, mit manchen Padrones ist er sogar befreundet. Zum Essen geht er zu denen allerdings nicht, mit einer Ausnahme. Eine kleine Pizzeria in der Hasenheide, das „Masaniello“, hat es ihm angetan.

Er werde traurig sein, wenn er zukünftig an seinem alten Lokal vorbeikommt, weiß er schon jetzt. Aber die Erinnerungen wird ihm niemand nehmen können. Ein Buch will er auch schreiben, und das wird Platz für viele seiner kostbaren Fotos brauchen. Seinen Geburtstag will er nicht feiern: „Ich muss arbeiten.“ Noch zwei Wochen lang, bis es heißt: „Ciao Bacco“.

Zur Startseite