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Berlin-Tempelhof: Über Verantwortung zu mehr Selbstbewusstsein

Die Putzpläne stellen die Schüler selbst auf: An der Werner-Stephan-Schule werden neue Wege gegangen.

Die Schule. Früher war die Werner-Stephan-Oberschule in Alt-Tempelhof eine ganz normale Hauptschule. Keiner wollte kommen, und wer kommen musste, wollte wieder weg. Inzwischen ist die Schule eine Ausnahme: eine Hauptschule, die mehr Bewerber als freie Plätze hat. Gelungen ist das nicht zuletzt mit der Rekrutierung von Migranten.

In der Tat: Die Werner-Stephan-Oberschule, die gar nicht in einem besonders multikulturellen Kiez liegt, hat sich gezielt um ausländische Kinder bemüht und beherbergt 300 Schüler aus 37 Nationen. Als eine der wenigen bietet sie Förderklassen für Neuankömmlinge, die ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen – Nachzügler aus der Türkei oder Flüchtlingskinder aus Irak oder Afghanistan. Die Werner-Stephan-Schule ist „Schule ohne Rassismus“. Außerdem ist sie Integrationsschule. Und sie eröffnet Wege zu allen Schulabschlüssen. Wer die zehnte Klasse mit einem Schnitt von mindestens 2,5 absolviert, bekommt den Realschulabschluss. Immer wieder schaffen Schüler sogar den Sprung auf ein Aufbau-Gymnasium.

Das Besondere. Einen Schultag stellt man sich eigentlich anders vor. Sämtliche Neunt- und Zehntklässler sind zum Streetball-Turnier angetreten. Aus den Boxen dröhnen die HipHopper von Seeed: „Dickes B, oben an der Spree...“, schallt es über den Sportplatz. Fast werden sie übertönt durch ein paar türkische Jungs, die – „Tina, Tina, Tina“ – ihre Mitschülerin anfeuern. „Streetball ist ungeheuer geeignet, wenn man Jugendlichen soziale Verantwortung beibringen will“, sagt Sportkoordinator Hartmut Henschel. „Einen Schiedsrichter gibt es nicht – Konflikte müssen untereinander gelöst werden.“ Sollte doch etwas passieren, könnte man auf einen von 50 Streitschlichtern zurückgreifen.

Eine Schule über sportliche Aktivitäten zu beschreiben, mag abwegig erscheinen. Doch auch sie geben den Blick frei auf ihr Geheimnis. Den Schülern wird vor allem Verantwortung – und damit Selbstbewusstsein – gegeben. Sie stellen die Schulregeln selbst auf, erstellen die Putzpläne für die Klassenzimmer, schlichten Konflikte. Sie betreiben die Cafeteria als Schülerfirma, führen Besucher umher und dürfen auch im Unterricht entscheiden, was sie lesen wollen. „Wer hierher kommt, hat sechs Jahre lang schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt Schulleiter Siegfried Arnz. „Eine unserer Hauptaufgaben ist, Schüler wiederaufzurichten.“ Nur etwa fünf Prozent brechen ab. Selbstständige Schüler – das heißt aber auch individuelle Schüler. Wann immer möglich, bekommt jeder in der Klasse Unterricht, der seinem Lerntempo entspricht. Im Erdkundeunterricht, Thema „Eroberung“, werden die Schnelleren zur Recherche ins Internet geschickt. Alle anderen bekommen Texte, die ihrer Lesefähigkeit entsprechen.

Schüler und Eltern. Orhan Kurtoglu ist in der 10. Klasse und büffelt. Denn nur wenn er einen Schnitt von über 2,5 erreicht, bekommt er einen Realschulabschluss. „Und nur dann habe ich wohl wirklich Chancen auf eine Lehrstelle.“ Ob er an einer anderen Schule ähnlich motiviert wäre, weiß er nicht. „Hier komme ich prima mit den Lehrern aus“, sagt er, „wenn ich eine Frage habe, helfen sie mir.“ Sogar ein Elternvertreter, der nicht mit Namen in der Zeitung stehen will, weil es doch immer noch mit einem Stigma verbunden sei, wenn das Kind auf die Hauptschule gehe, ist höchst angetan. „Mein Sohn geht gern zur Schule“, sagt er – „und wer geht schon gerne auf die Hauptschule?“ Vor allem sei das der Tatsache zu verdanken, dass „man sich dort gegenseitig akzeptiert“.

Jeannette Goddar

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