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Der Plenarsaal. Der frühere Preußische Landtag wurde in den 1990er Jahren für das Berliner Parlament umgebaut.

© Thilo Rückeis

Berlin-Wahl am Sonntag: Vom Preußischen Landtag zum Abgeordnetenhaus

Bevor die neuen Parlamentarier kommen, hat der Tagesspiegel das Abgeordnetenhaus schon mal inspiziert. Und einiges entdeckt.

Wer in dieses so freundliche wie repräsentative Haus, eher ein kleines Schloss, für fünf Jahre einziehen möchte, der muss momentan noch mit einem Laternenpfahl vorliebnehmen. Dort hängt sein Konterfei und gibt gute Ratschläge. Diese mutigen Menschen, die da auf einen hinabblickte, hatten irgendwann beschlossen, Politiker zu werden. Und nun ist es so weit. Die Stunde naht, da sie die Berliner Machtzentrale in der Niederkirchnerstraße 5 bewohnen. Oder auch nicht. Zunächst mal wurde das Berliner Parlament von den Medien okkupiert und TV-tauglich gemacht. Das Fernsehen machte richtig ernst, krempelte Säle, Flure und Fraktionsräume um, baute Studios, verlegte Kabelschlag, Teppiche und installierte die Crème der Damen und Herren Reporter, Interviewer und Hochrechnen, die von hier aus ihre Signale über alle Kontinente bis hin zum Mond senden: Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt! Hier wird gewählt! Die Zukunft der Hundeleinen- oder die Ferienwohnungsverbotsverordnung könnten neu geschrieben werden.

Aber nun mal im Ernst: Was ist eigentlich an dem wunderbaren Berliner Parlamentsgebäude, dem früheren Preußischen Landtag und heutigen Abgeordnetenhaus, so Besonderes, dass so viele darin arbeiten möchten, still sitzen, beraten, Papiere wälzen, abstimmen, ihre Meinung verkünden und sich im wahrsten Sinn des Wortes mächtig fühlen möchten? Und das alles zum Wohle des Volkes!

Zwischen Abgeordnetenhaus und Martin-Gropius-Bau stand die Mauer

Das Haus vom Geheimen Baurat Friedrich Schulze im Stil der italienischen Hochrenaissance wurde 1899 als Tagungsort der Zweiten Kammer des Preußischen Landtags eingeweiht, ein Repräsentations- und Arbeitsort, der von der Straßenkante zurückversetzt wurde, da die Herren Kunstprofessoren im Martin-Gropius-Bau befürchteten, dass ihre Ateliers durch den breiten Klotz verschattet würden. Solche Geschichten schüttelt sich René Rögner-Francke, der das Referat Öffentlichkeitsarbeit leitet, lässig aus dem Ärmel, und auch sonst begleitet uns der Mister Allwissend vom Keller bis zum Dach, wo einst Russen und Stasi-Menschen als Horch- und Guckposten den Klassenfeind ausspionierten. Ja, das Abgeordnetenhaus stand im Osten, der Martin-Gropius-Bau gegenüber war schon Westen. Dazwischen die Mauer.

Im Mai 1933 tagt der Preußische Landtag zum letzten Mal

Eine unsichtbare Mauer steht schon nach dem Ersten Weltkrieg in diesem Haus: Der Reichsrätekongress stellt die Weichen für eine parlamentarische Demokratie, doch als Reaktion darauf gründet die extreme Linke mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Festsaal des Landtags Silvester 1918 die KPD. 1933, bei den letzten Landtagswahlen, werden die Nationalsozialisten stärkste Fraktion, im Mai tritt der Preußische Landtag zu seiner letzten Sitzung zusammen. Das Gebäude wird in die Stiftung „Preußenhaus“ überführt, im Juni 1934 wird im Plenarsaal der berüchtigte Volksgerichtshof gegründet. 1936 lässt Hermann Göring als Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe das Gebäude zum „Haus der Flieger“ umbauen, der Landtag wird zum Offizierskasino und „der dicke Hermann“ feiert im Festsaal seine Hochzeit mit Emmi Sonnemann.

Ein Blick ins Foyer des Abgeordnetenhauses.
Ein Blick ins Foyer des Abgeordnetenhauses.

