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„An die Disziplin der Einzelnen wird eine hohe Messlatte gelegt“, sagt der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Amtsarzt zum Stand der Pandemie: „Wir sind nicht an dem Punkt, dass wir laut um Hilfe schreien müssen“

Die Corona-Zahlen steigen, aber noch sei die Lage unter Kontrolle, meint Patrick Larscheid. Die Warnungen aus der Politik hält er trotzdem für wichtig.

Patrick Larscheid ist leitender Medizinischer Direktor und Amtsarzt des Gesundheitsamtes Reinickendorf.

Die Zahl der gemeldeten Fälle liegt in Deutschland jetzt wieder bei rund tausend pro Tag. Ist die Lage noch ausreichend unter Kontrolle – oder kippt sie?

Positiv ist, dass wir im Moment ziemlich gut Bescheid wissen über die Herkunft der Neuinfektionen. Rund 40 Prozent sind Rückkehrer aus Risikogebieten – das ist ein klarer Eintrag von außen, der identifiziert und durch entsprechende Kontrollmaßnahmen im Griff ist.

Zehn Prozent kommen aus definierten Ausbruchsgeschehen, der Rest verteilt sich diffus. Es gibt einige Hotspots, so auch in Berlin: etwa in Restaurants, Kneipen – also aus der Gastronomie. Die Zahlen sind höher als in der Vergangenheit, aber die Situation ist aus unserer Sicht im Moment nicht am Kippen.

Aber das bedeutet ja, dass die Infektionsquelle bei einem erheblichen Teil der Infektionen unbekannt bleibt. Wie steht es um die Nachverfolgung?

Die klappt ganz gut – wir können besser als in der Vergangenheit sagen, wo Infektionen herkommen. Gleichzeitig kommt man teils an die Grenze. Wir sind nicht immer in der Lage, die Infektionsquellen herauszufinden. Manches bleibt einfach rätselhaft.

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Bei Infektionen aus dem Ausland wissen wir es zwar nicht genau, aber es ist zumindest kein Infektionsgeschehen, das in Deutschland stattgefunden hat. Und das ist eine ganz wichtige Botschaft.

RKI-Chef Lothar Wieler und Gesundheitsminister Spahn warnen derzeit ja deutlich.

Es ist Aufgabe von politisch Verantwortlichen, zur Wachsamkeit aufzurufen. Ich halte das für sehr gerechtfertigt, wenn man sieht, wie viele Leute sich im Moment an gar nichts mehr halten hinsichtlich etwa der Abstandsregeln – beispielsweise was private Feierlichkeiten angeht, wie man in der ganzen Stadt beobachten kann.

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Wenn bei einem erheblichen Teil der Fälle die Infektionsquelle nicht rekonstruiert werden kann: Ist dann die Dunkelziffer nicht zu hoch?

Insgesamt herrscht in der Medizin eine viel höhere Sensibilität als zum Anfang der Pandemie – auch bei den diagnostischen Maßnahmen. Bei den Gesundheitsämtern herrscht außerdem eine größere Routine. Es ist nicht auszuschließen, dass hier und da Ämter sehr stark belastet sind. Auch in Berlin haben wir gut zu tun, keine Frage. Aber wir sind nicht an dem Punkt, dass wir laut um Hilfe schreien müssen.

Der Charité-Virologe Christian Drosten hat ja vorgeschlagen, dass man sich bei einer starken Zunahme der Infektionsfälle auf die Superspreader konzentrieren sollte. Funktioniert das im Alltag?

Der Ansatz ist gut überlegt, hat aber auch einige Schwächen. Er ignoriert zum Beispiel, dass erst einmal jeder einzelne Fall nachverfolgt werden muss, um herauszufinden, ob Personen zu einem Cluster gehören.

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Für uns würde sich im praktischen Vorgehen durch diesen Vorschlag erst einmal überhaupt nichts ändern. Es ist auch nicht möglich, dass wir Einzelfälle ignorieren: In der Theorie ist es sehr einfach, Superspreader zu identifizieren. In der Praxis nicht.

Woran hakt es denn derzeit?

Wir müssen in unseren Bezirksämtern klarmachen, dass das uns zur Verfügung gestellte Fremdpersonal uns weiter unterstützen muss. Das ist teils nicht einfach, weil auch andere Aufgaben auf das Personal warten.

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Die Tests von Reiserückkehrern an den Flughäfen, die von Charité und Vivantes durchgeführt werden, verursachen außerdem eine große Zusatzarbeit und eine erhebliche Verunsicherung der Bevölkerung, verbunden mit einer enormen Beratungsarbeit.

Machen die nun wieder geöffneten Schulen Ihnen Sorgen?

Die Europäische Seuchenschutzbehörde (ECDC) hat zuletzt sehr zur Beruhigung beigetragen: Sie sagt, dass nach wie vor nicht zu erwarten sei, dass es Kind-zu- Kind-Übertragungen in Schulen geben wird. Kinder haben auch eine geringere Krankheitslast. Wir sind immer wachsam, aber hinsichtlich der Schulen überhaupt nicht besorgt.

Eine Berliner Grundschule hat auch im Unterricht nun eine Maskenpflicht eingeführt. Wie bewerten Sie dies?

Wichtig ist es, Dinge einheitlich zu machen. Manchmal ist es aus praktischen Gründen einfacher zu sagen, wir tun es einfach immer, als wenn man lauter Ausnahmen etabliert.

Droht im Herbst Chaos – wenn auch andere Erkältungskrankheiten zunehmen und Menschen vermehrt drinnen sind?

Wenn die Bedingungen sich verschlechtern und die Gastronomie auf Innenräume ausweichen muss, wird es eine große Herausforderung. An die Disziplin der Einzelnen wird eine hohe Messlatte gelegt. Aber jeder hat auch ein Instrument an der Hand, wir können es beeinflussen.

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