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Gekommen, um zu bleiben. Friedel Drautzburg (links) und Harald Grunert in ihrer Ständigen Vertretung in Mitte.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berlin-Mitte: "Ständige Vertretung": Die Chefs ziehen sich zurück

Sie eröffneten ihre Kneipe "Ständige Vertretung", bevor die Bonner kamen. Nach 20 Jahren geben die Betreiber das Lokal am Schiffbauerdamm ab – die Marke aber bleibt.

Die Poster der Initiative „Ja zu Bonn“ besitzt Friedel Drautzburg immer noch. Klar. „Die sind Kult“, sagt er. Im Sommer 1997 waren sie sein Aushängeschild. Der Begründer der gleichnamigen Initiative gegen den Regierungsumzug von Bonn nach Berlin hatte seine Anhänger allerdings da schon mit allerbester Intention vor den Kopf gestoßen. Er wollte selbst ein Lokal in Berlin aufmachen, eine „Ständige Vertretung“. „Verräter!“, schimpften sie ihn. Dabei ging es doch nur darum, für all die entwurzelten Rheinländer, die in Berlin nach dem Regierungsumzug einen Neuanfang wagen mussten, ein Stück Heimat fern der Heimat zu schaffen. Wo es Kölsch gibt. Und Karneval. Und andere Rheinländer.

Eine Stange Kölsch und Trost und Zuspruch

Das alles ist lange her. In den ersten fünf Jahren wurde die StäV am Schiffbauerdamm/Ecke Albrechtstraße Heimat und Treffpunkt und auch eine Art „Schwarzes Brett“, wenn man wissen wollte, wo es Wohnungen gab oder Tipps brauchte für den Umgang mit der schreckensreichen Berliner Bürokratie. Oder einfach nur Trost und Zuspruch. Der damalige Bundespräsident Johannes Rau trank hier mit dem Kanzler Gerhard Schröder sein Bier. Rut Brandt feierte auf Einladung ihrer Söhne ihren Geburtstag mit lauter Spitzenpolitikern. Und die Abgeordneten wärmten sich an Rheinischem Sauerbraten und der einen oder anderen Stange Kölsch.

„Erfolg ist erotisch"

Verdammt lang her. Nach etwa fünf Jahren Brückenfunktion eroberten Touristen das Lokal mit den vielen historischen Reminiszenzen an der Wand. Den Politikern wurde es zu laut und zu lebhaft, sie kamen nur noch ausnahmsweise. Aber der Laden brummt bis heute. „Erfolg ist erotisch“, sagt Friedel Drautzburg lakonisch.

Als Treffpunkt für Bonner Abgeordnete gestartet, eroberten bald Touristen das Lokal, den Politikern wurde es zu laut.
Als Treffpunkt für Bonner Abgeordnete gestartet, eroberten bald Touristen das Lokal, den Politikern wurde es zu laut.

© dpa

Beim Karneval verstehen die Berliner keinen Spaß

In mancher Hinsicht musste der Erfolg auch hart erstritten werden. Beim Karneval verstehen die Berliner keinen Spaß. Da gab es den ekligen Nachbarn, der immerhin bundesweites Amüsement auslöste, als er an der Lärmbelästigung durch einschlägige Lieder Anstoß nahm. Medienwirksam wurde dann der Karneval mit Kopfhörern gefeiert. Besser konnten Symbolbilder für den Crash of Cultures zwischen Rheinland und Preußen überhaupt nicht geraten. Friedel Drautzburg erinnert sich noch, wie im Karneval mal sechs Polizeiwannen auf einmal vorgefahren kamen. „Wenn ich was zu sagen hätte, wäre das alles verboten“, sagte ein Polizist mit säuerlichem Gesicht. „Gut, dass Sie nix zu sagen haben“, lautete die rheinische Antwort.

„Das Viertel hat sich verändert.“

Harald Grunert war auch mal Karnevalsprinz, ganz am Anfang, und hat sich um den Zug verdient gemacht. Dass man heute keinen Mantel mehr über das Clownskostüm ziehen muss, wenn man zum Umzug geht, das ist auch ein bisschen sein Verdienst. Darauf ist er stolz. Und wenn er von dem Kiez spricht, in dem er arbeitet und – wie Drautzburg – auch wohnt, dann sagt er in rheinischem Singsang „Das Viertel hat sich verändert.“ Sohn und drei Enkel des 69-Jährigen leben noch in Bonn.

