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Die Ausstellung „Berliner Stadtmodelle“ ist der Arbeitsplatz der von Paula Beer gespielten Titelheldin im Film „Undine“.

© Marco Krüger/ Schramm Film

Berlinale 2020: Wie sich Berlin durch das Programm der Filmfestspiele zieht

Die Berlinale trägt die Stadt bereits im Namen. Auch im Programm der Filmfestspiele übernimmt sie eine wichtige Rolle.

Die Frau war begeistert: „Mein Haus steht ja noch. Dort habe ich mal gewohnt.“ Eine Westdeutsche mit Ost-Berliner Vergangenheit, wie sich zeigte. Die war jäh vor ihrem inneren Auge wieder aufgetaucht, ausgelöst durch ein spielzeughaftes Holzhäuschen im Maßstab 1:500.

Auch solche Szenen gehören zur Welt der „Berliner Stadtmodelle“, der Dauerausstellung im Gebäude der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Mitte. Ein beliebter Anlaufpunkt für Touristenbusse, schon wegen der vier spektakulären, ein ganz neues City-Gefühl vermittelnden Stadtmodelle, doch ebenso wegen der öffentlichen Toilette.

Die Ausstellung könnte bald Berlinale-Besucher anlocken

Gut möglich, dass die Ausstellung bald neue Kreise anlockt: Berlinale-Besucher auf der Suche nach den Lebens- und Wirkungsstätten ihrer Filmhelden. Und -heldinnen! Eine gerade bei einem Film wie „Undine“ unabdingbare Erweiterung, ist doch der Arbeitsplatz der Titelheldin von Christian Petzolds Wettbewerbsbeitrag, einer beim Senat angestellten, auf Stadtführungen spezialisierten Historikerin, die touristenfreundliche Schau der Stadtmodelle.

„Undine“ – allein im Namen schwingen Jahrhunderte Berliner Kulturgeschichte mit. Undine, jungfräulichnymphenhafter Wassergeist, ebenso verlockend wie gefährlich für uns Menschen und geradezu lebensgefährlich für Männer, die dem mythischen Wesen erst ihr Herz schenken und sich zuletzt als treulos erweisen.

Friedrich de la Motte Fouqué hat ihr ein romantisches Kunstmärchen, sein berühmtestes Werk, gewidmet, 1811 veröffentlicht in Berlin. Fünf Jahre später folgte die gleichnamige Oper, mit dem Libretto von Fouqué, der Musik von E.T.A. Hoffmann und dem Bühnenbild von Karl Friedrich Schinkel.

Ein Riesenerfolg, der nach 14 Aufführungen im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt jäh endete, als das von Carl Gotthard Langhans erbaute Theater abbrannte, der Wassergeist Undine den Flammentod fand. Geht noch mehr Berlin?

Berlin zieht sich als roter Faden durchs Programm

Etwa, wenn man wie Petzold die Geschichte in die Gegenwart verlagert, Undine (Paula Beer) damit zum ersten bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung angestellten Elementargeist avanciert. Liebesleid lernt auch sie kennen, widersetzt sich aber dem Fluch, ihren treulosen Lover töten zu müssen, findet vielmehr neues Glück, passenderweise bei einem Industrietaucher, was auf Dauer auch nicht problemfrei bleibt. Und dies alles vor der Kulisse der alten Stadtmitte.

Berlin, das sei geradezu ein roter Faden des Programms, hat der neue Berlinale-Direktor Carlo Chatrian unlängst im Tagesspiegel-Interview zugestanden. Die Stadt dreimal allein im Wettbewerb!

Die dunklen Seiten Berlins

Schon am Titel ersichtlich in Burhan Qurbanis „Berlin Alexanderplatz“, der ebenfalls eine alte Geschichte in die Gegenwart holt, diesmal „frei nach dem Jahrhundertroman von Alfred Döblin“.

Aus Franz Biberkopf ist Francis (Welket Bungué) geworden, Flüchtling aus Afrika, der zum ersten Mal so was wie Glück verspürt, als er das Escortgirl Mieze (Jella Haase) trifft.

Wie sein aus den wilden Zwanzigern des vorigen Jahrhunderts stammendes Alter Ego lernt er meist eher die dunklen Seiten Berlins kennen. Zum Beispiel die „Tabu Bar“ in der Charlottenburger Bismarckstraße, deren Spezialität Tabledance ist.

