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Buchhändler Metin Ağaçgözgü.

© Thilo Rückeis

Berlin spricht Türkisch: Berlin Türkçe konuşuyor

Lange war Türkisch in Berlin allein die Sprache der türkischen Migration. Doch immer mehr "Deutsche" wollen die Kultur der Nachbarn verstehen lernen. Ein Streifzug durchs bilinguale Grenzland

Neulich in Kreuzberg. Ein Abend am Landwehrkanal, drei Studenten sitzen auf einer Parkbank, Hefte auf den Knien. Vokabeln lernen, das muss sein. "Anne", was heißt das? Kichern. Geht’s nicht schwerer? "Anne heißt Mutter, weiß doch jeder." Türkisch für Anfänger. Die Sonne glitzert auf dem Wasser. Sonne heißt güneş." Man sagt, die Zunge hat keine Knochen. Wohin man sie dreht, dorthin dreht sie sich." Als Emine Sevgi Özdamar das schrieb, war sie schon lange nicht mehr die Gastarbeiterin, als die sie nach Berlin gekommen war, sondern eine gefeierte Schriftstellerin. Ihre Zunge hatte sie längst ins Deutsche gedreht - und war glücklich geworden damit.

Lernt Deutsch! Das sagt Deutschland zu jedem, ob er nun ankommt oder schon länger hier lebt. Und jetzt also so etwas. Anne heißt Mutter, so ist das. Zunge umdrehen. Die drei auf der Parkbank sind drei von vielen. Berlin lernt Türkisch. An den Volkshochschulen der Stadt ist die Zahl der Türkischlernenden zwischen 2009 und 2012 stetig angestiegen. Gab es 2009 noch 112 VHS-Türkischkurse in der Stadt, so waren es 2012 schon 137. Dementsprechend stieg die Zahl der Kursbuchungen: von 1211 im Jahr 2009 auf 1545 in 2012. Im Friedrichshainer "Sprachenatelier", einer Sprachschule unter vielen in der Stadt, steigt die Zahl der Türkischlernenden seit 2004 jährlich in 10-Prozent-Schritten. Und an den Universitäten interessieren sich inzwischen mehr und mehr Studenten für ein Austauschsemester in der Türkei. Selbst wenn ihre Fächer, wie es aus dem Sprachenzentrum der Freien Universität (FU) heißt: "nicht unbedingt einen Aufenthalt in der Türkei erfordern würden". Für die Türkisch-Grundkurse an der FU gibt es dreimal mehr Interessenten als Plätze.

Wo lernt es sich besser als in Berlin?

Sie lernen Türkisch, aber wofür? Fürs Studium, für die Liebste oder den nächsten Urlaub; weil sie mit den Nachbarn oder Geschäftspartnern auf Türkisch reden möchten. Sie sind Lehrer und Schüler, Studenten und Sozialarbeiter, Rentner und Anwälte, Wissenschaftler und Unternehmer. Und wo sollten sie besser lernen als hier? In einer Stadt, die laut Landesamt für Statistik ohnehin schon Heimat ist für mehr als 180 000 türkischsprachige Berliner. Es scheint, als ob das Deutsche und das Türkische nach vielen Jahrzehnten des Nebeneinanderherlebens in diesem Land tatsächlich noch Freunde werden sollten. Endlich. Sie treffen sich in Berlin ja ohnehin an jeder Ecke. Bei Metin Ağaçgözgü zum Beispiel.

Er empfängt in der "Regenbogen Buchhandlung/Gökkuşağı Kitabevi", die er gemeinsam mit einem Kollegen in der Kreuzberger Adalbertstraße betreibt. In einer Ecke stehen ein Tisch und zwei Stühle, auf denen man gemütlich sitzt, deutsche Klassiker (auf Türkisch) im Rücken, türkische Krimis (auf Deutsch) zur Rechten, links einen Tisch mit türkischen Neuerscheinungen, vor sich schließlich ein Glas Tee und das freundliche Gesicht des Buchhändlers. Gerade ist er für ein paar Wochen in Berlin, dann wird er wieder nach Istanbul reisen, so geht das die ganze Zeit, mal ist er hier mal da, seine Frau lebt und arbeitet in der Türkei. "Entschuldigen Sie, wenn ich manchmal ein bisschen sprachlos bin", sagt Ağaçgözgü höflich und ist doch in Wirklichkeit alles andere als das, umgeben von abertausenden Wörtern, türkischen, deutschen, ein paar kurdischen auch. Es gibt ein türkisches Sprichwort, das sagt: "Wer eine Sprache beherrscht, der ist nur ein Mensch; wer aber zwei Sprachen beherrscht, gilt als zwei Menschen." Eine schöne Vorstellung. In Gedanken sitzen am Tisch in der Ecke also vier, sechs Menschen vielleicht.

