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Für alle Fälle. Der CDU-Landesvorsitzende Frank Henkel hat die Union auf die Schiene der programmatischen Erneuerung gesetzt – doch nicht alle ziehen mit. Im Fall des Islamkritikers und Abgeordneten Stadtkewitz will Henkel jetzt die Notbremse ziehen.

© Thilo Rückeis

Berliner CDU: Allein im weiten Mittelfeld - vor fünf Jahren

Die CDU wollte modern werden: liberal, großstädtisch und etwas grün. Doch es gab Hinweise darauf, dass die programmatische Runderneuerung manchem in der Partei etwas zu weit gegangen ist. Was Werner van Bebber damals schrieb.

Ach ja, die Grünen. Mancher in der Union wirkt schon genervt von den Vergleichen zwischen der alten Volkspartei CDU und der scheinbaren neuen Volkspartei, den Grünen. Die einen, die CDU, machen mit der nun nicht mehr ganz so neuen Führung Programmarbeit und streiten nicht mehr. Doch in den Umfragen kommen sie aus den gewohnten Regionen um 20 Prozent nicht heraus. Die anderen, die Grünen, machen gewöhnliche Oppositionspolitik. Nebenbei bringen sie Bundestagsfraktionschefin Renate Künast als Spitzenkandidatin für 2011 ins Gespräch – und überflügeln laut einer aktuellen Forsa-Umfrage die CDU um ganze zehn Prozent, liegen auf Augenhöhe mit der SPD. Das nervt die Strategen in der CDU, es schmerzt sie sogar. „Wohlfühlpolitik“ machten die Grünen, ächzt CDU-Landes- und Fraktionschef Frank Henkel, ein „Innenstadtphänomen“ sei die grüne Partei, schimpft Fraktionsvize Michael Braun.

Dass Unionspolitiker auf den grünen Umfrageboom leicht gereizt reagieren, hängt mit der Vorwahlkampfstimmung zusammen – aber nicht nur. Die Gereiztheit hat auch mit der Erkenntnis zu tun, dass die Zeiten wohl vorbei sind, in denen die CDU in Berlin für Ergebnisse weit über 30 Prozent gut war. Der dritte Grund: In Teilen der Stadt, in den bürgerlichen Kiezen der Innenstadtbezirke, in Prenzlauer Berg wie in Wilmersdorf, konkurrieren CDU und Grüne direkt miteinander. Das ist für die CDU schwieriger als für die Grünen. Denn was sie in der liberalen Mitte gewinnen kann, das könnte sie rechts verlieren. Das bestätigen viele in der Partei – vor allem Politiker aus Kreisverbänden, in denen die alte CDU-Wählerschaft, West-Berliner, bürgerliche Leute, Facharbeiter, Polizisten, Rentner, ebenso organisiert ist wie die neue: jüngere Zuwanderer aus dem Rest der Republik, die wegen des Jobs nach Berlin gezogen sind, mit Frau und Kindern in einem Innenstadtbezirk wohnen.

Um auch die jüngere Wählerschaft zu erreichen, haben die Vorfrauen und Vormänner der CDU eine programmatische Runderneuerung begonnen. Mit Friedbert Pflüger und seiner Jamaika-Strategie war es losgegangen. Landeschef Henkel stellte dann ein Bildungskonzept ohne Hauptschule vor. Das Signal: Mit uns geht in der Schulpolitik vieles; wir bestehen nicht, wie früher, auf der Dreigliedrigkeit. Ein weiteres Konzept: Auf dem Flughafen Tegel soll nach dessen Schließung ein „Solar- und Industriepark“ entstehen. Das Signal: Moderne Industriepolitik ist bei der CDU angesagt. Schließlich: das Integrationskonzept – stärkster Beweis dafür, dass die Unions-Vordenker sich auf die Probleme der Stadt und der Zeit einlassen: „Gemeinsinn und Leistung“, lautet der Titel. Einstimmig beschlossen. Frei von Vorurteilen und, wichtiger noch, von den von früher bekannten Ausgrenzungstendenzen. Die Berliner CDU – angekommen in der Gegenwart, realpolitisch wie der Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), offen für alle, die etwas werden wollen, ob mit Kopftuch oder ohne. So war das Integrationskonzept gedacht. Und so – als Ausdruck der Liberalität der Berliner CDU – will es die Mehrheit der Partei, das sagen jedenfalls die Strategen und Vorstandsmitglieder: Arbeitspapier und Signal. Die CDU versteht sich „als Anwalt aller integrationswilligen Zuwanderer“.

