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Berlin: Berlin ist seltener eine Reise wert

Erstmals seit Jahren stagniert die Besucherzahl

Die erfolgsverwöhnte Tourismusbranche hat überraschend einen Dämpfer einstecken müssen, den ersten seit vielen Jahren. Im ersten Halbjahr stieg die Zahl der gebuchten Übernachtungen in- und ausländischer Gäste nur noch um 1,9 Prozent. Bei deutschen Gästen gab es sogar einen Rückgang um 0,5 Prozent, der jedoch durch ein Auslandsplus von 5,7 Prozent ausgeglichen wurde. „Ich bin enttäuscht“, sagte der Chef der Tourismus-Gesellschaft BTM, Hanns Peter Nerger. Der scheidende Geschäftsführer sprach von einer „Durchhängephase“.

Wie lange diese andauern wird, ist unklar. Die Zahl britischer Touristen – traditionell der wichtigste ausländische Markt – sank im ersten Halbjahr um 8,5 Prozent. Die Engländer sparen, weil ihr Land in einer Wirtschaftskrise steckt, hieß es bei der BTM. Sollten mehr Länder in eine Rezession steuern, dürfte dies dort ebenfalls die Reiselust dämpfen. Positive Zahlen gab es aus Osteuropa – auch, weil deutsche Botschaften mehr Visa erteilten.

Völlig offen ist die Größenordnung des Risikofaktors Ölpreis. Die Zunahme der Berlin-Besucher beruhte stark auf dem Boom bei den Billigfliegern. Wie berichtet, hat die Flugbranche wegen des drastisch gestiegenen Ölpreises bereits die Flugpläne ausgedünnt und die Tickets verteuert. „Es ist möglich, dass sich das noch auswirken wird“, befürchtet Nerger.

Geradezu erschreckend sind die Zahlen für den Monat Juni, der letzte, der vom Statistischen Landesamt ausgewertet wurde: Im Juni sank die Zahl der Übernachtungen im Vergleich zum Vorjahresmonat um 2,7 Prozent. Die Rückgänge sind teilweise dramatisch: China minus 24 Prozent, Indien minus 35 Prozent, Japan minus 18 Prozent, Schweiz minus 21 Prozent. Plausible Begründungen gibt es so gut wie keine. „Irritierend“, so Nerger, sei zum Beispiel, dass die Zahl der Flugreisenden aus der Schweiz um 19 Prozent gestiegen ist. Wo die geblieben sind, wenn nicht in den 97 000 Hotelbetten, sei nicht nachvollziehbar, sagte Nerger – entweder am gleichen Tag nach einer Shopping-Sause wieder zurückgeflogen oder bei Verwandten untergekommen. Das Minus aus Asien ist besonders bemerkenswert. Denn die Gäste der Zukunft sollen „nicht aus Bochum oder Peine kommen, sondern aus Bombay und Peking“, hatte der designierte Nachfolger von Nerger, Burkhard Kieker, im Februar gesagt. Ausländische Gäste, vor allem Fernreisende, sind besonders begehrt in der Branche, weil sie länger bleiben und mehr ausgeben. In den vergangenen zehn Jahren war es der BTM gelungen, den Anteil der Ausländer von 25 auf 40 Prozent zu steigern.

Hanns Peter Nerger zeigte sich pessimistisch, ob es gelingen wird, die gesteckten Ziele zu erreichen. Bis 2010 sollte die Zahl der Übernachtungen jährlich um eine Million auf 20 Millionen steigen: „Das wird schwer.“ In den vergangenen Jahren hatten die Zuwächse regelmäßig bei zehn Prozent gelegen, für 2008 war Nerger von fünf Prozent Plus ausgegangen.

Angesichts des Rückschlags kritisierte Nerger scharf das Desinteresse des Handels an Tourismuswerbung. Besucher bringen jedes Jahr acht Milliarden Euro nach Berlin, davon kassiert der Handel 40 Prozent. Doch die Branche verweigere einen nennenswerten Beitrag zur Berlin-Werbung, sagte Nerger. Nils Busch-Petersen, der Hauptgeschäftsführer des Berliner Handelsverbandes, bestätigte, dass pro Jahr nur 30 000 bis 50 000 Euro für Kampagnen mit der BTM zusammengekratzt werden. „Ich verstehe Nergers Unmut“, sagte Busch-Petersen. Doch es sei „sehr schwer“, den Einzelhändlern klarzumachen, wie sehr sie von den Touristen profitieren. Trotz der gedämpften Aussichten ist das Interesse der Hotelbranche an der Stadt ungebrochen. Bis 2011 wird es 103 000 Betten geben. Jörn Hasselmann

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