Seine Überzeugung brachte ihn ins Gefängnis

Seit 1994 betreibt Ağaçgözgü die Buchhandlung, seit 2010 in den gemütlichen Räumen in der Adalbertstraße. "Hauptsächlich haben wir türkische Kunden", sagt er. "Aber es werden immer mehr Deutsche." Er sagt das mit einer Mischung aus Freude und Erstaunen und wäre er nicht erst 50 Jahre alt, dann klänge es fast großväterlich: Dass ich das noch erleben darf! Metin Ağaçgözgü besuchte in der Türkei ein Militärgymnasium und arbeitete in der dortigen Bibliothek. Da muss es angefangen haben, dass er alles Mögliche las. So vieles, was er in Büchern finden konnte, schien ihm Ende der 70er und Anfang der 80er sinnvoller als das, was um ihn herum passierte. In der türkischen Unruhe dieser Zeit las er Maxim Gorki, Friedrich Engels. Im September 1980 putschte sich das türkische Militär zum dritten Mal in der Geschichte an die Macht. Aus der Marine, in der Ağaçgözgü diente, warfen sie ihn raus, wie so viele andere Soldaten auch. Seine Überzeugung brachte ihn schließlich ins Gefängnis. Eine Übersetzung von Engels’ "Dialektik der Natur", die er besaß, sorgte dafür, dass er dort acht Monate länger bleiben musste, zwei Jahre insgesamt. Man kann es als Zwangsläufigkeit betrachten, dass Metin Ağaçgözgü, dem die Macht der Worte so schmerzlich bewusst geworden war, dann ausgerechnet Literatur zu studieren begann.

"Ich liebe die türkische Sprache", sagt er. Weil sie seine Muttersprache ist, zum einen. "Und weil ich Nazim Hikmet im Original lesen kann." Hikmet, großer türkischer Dichter des 20. Jahrhunderts, Ikone der Linken, starb im Sommer 1963 im Moskauer Exil. Etliche Jahre verbrachte auch Hikmet zuvor in der Türkei im Gefängnis. Trotzdem hörte er nie auf zu schreiben.

Leben wie ein Baum

einzeln und frei

und brüderlich wie ein Wald

das ist unsere Sehnsucht.

Die Disziplin der deutschen Sprache

Kein Hikmet klingt in der Übersetzung so schön wie im Original, findet Ağaçgözgü, der die Universität in Istanbul im Dezember 1989 verließ, um nach Deutschland zu fliehen. Er beantragte politisches Asyl in Köln, zog später der Liebe wegen nach Berlin, wo er sich alsbald mit dem umgab, was ihm am vertrautesten war: mit Büchern. Er schätze, sagt Ağaçgözgü, nun wohnhaft in diesem Land seit mehr als 20 Jahren, an der deutschen Sprache die Disziplin. Dass jedes Wort seinen genauen Platz im Satz hat, sich dort anständig und ordnungsgemäß verhält, nicht so zweideutig, vieldeutig hibbelig, wie ein türkisches Wort es sein kann. Trotzdem: Bis heute liest er nicht gern auf Deutsch, aber viele deutschsprachige Autoren. Stefan Zweig, der Österreicher, ist einer seiner liebsten. Seine türkischen Kunden kaufen gern Hermann Hesse, Kafka und auch Thomas Mann. Ein bisschen schwermütig, diese Türken? Ja, sagt er, ist so. Und Goethes Werther nicht zu vergessen, den liest die Jugend, muss es vielleicht, für die Schule. "Genç Werther’in Acıları", heißt das Buch auf Türkisch.

