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BERLINER Chronik SERIE: 3. August 1961 Jahre Mauerbau

Die Todesstrafe in Ost-Berlin lässt den Westen beim „Zuliefern“ zögern

In West-Berliner Untersuchungshaft sitzt ein Bürger aus der DDR, der dort mutmaßlich einen Mord begangen hat. Die Ost-Berliner Staatsanwaltschaft hat die „Auslieferung“ beantragt. Doch der Fall ist knifflig. Im Osten gibt es die Todesstrafe, im Westen nicht. Der Generalstaatsanwalt beim Kammergericht lässt via Presseerklärung wissen, er könne die „Zulieferung“ an Ost-Berlin genehmigen, wenn er vom Leiter der dortigen Staatsanwaltschaft die Zusage erhält, dass die etwaige Todesstrafe nicht vollstreckt wird.

Ob der Ost-Kollege auf die Bedingung eingeht, bleibt abzuwarten. Er würde jedoch, so der Generalstaatsanwalt, im Fall der Zulieferung auch das in West-Berlin anhängige Strafverfahren gegen den Mann an Ost-Berlin abgeben. Zulieferung ist im Westen der amtliche Begriff für die Übergabe von Häftlingen an die östlichen Strafverfolgungsbehörden. Auslieferung gibt es nur an das Ausland, das Ost-Berlin und die DDR für West-Berlin und die Bundesrepublik nicht sind.

Der Mann aus der DDR hatte am 6. Juni eine Frau am Schlachtensee beim Baden überfallen und durch Messerstiche schwer verletzt. Er war auf frischer Tat gefasst worden. Bei der Vernehmung überraschte er die Kripo mit dem Geständnis, er habe am Ostersonntag im Zug zwischen Dresden und Pirna eine Frau erstochen. Das Mordopfer war eine 19-Jährige.

Ohne Vorankündigung erhöht die DDR-Regierung die Gebühr, die West-Berliner für Besuchsreisen in die DDR zu zahlen haben, von drei auf fünf DM (West) je erwachsene Person. Die Einreisegenehmigung muss bei der jeweils für den West-Berliner Wohnbezirk zuständigen Passierscheinstelle im Ostsektor beantragt werden. Sie wird beim Nachweis einer „dringenden Familienangelegenheit“ erteilt, etwa beim Tod eines Angehörigen. Das ist seit 1952 so. Westdeutsche, die zu Besuch in die „Sowjetzone“ wollen, brauchen eine Aufenthaltserlaubnis, die von den Ost-Verwandten beantragt werden muss. Nur innerhalb Berlins herrscht Freizügigkeit. Noch!

Die drei westalliierten Stadtkommandanten protestieren beim sowjetischen Kommandanten gegen die Repressalien gegen Grenzgänger. Sie fordern ihn auf, die Ost-Berliner Behörden zu veranlassen, „diese Maßnahmen“ einzustellen. Die Diskriminierung und Behinderung der vielen tausend Bewohner Ost-Berlins und der Randgebiete, die in den Westsektoren arbeiten, stünden im Widerspruch zu grundlegenden Vereinbarungen der vier Mächte, in denen die volle Freizügigkeit in ganz Berlin garantiert ist, und seien zudem menschlich „absolut verwerflich“. Brigitte Grunert

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