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Marktplatz mit Kletterkegel im Eingangsbereich. Bis das RAW-Gelände so aussieht, werden noch viele Monate vergehen.

©  Kurth-Gruppe

Berlin-Friedrichshain: RAW-Gelände soll offen für alle bleiben

Das ehemalige Reichsbahnausbesserungswerk in Friedrichshain soll Touristen, Berliner und Sinnsucher anziehen – und ein Standort für Gewerbe bleiben.

Auf dem RAW-Gelände geht es endlich voran – wenn es auch noch keinen Aufstellungsbeschluss, geschweige denn einen neuen Bebauungsplan gibt. Dennoch investiert die Göttinger Kurth-Gruppe rund 10,5 Millionen Euro in die älteste Halle auf dem Areal des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW). Probenräume und Tonstudios sollen hier die Keimzellen eines „House of Music“ werden. Mit dem Geld – ursprünglich waren 6 Millionen Euro veranschlagt – wird die Ruine der ehemaligen Radsatzdreherei wieder in ein Haus verwandelt. Damit sich die Musiker nicht beim Proben gegenseitig stören, wurden die neuen Räume noch einmal extra schallisoliert. Auch das kostet. 2019 soll die Eröffnung sein.

Die kriegszerstörte – später notdürftig geflickte – sogenannte Halle 20 wird derzeit aufwendig saniert. Das Geld wird in eine nicht denkmalgeschützte Substanz investiert. In wenigen Monaten sollen diese 4500 Quadratmeter zum „House of Music“ werden. Der erste neue Mieter kommt aus dem Kiez und passt zum RAW-Gelände, versichert Lauritz Kurth.

Die Kurth-Gruppe ist seit drei Generationen im Bau- und Immobilienbereich tätig. „Gegründet wurde das Unternehmen in den sechziger Jahren von unseren Großeltern in Göttingen, dann kam unser Unternehmen bereits von unseren Eltern geführt Mitte der 80er Jahre nach Berlin“, erzählt Enkel Lauritz Kurth im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

Weiterhin Gewerbenutzung

Die Kurth-Gruppe kauft, hält ihre Wohn- und Gewerbeobjekte im Bestand und entwickelt sie weiter. Das betont Kurth junior vehement. Mehrfach schon hätte man durch einen Wiederverkauf finanziell einen schönen Schnitt machen können. Doch Kurth ist fest entschlossen, das Gelände bis zum Ende zu entwickeln: „Keiner nimmt zehn Millionen Euro in die Hand, ohne die Entwicklung wirklich ernsthaft zu betreiben“, sagt er mit Blick auf die alte Radsatzdreherei.

Die Investoren haben akzeptiert, dass der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gerne weiterhin Gewerbe als Nutzung sieht. „Wir sind bereit, uns den Wünschen anzupassen.“ Dabei wäre das RAW-Gelände ein perfekter Wohnstandort. Der S-Bahnhof Warschauer Straße ist fußläufig in zwei Minuten zu erreichen, es verkehren hier die U- und Straßenbahnen. Ein Knotenpunkt der Stadt – aus allen Richtungen erreichbar.

Kurth hat die Stadt inzwischen so gut kennengelernt, dass er versteht, dass auch Gewerbetreibende ihre Flächen brauchen. „Wir wollen so viel Gewerbe zulassen wie möglich“, sagt er: „Das nimmt Druck aus dem Umfeld.“ Ein bisschen Sport in Form von Bouldern auf dem Kletterkegel, ein bisschen Flaniermeile, ein bisschen Freizeitquartier mit Rückzugsgebieten dürfen gerne auch mit dabei sein. Das Flair lässt sich nicht künstlich herstellen, muss aus dem alten Industriecharme heraus entwickelt werden.

Hans-Rudolf (63) und Lauritz Kurth (30) sind die Investoren des RAW-Geländes Friedrichshain.
Hans-Rudolf (63) und Lauritz Kurth (30) sind die Investoren des RAW-Geländes Friedrichshain.

©  DAVIDS/Sabine Gudath

Nur mit dem Gedanken an ein Naherholungsgebiet auf dem RAW-Gelände würden sich die Kurths wohl schwer tun. Alles in allem soll hier ein buntes Angebot entstehen: für Touristen, für Berliner, für Sinnsucher, für Gewerbetreibende. Oder – anders ausgedrückt – geht es hier um kleinteiligen Einzelhandel, Gastronomie und Büros. Das RAW-Gelände soll baurechtlich als „Kerngebiet“ festgeschrieben werden. Es dient der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur – so steht es im Gesetz.