Keine Angst vor blumigen Metaphern

Es muss eine Kunst sein, diese beiden Sprachen anständig zu übersetzen, die schon vom Satzbau - im wahrsten Sinne - nicht gegensätzlicher sein könnten. Im Türkischen steht das Verb hinten, im Deutschen gleich hinter dem Subjekt. Ruhen die Worte unbewegt auf Papier, so geht es leichter. Doch simultan dolmetschen, das verlangt geradezu nach Mut. "Simultan dolmetschen", sagt Oliver Kontny, "ist wie ein Sport." Was helfe, seien Erfahrung und Kaltblütigkeit. Oliver Kontny, Jahrgang 1974, ist seit vielen Jahren Übersetzer. An einem sommerlichen Freitag sitzt er in einem Kreuzberger Café und sieht schon deswegen wenig kaltblütig aus, weil es warm ist. Seinen Werdegang in wenigen Sätzen zusammenzufassen wird ihm kaum gerecht. Ihn auszuformulieren würde jedoch zu viel Zeit in Anspruch nehmen.

Übersetzer Oliver Kontny.
Übersetzer Oliver Kontny.

© Thilo Rückeis

Oliver Kontny hat mal Philosophie und Geschichte studiert, Turkologie und Iranistik ebenfalls, seine Liebe zum Türkischen fand er wohl auf dem direkten Weg über die Politik, über Reisen zur Grenze nach Kurdistan; er arbeitete Ende der 90er Jahre für Anwaltskanzleien in Istanbul und London, mit türkischen und kurdischen Mandanten; nebenher übersetzte er Abdullah Öcalans Buch "Gilgameschs Erben", einen Wälzer, ins Deutsche; Kontny arbeitete für den Filmemacher Fatih Akin und als Dramaturg am Kreuzberger "Ballhaus Naunynstraße". Für den Berliner binooki-Verlag übersetzt er die Krimis des in der Türkei sehr bekannten Emrah Serbes. Es ist deswegen keine Angeberei, sondern die geradezu erschütternd vielfältige Wahrheit eines nicht mal 40-jährigen Lebens, wenn ihn eine Webseite für Übersetzer ausweist als Experten zugleich für Jura, Politik, Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften, Film und Literatur.

Hat sich denn nach so vielen Jahren, nach so vielen Sprachen, das eigene Sprechen verändert? Ja, sagt er, nickt und grinst. Keine Angst vor blumigen Metaphern. Lange, verschachtelte Sätze - bitte gern. "Am Türkischen und auch am Persischen fasziniert mich, dass man Sachen zwischen den Zeilen sagen kann. Du schlägst zwei Saiten an und ein dritter Ton erklingt." Im Deutschen kostet das Mühe. Ach? "Bei türkischen Unterhaltungen läuft oft eine ironische Kommentarspur mit", sagt Kontny und nun muss ein Beispiel her. Also: Sitzen zwei in einem Istanbuler Bus. Sagt die eine Person: Lütfen kayalım. Lassen Sie uns rutschen. Die andere: Simdi mi? Jetzt sofort? Ein Witz für den, der weiß, das kaymak auch vögeln heißen kann. Unter anderem. Aber mal ernsthaft. Da ist zum Beispiel das Verb içmek, das trinken heißt und auch rauchen. Oder kurmak. 13 unterschiedliche Bedeutungen bietet das Wörterbuch an, von aufbauen bis zu (Uhr) stellen, (Tisch) decken und nachgrübeln. Mit o bezeichnet man er, sie, es und man. Ay heißt nicht nur Monat, sondern auch Mond. Yüz ist das Gesicht - und die Zahl Hundert. Was das Übersetzen alles nicht einfacher macht.

