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Polizisten sperren eine Straße in der Nähe des Tatortes ab.

© dpa

Update

Berlin-Gesundbrunnen: Psychisch Kranker ersticht Betreuer

Polizei nahm 30-Jährigen nach stundenlanger Großfahndung fest. Tatverdächtiger saß zuvor bereits jahrelang wegen versuchten Totschlags im Maßregelvollzug.

Ein Patient hat am Freitag in einer Einrichtung für psychisch Kranke einen Pfleger erstochen – danach flüchtete er und versteckte sich über Stunden vor der Polizei. Die Beamten suchten mit Hilfe eines Hubschrauber und eines Spezialeinsatzkommandos im einstigen Altbezirk Wedding nach dem Mann, einem 30 Jahre alten, vorbestraften Tschetschenen.

Nach einer vierstündigen Flucht wurde der Gesuchte in der Nähe des Tatortes festgenommen. Eine Mordkommission ermittelt. "Gegen den Beschuldigten ist antragsgemäß ein Unterbringungsbeschluss ergangen" erklärte die Staatsanwaltschaft am Samstag, "er befindet sich in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung".

Während der Fahndung hatten die Beamten ausdrücklich davor gewarnt, sich dem Mann mit auffälligem Vollbart zu nähern: „Bitte melden Sie verdächtige Beobachtungen im Nahbereich sofort über unseren Notruf 110 und treten Sie nicht selbst an den Verdächtigen heran“, gab die Polizei über Twitter bekannt.

Der Tatverdächtige war zwischen Juni 2009 und März 2016 im Maßregelvollzug

Bei dem 30-jährigen Tatverdächtigen soll es sich um einen Mann aus Grosny handeln, der zwischen Juni 2009 und März 2016 im Berliner Maßregelvollzug untergebracht war. Einen entsprechenden Bericht der „B.Z.“ bestätigten Justizkreise dem Tagesspiegel. Im Maßregelvollzug, einer Art Haftanstalt für psychisch Kranke, soll der Mann nach einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags eingesessen haben. Das Gericht soll ihm damals zur Auflage gemacht haben, eine Ausbildung abzuschließen und Drogen zu meiden.

Nach Tagesspiegel-Informationen wohnte der Mann wie einige andere Patienten in der Therapieeinrichtung in der Wiesenstraße, in der er am Freitag zugestochen hat. Das 39-jährige Opfer des Angriffs soll als Sozialarbeiter in der Wohneinrichtung gearbeitet haben. Zeugen, die den Angriff gesehen haben, erlitten einen Schock und mussten ärztlich betreut werden.

Angriffe auf Mitarbeiter im Gesundheitswesen nehmen zu

Angriffe auf Mitarbeiter in Kliniken, Heimen und Praxen gibt es regelmäßig. Genaue Zahlen dazu fehlen – von Mitarbeitern im Gesundheitswesen ist zu hören, die Häufigkeit solcher Taten nähme zu. So werden in den Rettungsstellen vieler Kliniken inzwischen Wachschützer eingesetzt. Immer wieder waren Pflegekräfte und Ärzte beschimpft, bespuckt, bedroht worden. Seit einigen Jahren, das berichteten am Freitag zwei Pfleger aus Stationen in Mitte und Friedrichshain, gebe es auch öfter Schläge und Tritte: Um bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht zu diskriminieren, aber auch weil im Arbeitsalltag wenig Zeit bleibe, meldeten viele Kollegen solche Vorkommnisse nicht.

Die Gewerkschaft Verdi, die Pflegekräfte vertritt, schreibt in einer Einschätzung von 2017, dass über die „Gewalt gegen Beschäftigte in der Psychiatrie“ lange Zeit nicht öffentlich gesprochen worden sei. Es habe eine große „Furcht vor Stigmatisierung der Patienten“ bestanden. Dabei müsse leider „von einer erheblichen und belastenden Zunahme“ von Gewalt, der Beschäftigte im Arbeitsalltag ausgesetzt sind, ausgegangen werden. Dies hätten Nachfragen bei Personalvertretern ergeben.

In den 100 000 Arztpraxen Deutschlands wurden durchschnittlich 288 Fälle körperlicher Gewalt gezählt

Auch die Experten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) wissen um solche Taten. Eine Umfrage der DGPPN 2016 hatte ergeben, dass 37 Prozent der stationär tätigen Kollegen innerhalb eines Jahres von einem Patienten attackiert worden sind. Und selbst in ambulanten Einrichtungen, in die Patienten also allenfalls für einige Stunden kommen, waren demnach 13 Prozent der Mitarbeiter in den zurückliegenden zwölf Monaten geschlagen oder getreten worden.

Die DGPPN lädt für Ende November zu einem Fachkongress nach Berlin ein. Dort soll über „Ansätze zur Vermeidung von Gewalt und Aggression in der psychiatrischen Versorgung“ gesprochen werden. Gewalt gibt es offenbar auch in Hausarztpraxen. Im Mai dieses Jahres stellte die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der NAV-Virchow-Bund eine Studie vor, derzufolge in den rund 100 000 Arztpraxen in Deutschland durchschnittlich 288 Fälle körperlicher Gewalt pro Arbeitstag gezählt.

In Berlin war vor zwei Jahren ein Arzt von einem Patienten erschossen worden. Ein 72 Jahre alter Mann tötete einen seiner behandelnden Ärzte auf dem Charité-Campus in Steglitz.

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