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„Hier ungefähr muss sie gestanden haben“: Schulleiterin Sabina Ballauf zeigt den Ort, an dem Hans Rosenthals Laube stand.

© Thilo Rückeis

Berlin-Lichtenberg: Wo Hans Rosenthal die Nazizeit überlebte

Die Laubenkolonie ist nicht mehr da – aber dafür liegt nicht weit entfernt die 32. Grundschule Lichtenberg. Bald wird sie seinen Namen tragen. Ein Besuch.

Sabina Ballauf muss nur kurz ihren Mantel holen, dann geht’s die Schultreppe runter, und schon nach zwei Minuten steht sie zwischen zwei Bäumen auf einer winzigen Grünfläche, wo nichts zu sehen ist. Doch wegen ihr sind wir hier.

„Hier ungefähr muss sie gewesen sein, die Laube“, sagt Ballauf und deutet vor sich ins Gras. Und dann erzählt sie, was ihr widerfahren ist, seitdem die Schule einstimmig beschlossen hat, den Namen des Mannes anzunehmen, der ganz in ihrer Nähe zwei Jahre lang vor den Nazis versteckt wurde.

Hans Rosenthal: „Ich fuhr nach Lichtenberg, ging die Wege zwischen den Kleingärten entlang und klingelte an Frau Jauchs Laube.“

Es war der 27. März 1943, als Hans Rosenthal verschwand, um zu überleben: Da ging er zu Ida Jauch, von der seine Großmutter wusste, dass sie ihren Enkel nicht nur nicht verraten, sondern ihn beschützen und mit ihm ihre wenigen Essensmarken teilen würde. So kam es dann auch – bis die 58-Jährige überraschend starb und der inzwischen 19-jährige Rosenthal eine neue Zuflucht suchen musste. Er fand sie in der Laubennachbarschaft bei Maria Schönebeck, einer Freundin Jauchs, die ihn ebenso beschützte.

Nur Dank dieser Skizze lässt sich rekonstruieren, wo die Lauben lagen, in denen sich Hans Rosenthal verstecken konnte war. Nach dem Tod Ida Jauchs wechselte er in die nahe gelegene Laube ihrer Freundin Maria Schönebeck. Beide Namen sind rot unterstrichen.
Nur Dank dieser Skizze lässt sich rekonstruieren, wo die Lauben lagen, in denen sich Hans Rosenthal verstecken konnte war. Nach dem Tod Ida Jauchs wechselte er in die nahe gelegene Laube ihrer Freundin Maria Schönebeck. Beide Namen sind rot unterstrichen.

© Archiv Rosenthal

Dass Hans Rosenthal, einer der beliebtesten und erfolgreichsten Quizmaster der siebziger und achtziger Jahre, der schon eine Radiolegende gewesen war, als er seine Fernsehkarriere startete, dass dieser Hans Rosenthal jüdisch war und die NS-Zeit nur deshalb überlebte, weil er sich in der damaligen Laubenkolonie „Dreieinigkeit“ verstecken konnte – all das wurde erst richtig bekannt, als er seine Autobiographie „Zwei Leben in Deutschland“ veröffentlichte.

In der Nähe erinnert eine Tafel an Rosenthal und seine Retterin

Aber auch das ist nun schon fast 40 Jahre her und würde wohl langsam in Vergessenheit geraten, wenn es nicht immer wieder Menschen gäbe, die an ihn erinnern wollen: So war es, als der Platz vor „seinem“ Sender in Schöneberg seinen Namen erhielt, so war es, als das Stadtbad Schöneberg, in dem Rosenthal nach dem Krieg endlich schwimmen lernen durfte, nach ihm benannt wurde, so war es, als Ida Jauch 2015 als "Gerechte unter den Völkern" posthum geehrt wurde. Und jetzt ist es wieder so.

Und wieder gibt es einen direkten örtlichen Bezug – eben weil sich die Laube nur einen Steinwurf von dem Platz entfernt befand, an dem inzwischen eine Schule steht, die ihren Namen sucht.

Nun liegen die Dinge nicht so, dass dieses Schulgebäude nie einen Namen gehabt hätte. Schließlich steht es schon 45 Jahre, davon zunächst als Polytechnische Oberschule „Willi Sänger“ und dann als Selma-Lagerlöf-Schule. Aber 2018 zog die Lagerlöf-Schule um und machte Platz für die „11G32“. Wobei das prosaische Kürzel bedeutet, dass man es mit der 32. Grundschule in Lichtenberg zu tun hat.

Am 8. Mai wird der neue Name gefeiert

Bevor die frisch gegründete Schule das Gebäude übernehmen konnte, hatte die neue Leiterin Sabina Ballauf ein provisorisches Büro in der benachbarten Schule am Roederplatz. Vor der befindet seit 2011 eine Gedenktafel für Hans Rosenthal und seine Retterinnen – neben Jauch und Schönebeck noch Emma Harndt, die den jungen Mann mit der „Berliner Morgenpost“ versorgte.

Diese Tafel bewirkt, dass zumindest in der Umgebung hier im Ortsteil Fennpfuhl, die Erinnerung an Rosenthals Rettungsgeschichte fortwirkt.

„Wenn ich heute auf mein Leben zurückblicke, waren es diese drei Frauen aus der Kolonie Dreieinigkeit.....deren Hilfe es mir bis heute möglich gemacht hat, nach der für uns jüdischen Menschen so furchtbaren Zeit unbefangen in Deutschland zu leben... Denn diese Frauen hatten ihr Leben für mich gewagt.“

Zwar wird die Namensgebung erst am 8. Mai gefeiert, aber intern ist alles klar. „Wir finden, dass diese Geschichte in den Köpfen und Herzen der Menschen exemplarisch für die Schicksale von Millionen Menschen weiterleben muss. Und dabei geht es nicht nur um Antisemitismus. Es geht darum, dass niemand ausgeschlossen werden darf. Jeder Mensch hat das Recht, in Würde zu leben“, heißt es auf der Homepage der Schule, die ihre Namensgebung damit erst vor wenigen Tagen öffentlich machte.