Die Geschichte führte das Drehteam auch in die nächtliche Karl-Marx-Allee, zum Neptunbrunnen, in die Hasenheide und den Plänterwald und selbstverständlich zum Alexanderplatz.

Die Stammgäste der Eckkneipe „Lenau-Stuben“ in der Neuköllner Hobrechtstraße können ihr Feierabendbier künftig an einem echten Filmdrehort genießen. Ähnliches gilt für das Ballhaus Berlin in der Chausseestraße in Mitte.

Auch das Hotel The Westin Grand Berlin in der Friedrichstraße, das ehemalige Regierungskrankenhaus der DDR und das Stasi-Krankenhaus, beide in der Hobrechtsfelder Chaussee in Buch gelegen, tauchen im Film auf.

Auch „Schwesterlein“ spielt in Berlin

Doch am nächsten kamen sich das Filmteam und die Welt der von ihnen erzählten Geschichte in der ehemaligen Lungenklinik Heckeshorn in Wannsee: Gedreht wurde bei der Firma Flatliners, die frühere Krankenhausräume als Zwischennutzung an Film- und Fernsehproduktionen vermietet.

In anderen Teilen des weitläufigen Areals sind seit einigen Jahren Flüchtlinge untergebracht – Menschen wie Francis eben.

Fortgesponnen wird der rote Faden Berlin im Wettbewerbsfilm „Schwesterlein“ von Stéphanie Chuat und Véronique Reymond, der den Blick von den Dunkelzonen der Berliner Halbwelt verlagert auf die lichten Höhen des Theaterbetriebs und hier besonders der Schaubühne.

Obwohl, so heiter geht es in der fiktiven Welt des Films auch nicht zu, nicht für Schauspieler Sven (Lars Eidinger), gerade noch gefeierter „Hamlet“-Star, der nun wegen einer Leukämie-Erkrankung aussortiert wird. Ein Vexierspiel mit Fiktion und Wirklichkeit, spielt doch ausgerechnet Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier den Theaterboss und hat auch Eidinger an der Schaubühne als Hamlet brilliert.

Und das Schwesterlein? Sie heißt Lisa, wird von Nina Hoss gespielt, auch sie Schaubühnen-erfahren. Ohne Berlin wäre der Film kaum zustande gekommen: Die beiden Regiefrauen hatten Nina Hoss vor fünf Jahren zufällig in einer der hiesigen Boutiquen getroffen und angesprochen. Drei Tage später traf man sich am Potsdamer Platz auf einen „schnellen Kaffee“, er dauerte drei Stunden.

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Alles Theater? Das gilt irgendwie auch für Bettina Böhlers „Panorama“-Doku „Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“, in dem das Berliner Wirken des Film- und Theaterregisseurs und Aktionskünstlers breiten Raum einnimmt, mit der Volksbühne als wichtigstem Zentrum. Nur eine Episode ist Berlin dagegen in „Die letzte Stadt“ (Encounters) von Regisseur Heinz Emigholt gewidmet.

Auch in die Sektion „Generation“ ist der rote Faden Berlin eingewoben, hierfür steht gleich der Eröffnungsfilm „Kokon“ von Leonie Krippendorf. Zugleich eine Coming-of-Age- und Coming-out-Geschichte, gedreht im Mikrokosmos Kreuzberg mit dem Kottbusser Tor als Hauptschauplatz.

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Im Mittelpunkt steht die 14-jährige Nora (Lena Urzendowsky), die gerade ihre Sexualität entdeckt und sich mehr und mehr hingezogen fühlt zu der selbstbewusst-wilden, etwas älteren Romy (noch mal Jella Haase). Mit ihr lernt sie eine ihr unbekannte Welt fern vom engen Elternhaus kennen, ein vielfältigeres, toleranteres Leben, zu dem schon mal gehört, im Einhorn-Kostüm über den nächtlichen Kotti zu rennen.

Mit „The American Sector“ von Courtney Stephens und Pacho Velez (Special) schließlich wird der rote Faden sogar quer über den Atlantik gespannt. Die Dokumentarfilmer haben in den USA den dorthin exportierten Resten der Berliner Mauer nachgeforscht. Wo sie zu finden sind? An den unglaublichsten Orten.

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