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Düstere Aussichten. Aus Sicht der Bewohner der Wagenburg an der Kiefholzstraße in Neukölln sieht die Zukunft des Areals nicht gut aus.

© Pascale Müller

Berlin-Neukölln: Wagenburg-Bewohner wollen beim Flüchtlingsheim mitreden

Auf dem Gelände der Wagenburg "Radikal Queerer Wagenplatz Kanal" in Neukölln sollen Flüchtlinge untergebracht werden. Die Bewohner fühlen sich übergangen. Ein Besuch.

Auf ein Läuten kommt Amadi Katbi an den Zaun. Eine andere Bewohnerin läuft mit einer Zahnbürste im Mund über den Platz der Wagenburg „Radikal Queerer Wagenplatz Kanal“ in Neukölln. Sonst ist alles ruhig. Ein schmaler Trampelpfad führt von der Straße ab und hin zu einem Gatter mit der Klingel. Links davon ist ein kleines Holzlager mit einer Kreissäge.

„Wir müssen uns erst gemeinsam besprechen“, sagt Katbi. Sie könne als Einzelperson nicht die gesamte Bewohnerschaft vertreten. Laut der Website der Wagenburg sind das „mehrheitlich Geflüchtete, Migrant_innen, Schwarze Menschen, Rrom_nja und Menschen of Color, die gegen Rassismus, Klassismus, Sexismus und Inter* Trans* Homo Diskriminierungen kämpfen.“

20 Menschen leben hier auf 8000 Quadratmetern. Neben Wohnwagen gibt es Gemeinschaftswagen und Räume für Projekte, Konzerte und Info-Veranstaltungen über Diskriminierung. Nun soll eine Modulare Unterkunft für Flüchtlinge hier entstehen, 5000 Quadratmeter sind dafür eingeplant, 500 Geflüchtete könnten dort bald einziehen.

Ein paar Stunden später sitzt Katbi gemeinsam mit Aischa Sheikh Elmi in einem Café in Treptow. Das Plenum hat befunden: Sie dürfen sprechen. Die 25-jährige Elmi wohnt seit August vergangenen Jahres in der Wagenburg. Sie sagt: „Für mich ist das erst mal ein Zuhause.“ Von der Entscheidung des Senats eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände zu errichten, hätten sie erst durch die Presse erfahren und sie sich übergangen gefühlt, sagen die beiden.

Die Wagenburg gibt es seit fast 30 Jahren, 2010 war sie in die Kiefholzstraße gezogen. Nach langen Verhandlungen mit dem Senat über einen neuen Standort, nachdem das ehemalige Gelände an der Spree verkauft wurde. Das jetzige Grundstück gehört der Berliner Immobilien Management GmbH (BIM). „Das Grundstück gehört dem Land, und die Wagenburg hat keinen Vertrag und ist dort nur geduldet“, sagt Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). „Die Bewohner zahlen Miete, Neben- und Betriebskosten“, sagen Katbi und Elmi.

Streit um Klausel im Mietvertrag

Dass sie keinen Vertrag hätten, läge daran, dass der ihnen vorgelegte inakzeptabel gewesen sei. Sie zeigen ein Foto des Mietvertrags. Dort steht: Grund für eine fristlose Kündigung sei es, „wenn sich auf der Mietfläche Personen aufhalten bzw. Personen Unterkunft gewährt wird, die durch ihren Aufenthalt der Mietfläche gegen Vorgaben gemäß §AsylVfG oder vergleichbare Vorgaben verstoßen“. Eine ältere Version spreche direkter von „Flüchtlingen“.

Katbi sagt: „Diese Klausel richtet sich ganz klar gegen Geflüchtete.“ Dass das Nicht-Unterzeichnen des Vertrags nun gegen sie verwendet wird, um eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Gelände zu errichten, finden Katbi und Elmi daher paradox.  „Es ist nicht so, dass da zwei Interessen gegeneinander stehen“, sagt Katbi. „Wir solidarisieren uns mit den Geflüchteten.“ Gleichzeitig sprächen sie sich aber gegen „Massenlager und Verdrängung“ aus. Im Bezirk gibt es wenig Verständnis dafür.

Ich kann dieses "sich übergangen fühlen" nicht mehr hören. Egal ob in Heidenau, Clausnitz, Berlin-Pankow oder bei vermeintlich linken Wagenburgen. Es wäre Zeit, die Solidarität über den eigenen Vorgarten zu stellen. Das sagen wir der bürgerlichen Mitte und auch der linken Schickeria.

schreibt NutzerIn slmabraham

Bezirk ist an einvernehmlicher Lösung interessiert

Es sei angesichts der akuten Nöte durch die Flüchtlingskrise nicht zu rechtfertigen, dass ein von einer kleinen Gruppe ohne vertragliche Grundlage genutztes Grundstück nicht zur Disposition gestellt werden dürfe, sagt Giffey. Da man trotzdem an einer einvernehmlichen Lösung interessiert sei, bat Giffey den Bewohnern, die am Mittwoch vor der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) demonstrierten hatten, ein Gespräch an. Wann es stattfinden soll, ist noch unklar. Allerdings sei es schlussendlich die Verantwortung von Bewohner und Vermieter, eine Lösung zu finden, so die Bürgermeisterin. Die Berliner Immobilien Management GmbH war bisher nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Eine mögliche Lösung könnte eine Koexistenz von Wagenburg und Flüchtlingsunterkunft sein, auch mit dem neuen Bau ständen noch 3000 Quadratmeter für die bisherigen Bewohner zur Verfügung. Elmi und Katbi wollen sich noch nicht festlegen, ob eine solche Lösung für die Bewohner in Frage käme. „Als marginalisierte Personengruppe wollen wir die Geflüchteten aber ganz herzlich willkommen heißen“, sagt Elmi.

Wo gibt's eigentlich noch Wagenburgen?

Rund ein Dutzend Wagenburgen gibt es noch in Berlin. Diese Wohnform hatte kurz nach der Wende ihre große Zeit. Damals besiedelten viele Menschen, die autonom leben wollten, den ehemaligen Grenzstreifen und bauten alte Last- oder Bauwagen aus. Auch am Potsdamer Platz gab es damals auf dem Grundstück des einstigen „Haus Vaterland“eine große Wagenburg – heute stehen dort die Park-Kolonnaden.

Mit den Jahren mussten vielen Rollheimer den Bauplänen von Investoren weichen. Der Senat kümmerte sich um Ausweichstandorte, einige davon nicht mehr ganz so zentral gelegen, wie etwa in der Wuhlheide oder in Karow. Es gibt aber auch noch Wagenburgen in Friedrichshain: Die „Rummelplatz“-Bewohner durften kürzlich auf einen ehemaligen Betriebshof an der Gürtelstraße ziehen.

In Treptow hat die Wagenburg Lohmühle mit rund 20 Bewohnern eine lange Tradition: Seit 1991 musste sie nur einmal umziehen, vom Mauerstreifen Schlesischer Busch auf das Gelände zwischen Lohmühlenstraße und Landwehrkanal.

Pascale Müller

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