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Das Torhaus der „Gartenstadt Neu-Tempelhof“, des heutigen Fliegerviertels am Tempelhofer Damm.

© akg-images / Paul W. John

Berlin-Geschichte: Endlich Neubauten in Tempelhof!

Schon einmal gab es Pläne für Wohnungen am Tempelhofer Feld. Vor 100 Jahren sollte hier ein Stadtquartier für 70 000 Menschen entstehen – aus ganz ähnlichen Gründen wie heute.

Die Idee, auf dem Tempelhofer Feld einen Flughafen zu bauen, ist den Berlinern zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch ungreifbar fern. Das weite Feld erscheint dafür viel zu kostbar. Dabei ist der Himmel hier voll von tollkühnen Männern in fliegenden Kisten. Im August 1909 kreist Ferdinand Graf Zeppelin mit seinem Luftschiff über dem Feld, bejubelt von 300 000 Berlinern. Einen Monat später führt der amerikanische Flugpionier Orville Wright seine Künste vor, wenige Tage darauf gelingt dem Franzosen Hubert Latham der erste Überlandflug von Tempelhof zum Flugplatz Johannisthal.

Doch während die Luftikusse Kapriolen drehen, drücken die Reichshauptstadt bodenständige Probleme. Seit 1877 hat sich die Bevölkerung Berlins in nur drei Jahrzehnten auf zwei Millionen Einwohner verdoppelt. Hunderttausende hausen unter teils menschenunwürdigen Verhältnissen in Mietskasernen. Die Wohnungsnot ist dramatisch, die Grundstückspreise heben ab, Spekulanten haben hochfliegende Träume. Und zwar von Ziegelsteinen.

Die Offerte des Militärfiskus, der 1908 als mehrheitlicher Eigentümer den Westteil des Tempelhofer Feldes zum Verkauf anbietet, löst fieberhaftes Interesse aus. Der damalige Übungsplatz der Berliner Garnison ist die letzte große unbebaute Fläche im Süden der Stadt, damals noch um knapp die Hälfte größer als die heutige Fläche. Das zum Verkauf stehende rund 150 Hektar große Areal reicht westlich des heutigen Tempelhofer Damms bis zum Eisenbahngraben der Dresdner Bahn an der Grenze zu Schöneberg.

Das Bauland ist begehrt. Der Berliner Magistrat gehört ebenso zu den Bietern wie die Dorfgemeinde Tempelhof, auf deren Gebiet das Gelände liegt. Freilich kann die Gemeinde das notwendige Kapital für das größte Grundstücksgeschäft im Reich nicht aus eigener Kraft aufbringen. Im Hintergrund drängt der Kreis Teltow zu der Großinvestition, der sich gerade erst mit dem Bau des Teltowkanals verspekuliert hat. Vom Grundstückskauf und der Vermarktung an Bauträger erhoffen sich Kommunalpolitiker und Investoren die Rettung aus der Schuldenfalle. Die „im Kreise maßgebenden Persönlichkeiten“ handelten wie „waghalsige Spieler“, schreibt das Branchenblatt „Die Bank“ im Jahr 1910. „Sie verdoppeln den Einsatz, um den Verlust wieder wettzumachen.“

Das Eckhaus am damaligen Hohenzollernkorso, heute Manfred-von-Richthofen-Straße
Das Eckhaus am damaligen Hohenzollernkorso, heute Manfred-von-Richthofen-Straße

© akg-images / Paul W. John

Ein riskantes Geschäft. Die Deutsche Bank und die unterbeteiligte Dresdner Bank stellen der Gemeinde Tempelhof die nötigen Kredite zum Kauf des Feldes bereit. Es ist das bis dato teuerste Grundstücksgeschäft im Deutschen Reich: Für den Rekordkaufpreis von 72 Millionen Mark, die nun als Schulden auf der Gemeinde lasten, geht der Kreis Teltow eine Bürgschaftsverpflichtung ein. Diese wiederum sichern die Banken ab – allerdings nur bis zu einer Höhe von 25 Prozent. „Eine vielsagende Beschränkung!“, schreibt die Bank-Fachzeitschrift und attestiert den Kommunalpolitikern „die leichtherzige Übernahme eines Risikos, das jeden Privatmann in die Gefahr brächte, entmündigt zu werden“.

