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Original und Nachbau. Lorenz Huber wehrt sich gegen „Plastiknippes Made in China“. Sein „Berlin im Beutel“ wird in den Via Behindertenwerkstätten in Berlin

© David Heerde

Berlin zum Nachbauen: Ein Bausatz mit künstlerischen Anspruch

Die Spree aus Filz, der Fernsehturm zum Zusammenstecken, eine lückenlose East Side Gallery. Modellbauer Lorenz Huber hat mit "Berlin im Beutel" ein Souvenir erfunden, das die Stadt bewegen soll.

Achtung: Dies ist kein Kinderspielzeug. Auch wenn „Berlin im Beutel“ auf den ersten Blick nach Bauklötzchen und Modellautos aussieht, ist es doch ausschließlich für erwachsene Spielkinder gemacht. Zu leicht könnte ein Kind etwa eine Eisenbahnschiene oder die dazugehörige Straßenbahn – originalgetreu dem neuesten Modell „Flexitram“ nachempfunden – verschlucken. Ist das Bauset also ein Souvenir für Modellbauer, die sich ihr kleines Berlin maßstabsgetreu auf der Wohnzimmeranrichte aufbauen wollen? Tatsächlich gibt es das Set auch als Edition „Baustelle“, komplett zum Selbst-Zusammenkleben. Doch warum ist der Fernsehturm dann in Pink und Grün angepinselt? Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor kommt als gewelltes Fitzelchen aus Silberpapier daher – originalgetreu ist das nicht, würde der Modellbauer einwenden.

Der will Lorenz Huber auch gar nicht sein. Er sitzt in seinem Atelier mit Blick auf den Alex und hat sein kleines Berlin vor sich aufgebaut. Das Park-Inn-Hotel steht irgendwie nicht im richtigen Winkel zum Fernsehturm und die Spree will auch nicht so recht den topografisch korrekten Bogen schlagen. Egal, findet der Bausatz-Erfinder. Ihm ist etwas ganz anderes wichtig. „Es hat schon einen künstlerischen Anspruch“, sagt Huber. Nicht zu viel Farbe auf dem matten Buchenholz, sorgfältig gelaserte Fensterfronten und eine Baumreihe zum Zusammenstecken gehören zu den einzelnen Bestandteilen, die er in vier Monaten neben seiner Arbeit als Tanzchoreograf entwickelt hat. „Ich hatte schon öfter Ideen, zum Beispiel einen Alex als Kinderspielzeug“, erzählt er. Umgesetzt hat er es nie, keine Zeit. „Und dann kam der vor vier Jahren tatsächlich raus“, erzählt er. Ein anderer hatte seine Idee umgesetzt.

Das sollte ihm nicht noch einmal passieren. Mit dem charmanten Beutelbausatz will er den Markt verändern. Tourismus sei ein großes Thema, sein Projekt eine Antwort auf aktuelle Trends. „Ich habe mich geärgert über das Angebot“, sagt Lorenz Huber. Plastiknippes und Made in China kommen ihm nicht ins Haus. „Mir liegt am Herzen, dass es auch in Berlin produziert wird.“ Die Via Behindertenwerkstätten haben bereits 100 Exemplare produziert. Auch wenn die Mitarbeiter dort langsamer arbeiten, will Huber an der Produktionsweise festhalten. Für ihn ist es eine Frage der Ehrlichkeit: „Berlin im Beutel“ soll ein Souvenir von Berlinern für Berlin sein.

Der Ton in Hubers Stimme wird zärtlich und sein Blick verträumt, wenn er über die Stadt spricht, die da in Einzelteilen vor ihm steht. „Berlin ist eine sehr liebenswerte Stadt“, sagt er. Also soll sie auch liebenswerte Souvenirs bekommen. Und noch etwas: „Du bist Berlin, du kannst die Stadt gestalten“, will Huber mit dem interaktiven Spielzeug vermitteln. Das eine Berlin gibt es nicht. Deshalb ist im Beutel auch ein Klötzchen, auf dem „Mein Lieblingsplatz“ eingraviert steht. Den kann jeder platzieren, wo er mag, ob an die filzige Spree, auf die borstige Rasenfläche oder auf den Reichstag mit seiner durchsichtigen Plastikkuppel. „Künstlerischen Idealismus“ nennt Huber seinen Antrieb, der ihn monatelang mit Drucktechniken, Lasermaschinen, Schere und Pinsel experimentieren ließ. Detailtreue war ihm wichtig. Deshalb war sein erster Gedanke, als die zusätzlichen Lücken in die East Side Gallerie gerissen wurden. „Eigentlich müsste ich da auch eine Lücke schlagen.“ Am Ende blieb das fein gravierte Plättchen aber unversehrt.

Das Konzept ist noch längst nicht ausgereizt. Hubers Zielgruppe sind nicht nur Touristen, sondern auch Firmen, die sich dann selbst als Klötzchen im Ensemble der Stadt platzieren können. Die Sets sollen als hochwertige Werbegeschenke auf den Markt kommen. Einen Stop-Motion-Film hat Huber auch schon im Kopf. „Berlin im Lauf der Jahreszeiten“ ist das Thema, für das abwechselnd weiße Watteflöckchen und braune Blätterschnipsel auf die Klötze rieseln werden.

Schmissige Slogans hat Huber jedenfalls schon parat: „Auch der klotzigste Charakter soll bewegt werden.“ Überhaupt, Bewegung: Die ist das Thema seines zweiten Souvenirs, dem „Pflaster on tour“. Die Autobusse aus Berliner Pflastersteinen sind Hubers beweglicher Vorstellungskraft entsprungen. „Eines Tages wurde mir klar, warum es so viele Schlaglöcher gibt“, sagt er und grinst. „Das Pflaster verselbstständigt sich einfach und fährt weg.“ Nun fahren die Steine als bunt bemalte Busse umher. Allemal besser, findet Huber, als sie auf Demos zu werfen.

Berlin im Beutel gibt es „Misses & Marbles“, Raumerstrasse 36, Prenzlauer Berg, im „playingwitheels“, Urbanstraße 32, Kreuzberg, und im „Café Ostfee“, Oderberger Str. 39. Das Set kostet 29,90 Euro.

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