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© dpa

Berlin-Mitte: Die Fakten und die Toten

Am Petriplatz soll ein lebendiges Stadtquartier entstehen. Doch zunächst geht es um die Toten: Bei Ausgrabungen ist ein mittelalterlicher Friedhof aufgetaucht. Bereits 2000 Skelette wurden freigelegt.

Immer mehr Skelette sind aufgetaucht, eine Verdoppelung ihrer Zahl in wenigen Monaten. Das hätte sich kein argloser Spaziergänger, der einst über den leergeräumten Petriplatz in Mitte schritt, träumen lassen, dass er über einen riesigen Knochenberg spazierte. Im März 2007 hatten dort, im Vorfeld umfangreicher Umgestaltungen, archäologische Grabungen begonnen, binnen Jahresfrist buddelte man einen um die ehemalige Petrikirche angelegten Gottesacker mit den Resten von 1000 toten Früh-Berlinern aus, und jetzt hat sich diese schaurige Zahl noch einmal verdoppelt. Sehr viele Kinder sind darunter, die Sterblichkeit gerade unter der Jugend war im Mittelalter sehr hoch. Die Gebeine werden nun nach Sterbealter, Geschlecht, Hinweise auf Krankheiten und anderes untersucht, danach erneut an noch unbekanntem Ort bestattet.

Der archäologische Rundgang, zu dem Senatsbaudirektorin Regula Lüscher gestern gebeten hatte, war also nicht ohne gewissen Gruselfaktor, was die oberste Stadtplanerin in ihrer Schwärmerei von diesem „Originalschauplatz der Berliner Geschichte“ aber nicht irritierte. Ihn gelte es sichtbar und erlebbar zu machen, und das bedeutet: ihn zu erhalten trotz aller Neubaupläne, die durch das Wiederauftauchen der Berliner Keimzelle zwar nicht hinfällig sind, aber angepasst werden müssen.

Historie und Zukunft des Areals sind den wissbegierigen Städtern auf neuen Informationswänden erläutert, Orientierungshilfen zum Verstehen des großen sandigen Lochs, das sich zwischen Gertrauden-, Scharren-, Kleiner Gertrauden- und Breite Straße aufgetan hat. Die Grundmauern der Cöllnischen Lateinschule sind dort aufgetaucht, Fundamente von mindestens vier aufeinander folgenden Kirchen, deren letzte, die im Krieg schwer beschädigte Petrikirche, in den frühen sechziger Jahren abgerissen wurde. Auch fanden sich Brunnen, Keller, samt einer auf das Jahr 1212 datierten Holzplanke, dazu viel kleinteiliges Fundzeug wie Kämme, Töpfe, Werkzeuge, Münzen, Flaschen.

Wie die Grabungsstätte am Schlossplatz, zweite Station des gestrigen Rundgangs, wo die Reste des um 1300 gegründete Dominikanerklosters und seines Friedhofs freigelegt werden, soll auch das historische Gemäuer am Petriplatz künftig als „archäologisches Fenster“ erlebbar bleiben. Der neue Platz wird voraussichtlich eigens abgesenkt, damit die Besucher möglichst dicht an die Berliner Geschichte herankommen. All dies zwingt zur Überarbeitung des städtebaulichen Konzepts für das Petriviertel samt Änderung des Bebauungsplans, der Anfang 2009 ausgelegt werden soll. Den Mittelpunkt soll der Petriplatz bilden, für den „hohe Aufenthaltsqualität“ zugesagt wird, samt „erlebbarer archäologischer Bezüge“, und ein neuer Turm, Reminiszenz an den alten Kirchturm, dort wo heute noch die südliche Brüderstraße verläuft, ist vielleicht auch noch drin.

Der Neubau an der Kleinen Gertraudenstraße soll die Grundmauern der mittelalterlichen Lateinschule integrieren und in den Untergeschossen öffentlich zugänglich machen. An der gegenüberliegenden Platzkante entsteht ein Gebäude am Ort des früheren Cöllnischen Rathauses. Nördlich des Petriplatzes soll das Bürogebäude des DDR-Bauministeriums einem Neubau weichen, das denkmalgeschützte ehemalige Kaufhaus Hertzog, das spätere Jugendkaufhaus an der Ecke Brüderstraße, bleibt erhalten, die künftige Nutzung ist offen. Noch im August soll, unter Beteiligung renommierter Architekturbüros, ein Entwurfsverfahren für Bebauungskonzepte eingeleitet werden. Ziel ist ein gemischtes Innenstadtquartier mit Wohnungen, Büros, Laden, Gaststätten – und ganz viel Geschichte.

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