Das war und ist als Angebot zu verstehen. Die Bürger sollen sehen: Denen geht es um bürgerliche Werte, nicht um Herkunft. Die Konkurrenz soll verstehen: Mit uns kann man reden, auch öffentlich. Die Zeiten sind vorbei, in der die Union das Phänomen Einwanderung und das Problem Integration abgeblockt hat.

Inzwischen aber gibt es Hinweise darauf, dass die programmatische Runderneuerung manchem in der Partei etwas zu weit gegangen ist. Der Pankower Politiker René Stadtkewitz, Noch-Mitglied der CDU-Fraktion, hat ein wenig gezündelt – und nun zeigt sich, dass am rechten Rand der CDU eine Menge brennbares Material herumliegt. Stadtkewitz, ein Islamkritiker seit dem Streit um die Ahmadiyyah-Moschee in Pankow, will im Oktober mit dem niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders in Berlin diskutieren: über den Islam als Integrationshindernis. Außerdem will Stadtkewitz sondieren, ob es so etwas wie einen Berliner Ableger von Wilders Freiheitspartei in Berlin geben könnte und sollte.

Henkel hat ihm daraufhin den Ausschluss aus der Fraktion angedroht: Stadtkewitz Überlegungen zum Islam seien nicht mehr in Einklang mit dem christlichen Menschenbild der CDU zu bringen, sie seien einseitig und falsch. Sie widersprechen – nicht nur aus Henkels Sicht – allem, was sich die CDU mit ihrem Integrationskonzept erarbeitet hat.

Der Streit hat viele Reaktionen provoziert. Kommentare im Internet bestätigen, was CDU-Politiker sagen: Viele in der Partei tun sich noch immer schwer mit der Einwandererstadt Berlin, mit der Integration, mit der ganzen Gemengelage aus Bildungsproblemen, Parallelgesellschaften, provozierend dominanten jungen Migranten, die auf der Sonnenallee die Umgangsformen bestimmen, mit den Hinterhofmoscheen und dem Gefühl von Verunsicherung. Das mögen grüne Großstädter für „rechts“, spießig, kleinkariert halten, aber davon verschwindet die Gefühlslage nicht. Deswegen hört man unter den Amtsträgern der Partei von der „Sorge, dass da etwas am Wegrutschen ist“ – in die Richtung, die Stadtkewitz eingeschlagen hat. Mancher rechnet fest damit, dass die CDU zur Wahl 2011 am rechten Rand Konkurrenz bekommt.

Was tun? Henkel hat mit seiner Entscheidung denen aus der Seele gesprochen, die mit ihm die CDU in der Mitte positionieren und bis hin zu den Grünen öffnen wollen. Das Konzept, sagt Mitautorin Monika Grütters, entspreche ihrer „tiefen Überzeugung“ und habe eine Mehrheit in der Partei. Braun erinnert daran, dass bei den vielen Veranstaltungen zur Integration, die Monika Grütters und Burkard Dregger als Autoren besuchten, Stadtkewitz nicht einmal für seine Thesen gestritten habe. Dann fragt er rhetorisch: Was wäre denn das Integrationspapier wert, wenn man sich nun auf Thesen wie die von Stadtkewitz einließe, nur um mögliche rechtskonservative CDU-Wähler anzusprechen? Landesvorstandsmitglied Burkard Dregger geht mit dem Konzept in die Offensive: Ein gutes Integrationspapier könne dazu führen, dass man den Leuten die Sorgen nimmt, indem man Lösungen für die Probleme zeigt. Dagegen finde sich auf der Internetseite der Senatsverwaltung für Integration „nichts als Multikulti-Geschwätz“. Die Union hingegen werbe dafür, dass sich die Zuwanderer mit der Stadt identifizieren. Das sei, so Dregger, „ein eigentlich konservatives Programm".

Der Beitrag erscheint in unserer Rubrik "Vor fünf Jahren"

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