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Berlin: Berliner Ämter: Endstation Verwaltungs-Schilda

Gut, wenn eine Wirtschaftssenatorin a. D.

Gut, wenn eine Wirtschaftssenatorin a. D. einmal einen Unternehmer persönlich beim Gang ins Wirtschaftsamt begleitet. Juliane Freifrau von Friesen hat dabei Folgendes erlebt: Der Investor mit Hang zur Hauptstadt will in Berlin einiges auf die Beine stellen. Zunächst aber begrüßt ihn die Stadt mit ihrer ganz speziellen Visitenkarte: Er muss sich im Amt den Weg durch unzählige wartende Menschen bahnen, bis er nach Irrwegen durch die Flure endlich das zuständige Büro findet. Zumindest hoffen das der Mann und seine Begleiterin, denn an der Tür ist kein entsprechendes Schild zu finden. Willkommen im Hauptstadt-Labyrinth! Die Liste der Unzulänglichkeiten im hauptstä dtischen Verwaltungs-Schilda ließe sich beliebig fortsetzen. Die Erfahrung vieler Gewerbetreibender lautet: In Berlin mit seinen konkurrierenden Hauptverwaltungen und den äußerst individuell verfahrenden Bezirksbehörden verfängt man sich allzu leicht im Bürokratie-Dickicht. Für ein einziges Vorhaben, das hat von Friesen, die einst von den Grünen benannte, parteilose VEAG-Wirtschaftsexpertin selbst erlebt, rennen Gewerbetreibende Dutzenden von Genehmigungen hinterher.

Beispiel Mitte: Hackescher Markt, Aufbau-Verlag. Ein traditionsreiches Haus mit Autoren wie Feuchtwanger, Brecht, Seghers, Kant. Seitdem sich der Verlag 1995 an der Neuen Promenade eingerichtet hatte, folgten Jaron, Rowohlt und andere. Aus 40 Mitarbeitern sind inzwischen 75 geworden, und es wird langsam eng. Um das Gebäude herum gäbe es genügend Platz, um die Firma auszubauen. Allein, die Behörden werfen dem Verlagsleiter Bernd F. Lunkewitz Knüppel zwischen die Beine. Er könnte eines der beiden Grundstücke von der Jewish Claims Conference kaufen, Quadrameterpreis: 4300 Mark. Die würde er zahlen. Doch die kommunale Sanierungsstelle befindet: Der Preis liegt zu hoch. Merkwürdig nur, dass das Land Berlin über seinen Liegenschaftsfonds für das Nachbar-Grundstück, das der Verleger ebenfalls kaufen möchte, genau den gleichen Preis verlangt. Damit nicht genug. Die Vorschriften zum Schutz des Kiezes besagen, dass Neubauten zu je 50 Prozent aus Gewerbe und 50 Prozent aus Wohnraum bestehen müssen. Das gilt auch für Bernd Lunkewitz. "Das ist total unsinnig", sagt er. Das eine Grundstück grenze an drei Seiten an Brandmauern. Sicht gebe es nur nach Norden. Lunkewitz: "Wer würde denn in eine solche Wohnung je einziehen wollen?" Auf dem anderen Grundstück würde er über den neuen Büros sogar zwei Stockwerke mit Wohnungen bauen, aber das wären eben nur 20 Prozent. Der Verleger ist froh, dass seine Firma noch eine Dependance in Frankfurt am Main besitzt.

Warum kann man den Mann nicht einfach um Zuschüsse für weitere Wohnungen in unmittelbarer Nähe bitten, fragt sich Freifrau von Friesen. Und warum werden Vorschriften so oft buchstabengetreu statt sinngemäß umgesetzt? Die Wirtschaftsverwaltung sieht das Problem. "Es gibt zu wenig Bereitschaft zum Kompromiss und zu wenig Kreativität", sagt Sprecherin Heike Engelhardt. Dafür aber geht die Angst um, Klage befördernde Präzendenzfälle zu schaffen.

Auch Berlins Einzelhändler kennen sich aus mit der Berlin-Bürokratie. Die Kühltruhe darf auf keinen Fall dicht an der Wand stehen, die Schwingungen könnten sich in Wohnungen übertragen, sagt das Umweltamt. Die Kühltruhe muss ganz dicht an die Wand, damit kein Dreck dahinter fallen kann, sagt das Gesundheitsamt. Was gilt nun? "Man muss einen Puffer anbringen zwischen Truhe und Wand", glaubt Handelsfachmann Jan Holzweißig zu wissen.

Unterschiedliche Auslegungen sind Ex-Wirtschaftssenatorin von Friesen zufolge "der Preis, den wir für das Mehr an Autonomie in den Großbezirken" zahlen müssen. Unternehmer in Nöten finden seit sechs Jahren immerhin bei der "Task Force" der IHK Hilfe. Als ausbaufähig gilt schon seit langem die Investorenleitstelle der Wirtschaftsverwaltung. Hier arbeiten derzeit ganze drei Personen - für sämtliche Firmen mit 1,55 Millionen Erwerbstätigen in dieser Stadt.

Dutzende Genehmigungen für ein einziges Vorhaben - das nähmen Existenzgründer und Investoren noch in Kauf, wenn wenigstens das Klima stimmen würde. Doch in Berlin mangelt es noch immer an Fingerspitzengefühl, Verlässlichkeit, Freundlichkeit. Mal ein Dankesbrief, eine Einladung zu IHK-Empfängen für junge Existenzgrü nder aus den Schlüsselbranchen Biotechnologie, Umwelt, Medizin, Softwaretechnik. In Sachen Kontaktpflege besitzt Berlin keinesfalls Hauptstadtniveau, sagt Freifrau von Friesen. Ach ja, zum Schluss noch etwas Positives. Im Jahr 2001 betrug die Differenz zwischen An- und Abmeldungen von Gewerbetreibenden - und damit ist diese Stadt fast so gut wie Spitzenreiter Hamburg - 3000. Dreitausend, die es geschafft haben. Trotz alledem.

Annette Kögel

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