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Berlin: Berlin sucht Wege aus der Armutsfalle

Neuer Sozialatlas alarmiert die Politik: Um viele einzelne Vorschläge wird gestritten, doch ein Konzept ist nicht in Sicht

Die Daten liegen auf dem Tisch: Die soziale Lage in Berlin verschärft sich. Doch was dagegen zu tun ist, darüber wird gestritten. Am Tag nachdem Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD) den aktuellen Sozialstrukturatlas für Berlin vorstellte, warnten Experten vor einer weiteren Entmischung von Wohngebieten in der Innenstadt.

Reiner Wild, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, forderte den Senat auf, die Verdrängung von Sozialmietern in Randlagen und Großsiedlungen aufzuhalten. „Durch die Privatisierung ganzer Siedlungen beispielsweise in Zehlendorf können sich Normalverdiener die Mieten dort nicht mehr leisten und müssen umziehen“, so Wild. So verstärke sich der Trend, dass Besserverdienende in ihren Vierteln unter sich bleiben. Das Quartiersmanagement ist in den Augen des Vereins zwar eine gelungene Maßnahme gegen das weitere Abdriften einzelner Wohngebiete, „wenn der Senat es allerdings ernst nähme, müsste er 30 weitere Quartiersmanagement-Gebiete ausweisen“, so Wild weiter.

Franziska Eichstädt-Bohlig fordert, Haupt- und Realschulen zusammenzulegen, um die Zahl „der perspektivlosen Kinder und Jugendlichen“ zu verringern. Die Fraktionschefin der Berliner Grünen regte außerdem an, Kindertagesstätten zu „Familienzentren“ umzugestalten. Dort sollten Sozialarbeiter und Ärzte Sprechstunden anbieten, um Eltern im Umgang mit Behörden und Verwaltungen zu unterstützen und eine medizinische Grundversorgung für Kinder in Problemquartieren sicherzustellen.

Die besonderen Probleme in den Großsiedlungen seien durch das in den Innenstädten erprobte Quartiersmanagement allein nicht zu lösen. Denn dort fehle es an kleinem Gewerbe wie in der Innenstadt, wo dieses stabilisierend wirke. Daher bedürfe es einer neuen „ressortübergreifenden Strategie“, an der Jobcenter, Bildungseinrichtungen, Kitas und Quartiersmanager beteiligt werden sollten.

„Das Ergebnis des sozialen Monitoring ist schockierend“, sagte Gregor Hoffmann. Der sozialpolitische Sprecher der CDU-Fraktion sprach von einem „Versagen der Senatsverwaltungen“ im Kampf gegen die Armut. „Unter der rot-roten Regierung wuchs die Armut in der Stadt um 17 Prozent“, so Hoffmann. Der CDU-Experte sagte, es reiche nicht aus, mehr Mittel für das „Ende der sozialen Kette zu organisieren“. Gefragt seien vielmehr „ressortübergreifende Maßnahmen“. Denn die „verfehlte Wirtschaftspolitik“ in der Stadt sei für die Polarisierung der Lebensverhältnisse ebenso verantwortlich, wie die Sozialpolitik. Diese habe es versäumt, auf eine „gesunde Durchmischung“ in den Quartieren zu achten. Zu den Kernproblemen zählte Hoffmann außerdem schlechte Bildung und mangelnde Berufsperspektiven für die Menschen in den Problembezirken.

Der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann, Mitverfasser der Studie, nennt die Festlegung von Schuleinzugsbereichen als einen der Gründe für die bereits früh einsetzende und nun zunehmende Spaltung der Gesellschaft. Weil immer mehr Kinder von Migranten oder von schlecht ausgebildeten Deutschen in den selben Quartieren lebten, würden sie bereits frühzeitig von den einheimischen Kindern der Mittelschicht getrennt – und dadurch beim Erwerb von Sprache und Bildung zurückfallen. Häußermann regt deshalb an, dass Migrantenkinder aus sozialen Brennpunkten durch ein „Bus-Zubringer-System“ auf die Schulen der besseren Viertel der Stadt verteilt werden.

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