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"Berlin? Boah geil, da war ich letztens im Urlaub!"

© Collage: Henriette Teske

Berlin Kolumne: Unsere Selbstliebe und eine Prise Bescheidenheit

Berlin ist arm. Berlin ist dreckig. Berlin ist laut. Und es stinkt… nach Eigenlob

Jemand fragt mich, wo ich herkomme. Mein Lieblingsthema. Ich hole tief Luft und mustere meinen Gegenüber mit einem mitleidigen Blick. Dann sage genüsslich: „Aus Berlin.“ Ich lasse eine Kunstpause, um meinen Worten die nötige Wichtigkeit zu verleihen. Mein Gegenüber starrt mich einige Sekunden mit offenem Mund an. Dann reißt er oder sie sich aus der Bewunderungsstarre und brüllt: „Boah geil, da war ich auch letztens im Urlaub!!!“ Ich schaue ein bisschen gelangweilt, verziehe herablassend meinen Mund und warte noch einige Zeit, bis ich das Gespräch fortsetze. Dann frage ich betont lässig: „Und du so?“

Der Rest ist eigentlich nicht so wichtig. Mein neuer Fan nennt den Namen von irgendeinem Kuhdorf oder einer Kleinstadt, von der ich natürlich noch nie etwas gehört habe. Brauche ich auch nicht. Ich übergehe den unspektakulären Herkunftsort und beginne einen mehrstündigen Vortrag über die Hauptstadt, bis sich mein Selbstbewusstsein größer anfühlt als der Fernsehturm.

Eigentlich wollen doch alle hierher, oder?

Diese Schilderung ist eventuell leicht übertrieben. Trotzdem können wir Berliner uns manchmal nicht retten vor Stolz, wenn es um unsere Stadt geht. Eigentlich wollen doch alle hierher, denken wir. Und alle, die etwas anderes sagen, lügen sich selbst an.

Da tatsächlich viele gern Berlin besuchen, wimmelt es von Touris, was uns wiederum gar nicht passt. Zum Beispiel regen wir uns darüber auf, wenn sie den Mauerparkflohmarkt bevölkern („Alter, hier spricht ja niemand mehr Deutsch!!!“) und wären dort eigentlich lieber unter uns. Dabei sind doch Weltoffenheit und Toleranz genau die Eigenschaften, die wir an Berlin so lieben und auch lautstark in unseren mehrstündigen Lobeshymnen anpreisen, oder? Vielleicht wäre die Berliner Luft noch viel wohltuender, wenn wir ab und zu eine Prise Bescheidenheit untermischen würden …
Das ist ein Beitrag unseres neuen Jugendmagazins "Der Schreiberling". Folgt uns doch auf Facebook unter www.facebook.de/Schreiberlingberlin

Henriette Teske

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