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Spandau ist eine Festung. Entsprechendes Gerät, gesichtet im Innenhof der Zitadelle.

© Imago

Berlin, deine Geschichte: Ach, hätte Napoleon doch länger in Spandau regiert!

Der Angriffsbefehl des französischen Kaisers aus dem Jahr 1806 ist wieder aufgetaucht. Unser Autor Bernd Matthies bedauert, dass sich Napoleon nicht durchgesetzt hat.

Der Krieg mit Napoleon im Jahre 1806 muss – gemessen an heutigen Standards – eine recht gemütliche Sache gewesen sein. Der Befehl des französischen Kaisers an seine Leute, gegen Spandau vorzurücken, las sich wie der Plan eines Betriebsausflugs: Man möge sich doch vor Tagesanbruch dort einfinden, Stadt und Brücke besetzen und die Bewohner ausfragen. Dann: Zitadelle identifizieren, den richtigen Zeitpunkt abwarten, beschießen, einnehmen. Das Beschießen entfiel dann sogar, weil der Spandauer Major kapitulierte – 970 Verteidiger gegen 20 000 Angreifer, das war kein ausgewogenes Verhältnis.

Die Preußen hatten bei Jena und Auerstedt die entscheidende Niederlage erlitten, und so herrschten die Franzosen dann gut sechs Jahre nicht nur über Berlin, sondern auch über dieses Kaff im Havelland, das wohl ziemlich muffig roch und außer der Zitadelle nichts zu bieten hatte. Als die gestärkten russischen und preußischen Soldaten 1813 von Ikea her das Feuer eröffneten, war es dann auch rasch vorbei mit der Fremdherrschaft in Spandau.

In den Blick gerückt wurde dieses Stück Geschichte, weil nun der Angriffsbefehl Napoleons von der Heimatkundlichen Vereinigung Spandaus ersteigert und erstmals öffentlich gezeigt wurde. Es ist in Zeiten von Satellitenaufklärung und herumfliegenden Drohnen kaum noch vorstellbar, wie dieser Zeitlupenangriff aus Berliner Sicht ausgesehen haben mag. Doch es hat sich der Eindruck gehalten, dass Spandau eine Art Vorposten der Hauptstadt sei, „bei Berlin“ gelegen und nicht mittendrin.

Wir fahren nach Berlin, sagen manche Spandauer

Daraus resultiert das betonte Selbstbewusstsein der Spandauer, die nach Berlin fahren, wenn sie die City meinen, und die, einmal dort geboren, ein Leben im Rest der Stadt weder für möglich noch für wünschenswert halten. Soll der soziale Aufstieg eines Kern-Spandauers durch Umzug bekräftigt werden, dann selbstverständlich in Richtung Gatow oder Kladow. Im Grunde ist das in Berlin wie in Köln mit der richtigen und der falschen Rheinseite, nur nicht so nahe aufeinander, und mit unterschiedlichen Auffassungen darüber, welche Seite die richtige sei.

Dabei ist es doch ein wenig schade, dass Napoleon nicht ein etwas länger wenigstens über Spandau geherrscht hat. Eine Vorstadt mit französischer Lebensart wäre ein hübsches Plus für die Hauptstadt, ausgerüstet mit ein paar michelin- besternten Restaurants und den dazu passenden Weinkellern. Wir würden das deutsch-französische Volksfest dort mit François Hollande und seinen Frauen feiern, bei den Galeries Lafayette am Bahnhof einkaufen…

Kann ja noch werden. Vielleicht entfaltet der Napoleon-Befehl, einmal öffentlich ausgestellt, ja doch noch einen späten Zauber.

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