Der Natur wird zerstört, Hochhäuser sollen entstehen - Argumente von damals

Die Entwicklung des Gebiets beginnt vielversprechend. Im Rahmen des Wettbewerbs Groß-Berlin wurde 1910 der Stadtplaner Hermann Jansen für seinen Bebauungsplan für das Tempelhofer Feld prämiert. Seine Entwürfe sehen ein neues Quartier mit fünfgeschossigen Mietshäusern für 70.000 Menschen vor, durchkreuzt von vier Hauptboulevards. Großzügige Grünflächen und weite Plätze prägen das Bild. Von der damaligen Stadtgrenze Berlins im Norden an der Dreibundstraße (der heutigen Dudenstraße) unterhalb des Kreuzberger Viktoriaparks bis hinab zur Ringbahn am südlichen Rand durchzieht das Gebiet ein Parkgürtel, dessen breiteste Stelle 180 Meter misst. Die Deutsche Bank lässt bald darauf durch die von ihr gegründete „Berlinische Boden-Gesellschaft“ einen weiteren Bebauungsplan erstellen. Komfortable Mietshäuser mit Wohnungen von drei bis zehn Zimmern sollen nach Entwürfen des Jugendstil-Architekten Bruno Möhring entstehen.

Finanzexperten sind von Beginn an skeptisch, dass sich Reformsiedlungspläne mit luftigen Parzellen und hellem Wohnraum im Grünen für Privatinvestoren rechnen. Allein durch den hohen Kaufpreis und die Gewinnerwartungen der Banken werde das Tempelhofer Feld der „Privatspekulation, also dem Mietskasernensystem“ ausgeliefert, befürchtet der Autor der Zeitschrift „Die Bank“. Seine Befürchtungen klingen verblüffend ähnlich wie die der Bebauungsgegner ein Jahrhundert später: „So soll also auf der letzten großen Landreserve in der unmittelbaren Nähe Berlins der fünfstöckigen Behausungsform eine neue Förderung zuteil werden und zugleich damit die einzige Erholungsstätte des südlichen Groß-Berlins, das bekanntlich von Wald völlig entblößt ist, von der Landkarte verschwinden.“

Dann kam der Erste Weltkrieg

Doch zunächst durchkreuzt der Erste Weltkrieg die Entwicklung des Feldes. Bis 1914 werden gerade einmal 56 private Mietshäuser gebaut: das Altbauquartier westlich des ehemaligen Flugfelds in der Nähe des heutigen Platzes der Luftbrücke. Auch Teile des Grünzugs werden angelegt, die bis heute als Parks bestehen. Ab 1919 tritt die hoch verschuldete Gemeinde Tempelhof die Grundstücke ab – für einen Bruchteil der ursprünglich erwarteten Gewinne.

Neue Perspektiven eröffnen sich 1920 mit der Bildung Groß-Berlins und der Eingemeindung Tempelhofs. Die neu gegründete „Gemeinnützige Tempelhofer-Feld-Heimstätten GmbH“, an der Berlin mit 75 Prozent des Grundkapitals von fünf Millionen Mark beteiligt ist, kann etwa 100 Hektar des Areals erwerben. Die Initiative dafür geht von dem Sozialdemokraten Adolf Scheidt aus. Der Staatssekretär im neu gebildeten preußischen Wohlfahrtsministerium setzt sich für eine aufgelockerte Bauweise mit zwei- bis dreigeschossigen Eigenheimen nach dem Vorbild der englischen „Garden Cities“ ein.

Sein Verbündeter wird der Tempelhofer Stadtbaurat und Architekt Fritz Bräuning, unter dessen Federführung die „Gartenstadt Neu-Tempelhof“ mit rund 2000 Wohnhäusern entsteht. Zu jedem Grundstück gehört ein Garten. Die Häuser mit Drei- bis Fünf-Zimmer-Wohnungen, die zunächst Kriegsteilnehmern und ihren Familien angeboten werden, sollen sich auch Durchschnittsverdiener leisten können. Von den Baukosten zwischen 13 000 und 20 000 Goldmark müssen die Käufer 3000 bis 5000 Goldmark aus eigenen Mitteln aufbringen, den Rest können sie über Darlehen finanzieren.

Heute gehört das Quartier westlich des Flugfelds, auch bekannt als Fliegerviertel, zu den begehrtesten innerstädtischen Wohnlagen.

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