"Jede Übersetzung ist eine Form der Interpretation"

Übersetzt er ein Buch, dann liest Oliver Kontny meist erst ein bisschen vorne, ein bisschen in der Mitte und ein bisschen hinten, um ein Gefühl zu bekommen für den Text und seinen Ton. "Jede Übersetzung ist eine Form der Interpretation", sagt er und entwirft das passende Bild dazu: Eine Kiste voll Zeug, du nimmst alles heraus und räumst es in ein Regal wieder ein. Egal wie, nur übrig bleiben darf nichts. Eine Kunst für sich, welches Wort man nutzt - Strategie. Denn jeder Ausdruck hat eine Geschichte, gerade im Türkischen. Ist er arabisch? Kemalistisch geprägt? Was könnte eine deutsche Entsprechung sein? Auch bei Redewendungen sucht er lieber nach Entsprechungen, als sie Wort für Wort zu übertragen und damit blumiger und exotischer erscheinen zu lassen als eigentlich nötig. "Es ist doch schöner zu zeigen, dass uns die Ausgangskultur gar nicht so fremd ist."

Und doch ist ja für den Lernenden, der die Sprache zum ersten Mal betrachtet, nichts gewöhnungsbedürftiger als das System der Wortbildung im Türkischen, dieser sogenannten agglutinierenden Sprache. Was bedeutet, dass die Worte länger und länger werden, weil Suffix um Suffix, Bedeutung um Zeit um Fall hinten angehängt werden. Einem, der mal bei ihm Hilfe suchte, weil er sein Türkisch verbessern wollte, riet Kontny, grob gesagt, beim Sprechen das Denken sein zu lassen. Benutz’ die Sprache wie ein DJ seine Platten, greif im Dunkeln danach, lässig mit einer Hand, zieh sie aus dem Plattenkoffer, leg auf, misch ab, für einen geschmeidigen Übergang. Nach dem tasten inzwischen immer mehr.

Sprache ist dynamisch, Kiezdeutsch ist super-dynamisch

Sprachwissenschaftlerin Heike Wiese.
Sprachwissenschaftlerin Heike Wiese.

© Mike Wolff

Vor Jahren, sagt Kontny, war er als türkischsprechender Deutscher noch ein Exot, inzwischen ist das nicht mehr so. "Die Wahrnehmung, dass man mit der türkischen Sprache etwas anfangen kann, wächst", sagt er. Ein paar Sätze und Worte kennen in Berlin nach diesem Sommer allerdings auch jene, die sonst mit Türkisch nichts am Hut haben. "Her yer Taksim, her yer direniş." Überall ist Taksim, überall ist Widerstand. Slogans, die bei Demonstrationen gerufen wurden, aus Solidarität mit den protestierenden Türken auf dem Istanbuler Taksim-Platz. Doch ist es nicht interessant, dass die Identifikation mit den weit entfernten Türken den Deutschen so leicht fiel und ihnen mit hier lebenden so oft so wenig gelingen will? Und wie kann es denn sein, dass im 21. Jahrhundert eine türkische Mutter im Berliner Treppenhaus die Nachbarin, verheiratet mit einem Briten, bewundert mit den Worten: "Was für ein Glück, deine Kinder wachsen zweisprachig auf" - und nicht sieht, dass ihren das gleiche Glück widerfährt.

Weil Türkisch, egal wie viele es nun lernen, noch immer ein Imageproblem hat, als Sprache der Arbeiter, sozial Benachteiligter gilt und damit irgendwie wertloser sein soll als Englisch, Französisch, Chinesisch - und natürlich Deutsch. Weswegen auch Berliner Jugendliche, die einzelne Worte aus dem Türkischen und Arabischen ganz selbstverständlich in ihre Sprache einbeziehen, als Integrationsverweigerer gelten, als des "korrekten" Deutschen nicht mächtig. Kurzum: als Gefahr. "Wenn es um Sprache geht, fühlt sich jeder gleich bedroht", sagt Heike Wiese. Sie ist Professorin für Deutsche Sprache der Gegenwart an der Universität Potsdam und die Beschreibung der Szene im Treppenhaus stammt von ihr.