© Thilo Rückeis

In den letzten Kriegstagen wird das Gebäude beschädigt, gleich nach 1945 wieder teilweise instandgesetzt. Hier und im angrenzenden „Haus der Ministerien“ sitzt die erste DDR-Regierung – der Plenarsaal indes bleibt eine Ruine, in der bis zur Wende Tauben ihr Dasein fristen. Die nahe Lage an der Mauer verbietet der DDR, aus dem Gründungsort der KPD eine Kultstätte oder ein Museum zu machen. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Am liebsten gar nichts.

Kurz nach der Wiedervereinigung beschließt das Abgeordnetenhaus einstimmig, seinen Sitz vom Rathaus Schöneberg in den einstigen Preußischen Landtag zu verlegen. Der wird in Rekordzeit für 168 Millionen D-Mark modernisiert und umgebaut. Seit April 1993 funkelt das Gebäude, außen wie innen. „Es ist wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch“, sagt René Rögner-Francke, „hier stand die Wiege der deutschen Demokratie.“

Die heutigen Abgeordneten werden bei ihren Sitzungen immer ein wenig an die Anfänge nach 1945 erinnert: An der Stirnseite hängen drei Fahnen, die deutsche, die der EU und in der Mitte das Berliner Stadtwappen, ein wenig vergilbt. Die Berliner Fahne ist ein Original, sie hing schon nach dem Ende des Krieges im Plenarsaal der Stadtverordnetenversammlung im Neuen Stadthaus und von Januar 1949 bis März 1993 im Rathaus Schöneberg. Der Bär ist weder stolz noch aggressiv. Er ist gebeugt und gebeutelt, schlank und streckt keine freche Zunge ’raus, auch keine Krallen. Ein demütiges Tier. Vielleicht ist Demut eine jener Eigenschaften, die die Abgeordneten in die Niederkirchnerstraße 5 mitbringen sollten?

Das Parlament ist auch Kunsthalle

Und kunstverständig sollten sie auch sein, die Damen und Herren Volksvertreter, denn das Parlament ist auch ein bisschen Kunsthalle mit Galerien zeitgenössischer Malerei und Plastik. Fünf farbige, etwas diffuse Großformate von Gerhard Richter („Rot-Blau-Grün-1994“) zieren den Festsaal, im schmucken Casino hat Lokalmatador Matthias Koeppel die Senatsmannschaft von 1987 vor den Gropius-Bau platziert und Szenen der Maueröffnung als Triptychon dargestellt. In der „Galerie der Ehrenbürger“ hängen 48 Porträts berühmter Frauen und Männer, von Willy Brandt bis zu Nikolai Bersarin, dem ersten Stadtkommandanten, dessen Familie auf einer Fotografie bestand. Aber sonst nur interessante Malerei, Marlene Dietrich ist auch dabei und fällt aus dem Rahmen – als Ölplastik aus Holz, vom Urenkel John Matthew Riva. Und der vielseitige Robert Wilson schuf ein „Video-Porträt“ von Unternehmer Werner Otto: Der Mäzen plinkert einem zu. Helmut Schmidt ist mit dem Ausschnitt einer Rede vertreten, die er soeben mit grüner Tinte redigiert haben könnte: „Mein Grundsatz war immer und bleibt: Wer Verantwortung trägt, der muss sowohl für die beabsichtigten wie die unbeabsichtigten Folgen aufkommen.“ Und weil wir gerade bei den ewig aktuellen Dingen sind: Im Parterre liegen neben Geschenken ausländischer Delegationen in den Vitrinen hinter Glas Dokumente zur jüngsten Berliner Geschichte. So auch ein Programm der SPD zur Abgeordnetenhauswahl am 17. Februar 1964 mit einem visionär in die Ferne blickenden Willy Brandt. Titel: „Unsere Erfahrung seit 1945: Wir schaffen es!“

Uwe Lehmann-Brauns scheidet nach mehr als 30 Jahren aus

Das Abgeordnetenhaus ist wie ein aufgeschlagenes deutsches Geschichtsbuch. Die, die am heutigen Sonntag gewählt werden, mögen es zu lesen verstehen. Und die Erfahrungen ihrer Vorgänger nutzen. Uwe Lehmann-Brauns von der CDU scheidet nach mehr als 30 Jahren im Parlament aus. „Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne“, sagt er, „aber dann erwartet den Neuling jede Menge Arbeit. Und Papier. Und Spannung. Das Leben sieht von innen ganz anders aus als von außen ...“

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