„Vom Wessi lernen, heißt siegen lernen“

Damals in Bonn konnte Friedel Drautzburg nicht ahnen, dass er einst Vater einer Berlinerin sein würde. Die Mutter traf er im ICE zwischen Bonn und Berlin. Sophie Marie ist inzwischen 18 Jahre alt, lebt seit vier Jahren im Internat in Bad Honnef und macht nächstes Jahr Abitur. Im Landeswettbewerb Rhetorik und Debattenkultur hat sie einen Preis bekommen und hat auch gute Netzwerke in Berlin und im Rheinland, erzählt der stolze Vater.

Sein Konterfei hängt in Farbe zwischen vielen Schwarz-Weiß-Fotos in Gesellschaft von Günther Grass an der Wand. Die rote Fahne mit der Aufschrift „Vom Wessi lernen, heißt siegen lernen“, hängt an der Rückwand – immer noch.

Der Schiffbauerdamm.
Der Schiffbauerdamm.

© Doris S. Klaas

"Wo kann man hier die Bonner besichtigen?“

So viele Politiker hat er gekannt, viele sind schon gestorben. Es fällt ihm schwer, sich „Berlin ohne den Bund“ vorzustellen. Einen riesigen Mentalitätswechsel hat er in Berlin beobachtet. „Es war eine glückliche Fügung, dass wir ein halbes Jahr vor dem Tross der Bonner hier waren“, sagt Drautzburg heute. Die erste Zeit hat er als kabarettreif in Erinnerung. „Wo kann man hier die Bonner besichtigen?“, sei in der Touristeninformation eine Standardfrage gewesen. Dabei gab es gerade mal zwei Bonner Abgeordnete. Schätzungsweise 35.000 Menschen sind damals umgezogen. Viele, inzwischen pensioniert, seien zurückgezogen in ihre alten Häuser nach Bonn, haben in Berlin vielleicht eine Einzimmerwohnung behalten.

Viele trauern den Lokalen immer noch nach

Und findet er es gut, wie es gekommen ist? „Das muss man als Geschichtsmüll zur Kenntnis nehmen“, sagt Drautzburg. Alles andere wäre Quatsch. Aber eines erzählt er doch noch. Er ist jetzt öfter mal in Wittlich, in der Eifel, wo er geboren wurde. Auch in Bonn ist er noch häufiger, steigt gerne ab im Königshof, Adenauers altem Lieblingshotel. „Ich könnte in beiden Städten nicht mehr so gut mein Leben gestalten mit so viel Freude und Lebensqualität wie hier, sagt er. Viele Freunde trauern den Lokalen immer noch nach, die Grunert und Drautzburg dort zum Treffpunkt gemacht hatten. Heute würden in Bonn um 21 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt.

Nach 20 Jahren am Schiffbauerdamm ist Schluss

Nach 20 Jahren ziehen sich die beiden aus dem Lokal am Schiffbauerdamm zurück. Künftig wird es von Jan Philipp Bubinger und Jörn Peter Brinkmann betrieben. Die Stammväter bleiben Berlin erhalten, wollen sich aber nur noch um das StäV-Konzept und die Lizenznehmer kümmern.

Es gibt noch Ständige Vertretungen in Bremen, Hannover und Köln/Bonn. Vielleicht irgendwann am BER. Es müssen die richtigen Typen gefunden werden, die so was betreiben können. Nicht einfach. Noch einmal haben sie am Freitag ausgewählte Weggefährten zum Geburtstagsfest eingeladen. Die Bläck Föös werden wohl wieder dabei sein, wie bei früheren Feiern, wo die Ehrengäste Norbert Blüm, Rainer Maria Kardinal Woelki und Guido Westerwelle hießen. Wieder wollen viel mehr kommen, als Platz da ist. Wie der Erfolg muss die Historie wohl auch was Erotisches haben.

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