Die Schule wird nach Hans Rosenthal benannt, weil sich in der Nähe die Laube befand, in der er sich in der Nazizeit versteckt hatte.
Die Schule wird nach Hans Rosenthal benannt, weil sich in der Nähe die Laube befand, in der er sich in der Nazizeit versteckt hatte.

© Thilo Rückeis

„Ich habe eine besondere Verbundenheit mit der Schule“

Lange bevor es soweit war, hatte sich Ballauf an Gert Rosenthal gewandt, der mit seiner Familie als Rechtsanwalt in Berlin lebt. Sie wollte wissen, ob er einverstanden damit wäre, diese Schule nach seinem Vater zu benennen.

Was sie nicht wissen konnte, als sie sich auf den Weg machte: Er würde nicht nur einverstanden sein, sondern sogar zum Unterstützer der Schule werden: Rosenthal ist inzwischen schon Mitglied der Schulkonferenz und nimmt viel Anteil an der gesamten Entwicklung: „Er kümmert sich ganz stark um unsere Schule. Er mag uns sehr“, sagt Sabina Ballauf, und dass Gert Rosenthal mit seiner Familie zur Feierstunde im Mai kommen werde.

„Ich habe eine besondere Verbundenheit mit der Schule“, bestätigt Gert Rosenthal später am Telefon, und es klingt wie selbstverständlich, dass sich der Jurist aus Charlottenburg und die Schulgemeinschaft aus Lichtenberg auf besondere Art zusammengehörig fühlen.

Hans Rosenthal hat seinen einzigen Sohn nach seinem kleinen, von den Nazis ermordeten Bruder benannt: Gerts Deportation war für Hans der Auslöser, unterzutauchen: „Gert ist schon abtransportiert. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört“, sind Rosenthals Worte, als er bei Ida Jauch an der Laubentür klingelte. Rosenthal wollte, dass nichts von alledem vergessen wird.

Ein Jugendfoto Rosenthals, aufgenommen 1946, aus dem Privatarchiv seines Sohns.
Ein Jugendfoto Rosenthals, aufgenommen 1946, aus dem Privatarchiv seines Sohns.

© Privat

Den Schülern die Geschichte erklären

Darum veröffentlichte er mit 55 Jahren seine Autobiographie. Es ist dieses Buch, das es Ballauf und ihrem Kollegium um vieles leichter machen wird, den Schülern die Geschichte zu erklären, die zu ihrem Schulnamen gehört. Denn Rosenthal erzählt von seinen schrecklichen Jugendjahren, ohne seine Leser in Schrecken zu versetzen.

Und es sind gerade die Kapitel über sein Leben im winzigen Verschlag, der zur Laube gehörte, die es auch Acht- oder Zehnjährigen ermöglichen, sich diesem Schicksal zu nähern.

„Das Schönste für mich war, wenn es nachts Luftalarm gab und die feindlichen Flugzeuge kamen. Dann gingen die anderen in einen Bunker, und ich konnte die Laube verlassen.“

Sabina Ballauf hat jetzt viel zu tun, und das liegt nicht nur daran, dass ihre junge Schule rapide wächst, was ihr – angesichts des leergefegten Lehrermarktes – einen besonders hohen Quereinsteigeranteil beschert.

Es liegt auch nicht nur daran, dass sie jetzt jede Menge Halbjahreszeugnisse schreiben und auf die Umbenennungsfeier hinarbeiten muss. Vielmehr muss sie jetzt mit den Kollegen und den Schülern rasch herausfinden, wie man Rosenthals Lieblingsfarbe – es war Blau – ins neue Schullogo integriert, das auch noch entworfen werden muss.

Wahrscheinlich ist das Ganze ein ziemliches Pensum, aber Ballauf sagt nur: „Wir sind eine unheimlich coole Schule“.

Die kursiven Passagen sind Rosenthals Autobiografie „Zwei Leben in Deutschland“ entnommen.

Wie die Fennpfuhl-Siedlung entstand

Sabine Ballauf ist Schulleiterin der 32. Grundschule in der Bernhard-Bästlein-Straße 56 in Lichtenberg.
Sabine Ballauf ist Schulleiterin der 32. Grundschule in der Bernhard-Bästlein-Straße 56 in Lichtenberg.

© Foto: Thilo Rückeis

Das Quartier - wie alles begann

„Wenn heute jemand in diese Gegend kommt, der längere Zeit nicht hier gewesen ist, der wird sich kaum noch zurechtfinden“, schwärmte die „Neue Zeit“ am 4. Oktober 1975 über das „bisher größte Bauvorhaben der Hauptstadt“. Da hatten bereits 25.000 Bewohner den Ortsteil Fennpfuhl, der zum Bezirk Lichtenberg gehört, bezogen und ebenso viele folgten.

Um Platz zu schaffen, waren seit Ende der 60er Jahre zwischen Landsberger Allee und Weißenseer Weg die Kleingartenanlagen geräumt worden, darunter die Kolonie Dreieinigkeit, in der Hans Rosenthal überlebte. Neue Straßen wurden nach Widerstandskämpfern benannt: Die künftige Hans-Rosenthal-Schule liegt an der Bernhard-Bästlein-Straße. Bästlein wurde von den Nazis ermordet.

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