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Volle Bühne. Predigt und Lieder wurden in Gebärdensprache übersetzt.

© Foot: Kitty Kleist-Heinrich

Berlin-Kreuzberg: Mit Gott am Grill

„70 Jahre Frieden“: Freiluft-Gottesdienst und Kiezfest vor der St.-Lukas-Kirche.

Die Kirchenleute sprechen eingangs mit verteilten Rollen und machen sich gegenseitig ihre Wörter kaputt: Sagt einer „Arm“, sagt der nächste „Mut“, sagt der nächste „Gewalt“, heißt es danach „los“. „Ihr dreht alles um!“, ruft Mica Young, Pfarrerin aus den USA, und dann rufen alle „Gott dreht alles um!“ Das ist fast ein bisschen Gospel und wird umweht von beißendem Holzkohlegeruch, zartem Brutzelwürstchenduft und frohem Kinderkreischen aus der Hüpfburg. Denn der Freiluft-Gottesdienst, der am Sonntag um 14 Uhr auf einer schmalen langen Bühne vor dem Portal der St.-Lukas-Kirche stattfand, eröffnete zugleich das Straßenfest in der kleinen Bernburger Straße in Kreuzberg, das von der Berliner Stadtmission veranstaltet wurde.

Es war ein gemeinsames Freudenfest. Gefeiert wurde die Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, „70 Jahre Frieden“, hieß das Motto. Und das gehörte mit zu Gottes Umdrehleistungen: Er hat Krieg zu Frieden gemacht. 70 Jahre!, so lange habe der Frieden in Europa noch nie gedauert, sagte Mica Young, deren amerikanischer Akzent dennoch gut zum Anlass passte.

Auf den Bierbänken, die vor der Bühne aufgestellt waren, hatten reichlich Besucher Platz genommen, als es mit Gesang losging: „Friede, Friede, Friede sei mit dir!“ Ein Chor stimmte ein, und zwei Dolmetscherinnen übersetzten in Gebärdensprache. Denn weil die St.-Lukas-Kirche auch Sitz der Gehörlosenseelsorge ist, waren viele Besucher da, die nicht hören oder sprechen können. Ihrer Teilhabe tat das keinen Abbruch: Während die einen auf den Besucherbänken mitsangen, gestikulierten die anderen ebenso textsicher.

Mica Young trug eine Stelle aus Jesaja aus dem Alten Testament vor, die, in der Schwerter zu Pflugscharen werden und Spieße zu Sicheln, weil die Menschen nicht mehr lernen, Krieg zu führen. Für die Gehörlosen im Publikum wurde aus der Bibelstelle eine Performance: Eine junge Frau kam auf die Bühne, stampfte in Stiefeln hin und her, warf eine blutrote Jacke von sich, zog auch die Stiefel irgendwann aus und kam auf Socken zum versöhnlichen Ende, das von den einen beklatscht und von den anderen mit winkendem Handdrehen quittiert wurde.

An das Verlernen von Kriegführen knüpfte in seiner Predigt auch Gerold Vorländer von der Stadtmission an. Frieden falle nicht vom Himmel, sagte er, der müsse auf Erden wachsen, aber damit habe der Himmel viel zu tun, weil Gott den Menschen dazu die Kraft gebe. Europa und der 70-jährige Frieden hierzulande seien ein gutes Beispiel dafür, dass Hass und Angst überwunden werden können. „Und jetzt?“, fragte Vorländer, „bleibt das jetzt so, oder ist der Frieden in Gefahr?“ Jetzt, angesichts der vielen Flüchtlinge? Entstehe jetzt vielleicht eine neue Angst, die zu Hass werden könne? Nein, auch jetzt kann Gott helfen. Er mache stark und mutig, so dass man dem Fremden mit Interesse, dem Armen mit Hilfsbereitschaft begegnen könne.

Dann wurde auf der Bühne gebetet – in allen vertretenen Sprachen: in Gebärdensprache, in Deutsch, in Englisch und in Türkisch, denn türkische und syrische Christen gehören auch mit zum Kreis um die St.-Lukas-Gemeinde. Wegen dieser großen und erprobten kulturellen Offenheit ist die Stadtmission laut Vorländer auch in Gesprächen, um im ersten Stock des Kirchengebäudes Quartier für Flüchtlinge zu schaffen. Es könnte der perfekte Ort sein. Ariane Bemmer

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