"Orte der Begegnung"

„Das alles muss sich entlang der Bedarfe entwickeln“, sagt Lauritz Kurth, „denn alles was unattraktiv wird, ist für uns letztlich grausam.“ Deshalb seien auch langfristige Verträge abgeschlossen worden – „damit man langfristigen Bestand hat“. Das RAW hat vor 150 Jahren als Industriestandort begonnen. „Und diese spezielle DNA möchten wir erhalten“, sagt Kurth: „Das tägliche Leben soll hier stattfinden, Arbeit und Versorgung aller Bedarfe für das direkte Umfeld und die Stadt. Menschen möchten dort, wo sie wohnen, auch arbeiten und sich fortbilden. Sie möchten sich erholen und Sport treiben. Sie wollen Orte der Begegnung, die integrieren und nicht ausgrenzen. Orte, die Sicherheit und Aufenthaltsqualität bieten.“

Allein das sogenannte soziokulturelle L möchte Kurth im Bebauungsplan als Sondergebiet ausgewiesen sehen – so sollen die Angebote langfristig gesichert werden. Das Soziokulturelle L ist ein Bestandgebäude-Ensemble, das vielfältige kulturelle und gesellschaftliche Mitwirkung in der Innenstadt ermöglichen soll und bereits ermöglicht. Die Kurths sprechen derzeit mit der GSE gGmbH, die 1988 per Senatsbeschluss vom Land Berlin beauftragt wurde, unter gemeinnützigen Bestimmungen Räumlichkeiten für die besonderen Bedarfsgruppen des Wohnungsmarktes zu akquirieren und zu sichern. Sie könnte als Generalmieter für das Soziokulturelle L auftreten. Die GSE eGmbH kümmert sich zur Zeit zum Beispiel um das Künstlerhaus Bethanien.

Das RAW-Gelände kannten Lauritz Kurth und sein Bruder Cornelius schon länger: Sie besuchten in der Freizeit Konzerte dort. „Dieses Areal hat ein riesengroßes Potenzial!“, sagt Kurth und meint das durchaus auch räumlich. Von den 51.000 Quadratmetern sind nach seinen Angaben weniger als 20.000 Quadratmeter bebaut. Genau besehen, hat man es hier mit einer Brache zu tun. Trotz der Größe der erworbenen Flächen: Kurth würde gerne der Stadt noch einen schmalen Geländestreifen an der Warschauer Straße abkaufen – „gegen entsprechende Kompensation“, wie er betont. Dann könnte das neue RAW-Gelände bündig am Gehweg abschließen.

Drehkreuz für Ideen

In der weiteren Planung möchten die Unternehmer bis Ende dieses Jahren einen Masterplan reifen lassen. Sie hoffen auf einen Aufstellungsbeschluss Anfang 2019. „Wir sind ohne ein handfestes Ergebnis seit dreieinhalb Jahren dabei“, sagt Kurth. Die jetzige Lage sei auch für das städtische Umfeld nicht befriedigend. Es gibt viele alltägliche Probleme: Verschmutzung und Vermüllung, nächtliche Licht- und Lärmemissionen, Kriminalität.

Es mangelt an verantwortungsvollem Umgang, findet nicht nur Kurth. Das Gelände hat sich zum einem Fremdkörper im städtischen Umfeld entwickelt. „Wir sind dabei, das Gelände wieder Nutzungen zuzuführen, die diesen Problemen entgegenwirken“, verspricht Kurth junior und nennt zwei Beispiele . „Bis vor kurzem haben wir monatlich bis zu 70.000 Euro für verbesserte nächtliche Sicherheit ausgegeben. Über 200.000 Euro wurden für die Instandhaltung des Beamtenwohnhauses von 1896 und der restlichen sogenannten soziokulturellen Bereiche investiert.“ Beleuchtung und Infrastruktur auf dem Gelände wurden verbessert.

Alles in allem soll das RAW ein Drehkreuz für Ideen werden. „Offen für alle“, sagt Kurth. Nicht nur nachts, sondern auch tagsüber soll hier das Leben toben. „Diese Vision ist offen, sie bedeutet eine Erweiterung über die jetzige Nutzung, die wir soweit wie möglich erhalten möchten, hinaus.“ Die Instandsetzung der ehemaligen Radsatzdreherei als „House of Music“ soll dabei einer der ersten Schritte sein. „Weiterhin wollen wir die historischen Schienen und das Kopfsteinpflaster erhalten, aber das Gelände – auch für eine barrierefreie Durchwegung, die es derzeit nicht gibt – modernisieren. Wir wollen nicht durch kurzfristiges Gewinnstreben das Gelände erneut zum Spekulationsobjekt machen.“  Das ist schwer zu hoffen.

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