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Die Last der Geschichte. Das Document Center wurde von der US-Regierung in der ehemaligen Preußischen Hauptkadettenanstalt in Lichterfelde untergebracht, die zuvor Standort der SS-Leibstandarte Adolf Hitler war. Auf dem Foto hält eine Mitarbeiterin die Mitgliedskarte Adolf Hitlers aus dem NSDAP-Archiv in der Hand.

© Bernd Settnik/dpa

Berlin Document Center: 50 Tonnen politischer Sprengstoff

Zeitungsausschnitte, Briefwechsel und eine Installation aus Hakenkreuz-Aktenordnern: Eine Ausstellung erinnert an die Bedeutung des Berlin Document Center, wo allein elf Millionen NSDAP-Mitgliedsakten liegen.

Dass sein Vater ein glühender Anhänger der Nationalsozialisten war, der auch nach dem Krieg nichts auf Hitler kommen lassen wollte, war Günter Lamprecht schon länger bekannt gewesen. Wie weit zurück die Begeisterung seines alten Herren für die Nazi-Ideologie reichte, wurde dem Fernsehkommissar aber erst bewusst, als er 1994 in den Archiven des einst von den Alliierten eingerichteten Berlin Document Center in Zehlendorf einen „Tatort“ drehte. Dabei bekam er Einblick in die Mitgliedsakten der NSDAP, die hier gelagert wurden – und fand Belege, dass Lamprecht senior bereits seit 1925 in der Partei war.

Dies ist eine der Episoden aus der Geschichte des Archivs, an die jetzt eine kleine Ausstellung in der Schwartzschen Villa in Steglitz erinnert, die noch bis zum 20. Februar zu sehen ist. Anhand von Fotos, Ausschnitten aus Akten und Zeitungsartikeln wird in der Schau „DatenReich im Verborgenen“ die wechselhafte Geschichte einer Institution nachgezeichnet, deren Arbeit bis heute brisant ist. So stammten auch viele der vor einigen Jahren bekannt gewordenen Akten, in denen Martin Walser, Siegfried Lenz oder Dieter Hildebrandt als NSDAP-Mitglieder geführt werden, aus diesem Bestand, der nach dem Abzug der Amerikaner 1994 offiziell in den Bestand des Bundesarchivs überführt wurde. Das sitzt zwar in Koblenz, aber die Akten – darunter alleine elf Millionen NSDAP-Karteikarten und eineinhalb Millionen weitere Unterlagen in schier endlosen Schubladenkästen – lagern weiterhin in Berlin, als Teil der Abteilung „Reich“ in alten Kasernenanlagen in der Lichterfelde Finkensteinallee. Hier werden die „50 Tonnen politischer Sprengstoff“, wie ein Beitrag im Ausstellungskatalog betitelt ist, seit 1994 verwaltet. In diesem Jahr wurde die Sammlung von ihrem ersten Standort, der heute denkmalgeschützten einstigen Gestapo-Abhörzentrale am Wasserkäfersteig in Zehlendorf, in den Nachbarbezirk verlegt.

Die Ausstellung vermittelt, wieso diese bis heute von Behörden, Forschern, Journalisten und in letzter Zeit zunehmend auch Privatleuten genutzte Datensammlung von so unschätzbarem Wert für die Aufarbeitung der deutschen Geschichte war und ist. Und sie erzählt, wie sie beinahe mit dem Ende des Nazi-Reiches verloren gegangen wäre: Nur einem mutigen bayerischen Papiermüller ist es zu verdanken, dass die NSDAP-Unterlagen beim Heranrücken der Front im Frühjahr 1945 nicht wie befohlen vernichtet, sondern den Amerikanern übergeben wurden, wie ein Beitrag von Archivar Heinz Fehlauer im Ausstellungskatalog beschreibt. Der Katalog wurde wie die Ausstellung von der Politologin und Kunsthistorikerin Sabine Weißler, Leiterin des Kulturamtes Steglitz-Zehlendorf, sowie dem Historiker Wolfgang Schäche zusammengestellt.

Zeitungsausschnitte, Briefwechsel und eine Installation aus Original-Aktenordnern mit Hakenkreuzen auf dem Einband führen in frühere Jahrzehnte, erzählen von der immensen Bedeutung des Aktenbestandes für die Entnazifizierung und den langen politischen Auseinandersetzungen über die Frage, in welchem Umfang und für wen die Akten einsehbar sein sollen. Dabei gab es eine Zweiklassengesellschaft der Forscher: Wer, wie einst die heutige Kulturamtsleiterin, als Berliner in den Akten forschen wollte, unterlag deutlich restriktiveren Regeln als Wissenschaftler, die aus „Westdeutschland“ kamen – was Weißler umging, indem sie einfach einen Antrag über die westdeutsche Adresse ihrer Eltern stellte, wie sie beim Rundgang durch die Ausstellung lachend erzählt. Auch lässt sich in Zeitungsberichten noch einmal der „Aktenskandal“ nachempfinden, der das Berlin Document Center 1988 erschütterte: Um die 30 000 Unterlagen aus dem angeblich von den Amerikanern so streng gehüteten Dokumentenschatz landeten damals auf Trödel- und Militariamärkten – was der Forderung Auftrieb verlieh, die Bestände endlich dem Bundesarchiv zu unterstellen.

Ausstellung „DatenReich im Verborgenen“, bis 20. Februar in der Galerie Schwartzsche Villa, Grunewaldstraße 55, Steglitz, Di-Fr/So 10-18 Uhr, Sa 14-18 Uhr, Eintritt frei, Katalog 10 Euro

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