Ein kreativer neuer Dialekt

Wiese, verheiratet mit jenem Briten und Mutter zweier Töchter, erforscht Jugendsprachen, über das Berliner "Kiezdeutsch" hat sie ein Buch geschrieben. Mit ihren Studenten hat sie sich an Bushaltestellen und in Kaufhäuser gesetzt und zugehört. Sie überlegten: Welche Systematik steckt hinter Sätzen wie "Wir gehen Görlitzer Park", hinter Konstrukten wie "musstu", "lassma" und "ischwör". Und sie untersuchten den Gebrauch neuer Vokabeln wie moruk (Alter) und lan (Typ).17 Jugendlichen drückten sie Aufnahmegeräte in die Hand und baten sie, ihre Gespräche aufzuzeichnen. Sie stellten fest: Kiezdeutsch ist mitnichten verdummte Sprache, sondern ein kreativer neuer Dialekt, der erstens von allen Jugendlichen in einem mehrsprachigen Wohngebiet gesprochen wird, egal ob ihre Eltern Deutsche, Araber, Russen oder Türken sind, und der zweitens situationsbedingt benutzt wird. Das heißt: in formellen Gesprächen nicht. Heike Wiese, 47 Jahre alt, wohnt seit 1993 in Kreuzberg. Wenn sie spazieren geht, dann fotografiert sie mit ihrem Handy hier und dort auch Sprüche und Graffiti. Für ein Treffen schlägt sie eine Bank am Oranienplatz vor, auf der sie erst kürzlich eine neue (türkische) Kritzelei entdeckt hat. "Sizi çoook seviyorum" steht da, drei o statt einem, wie es korrekt sein müsste. Drei o für drei Initialen, die im Rund dieser Buchstaben stehen: Ich liebe euch sooo!

"Wallah, isch liebe sie übertrieben"

Die beiden kleinen Töchter von Heike Wiese sind längst daran gewöhnt, dass ihre Mutter auf Spielplätzen auch mal auf ein Klettergerüst steigt, wenn der beste Spruch nur über Umwege zu fotografieren ist. Einer der schönsten hat auch einen Platz in ihrem Buch gefunden. "Ingo + Inga = Love, Friends and Fun! Canim Du bist mein Engel." Das türkische Wort canim (mein Leben) steht hier zwischen deutschen und englischen Worten, in der Schreibweise längst eingedeutscht, denn im Original trüge das i keinen Punkt.

Kiezdeutsch übernehme aus anderen Sprachen Wörter, die "klassisch jugendsprachlich" seien, sagt Wiese. "Bewertende Worte oder Anredepronomen wie ,Alter’." Es sei aber falsch zu denken, dass Sprachen und Worte im Kiezdeutsch einfach gemischt würden. Sie werden, erklärt Heike Wiese, "verarbeitet und so verändert, dass sie in das sprachliche System des Deutschen passen". Wer jemals in Kreuzberg und Neukölln Bus gefahren ist, der weiß, was sie meint. Rasant gewechselt wird zwischen den Sprachen immer dann, wenn etwas besonders betont werden soll: "Wallah, isch liebe sie übertrieben."

Ein Sprachkurs auf der Straße

"Sprachlich sind die Jugendlichen alle hochkompetent", sagt Wiese, diese zarte Person, die wie eine Löwin in Interviews und Artikeln gegen die soziale Abwertung des Kiez-Dialektes beziehungsweise seiner Sprecher kämpft. Viele hasserfüllte Briefe hat sie deswegen schon erhalten. Also wiederholt sie in Wort und Schrift immer wieder: Niemand spricht nur ein Deutsch, alle wechseln ab, zwischen formell und informell - oder Dialekt. Sprache ist dynamisch, Kiezdeutsch ist super-dynamisch. Die Jugendlichen, stellte Wiese fest, bringen sich Worte gegenseitig bei. Ein Sprachkurs auf der Straße. Wer hinhört, der lernt.

"Ach Berlin", schrieb der türkische Berliner Schriftsteller Aras Ören in einem Artikel vor knapp zehn Jahren, "wir wissen es beide. Unterschiedliche Kulturen sind dazu da, sich zu vermischen und gegenseitig zu bereichern. Berlin, was meinst du? Ist es zu viel verlangt, wenn ich fordere: Wer hier leben will, hat die Pflicht, mit der Zeit zum Großstadtmenschen zu werden, zum Citoyen." Was nütze einer Metropole ein etwas "gestriger" Untertan, ganz aus der Zeit gefallen, der höchstens deutsch spricht. İste böyle. So ist es.

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