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Berlin: Berliner, das ist auch euer Protest

Eberhard Diepgen schreibt über die Studentendemonstrationen: Sie gehen alle an, auch Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften. ’68 soll sich nicht wiederholen

Tausende von Studenten demonstrieren auf Berlins Straßen. Erinnerungen an die Zeit um 1968? Parallelen sind – noch? – etwas vordergründig. Bei dem Studentenprotest vor mehr als 30 Jahren ging es zunächst um den Kampf gegen den Muff unter den Talaren, doch dann mehr und mehr um den Widerstand gegen die Entwicklung der Nachkriegsgesellschaft. Es wurde zu einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung, in den Rändern nicht nur militant, sondern auch gewalttätig, stark von Ideologien bestimmt.

Deswegen auch waren Streiks und Besetzungen von Universitätsinstituten unter dem Studenten umkämpft. Im Vergleich dazu ist der Studentenprotest heute thematisch begrenzt. Es geht um fragwürdige Sparvorgaben. Die Hochschulpolitik des Senats droht Forschung und Lehre zu ruinieren und die Stadt der wenigen Möglichkeiten einer wirtschaftlichen Zukunft zu berauben. Werden die Senatsvorgaben Wirklichkeit, wird es in Berlin nur noch 65000 bis 70000 ausfinanzierte Studienplätze geben.

Man ist versucht, den Studenten in ihrem Protest mit Rat zur Seite zu stehen: Nicht der Streik ist der erfolgversprechende Weg. Er schürt nur das Vorurteil gegen den „faulen“ Studenten. Mich haben die Vorlesungen in der S-Bahn und auf öffentlichen Plätzen in ihrer Kreativität mehr beeindruckt. Die Berliner müssen den Protest auch als den ihren begreifen können, ein wesentlicher Unterschied zu 1968. An der Spitze der Hochschuldemonstration müssen die Präsidenten der Hochschulen, die Vertreter der IHK , der Berliner Handwerker und der DGB–Vorsitzende stehen können. Die Form – nicht nur der Inhalt des Protestes – muss ihnen das ermöglichen. Die Diskussion um die innere Organisation der Universitäten, der Inhalt der Hochschulabschlüsse – Bachelor und Master, die Angebote an ausländische Studenten –, all das gehört mit auf die Tagesordnung.

Der Senat hat sich verrannt. Ich sehe die Beratungsrunde im Roten Rathaus vor mir. „Herr Regierender, wenn Sie hier nachgeben, können Sie kein Sparvorhaben mehr durchsetzen.“ Die Sorge ist verständlich. Das Argument kommt auch der Mentalität der verantwortlichen Senatsmitglieder entgegen. Stark ist Politik aber nicht nur dann. wenn sie sich unbeirrt gegen gute Argumente durchsetzen will, sie ist überzeugend und gesichtswahrend auch bei rechtzeitiger Korrektur. Es kann doch nicht so schwer fallen, den Widerspruch zu begreifen. Da wirbt man bei Studenten von außerhalb mit Begrüßungsgeld um den Wohnsitz Berlin – eine erstaunliche Folge des Länderfinanzausgleiches –, die Zahl der Studienplätze aber will man radikal kürzen. Stolz präsentiert die Wirtschaftsförderung die von den Universitäten eingeworbenen Drittmittel, die Forschungsinstitute aber lässt man schließen.

Sturheit und mangelndes Problembewusstsein der Politik haben die Studentenrevolte von 1968 eskalieren und viele Parlamente dann überstürzt auf jeden Unsinn eingehen lassen. Noch heute leiden Bereiche der Universitäten unter den Folgen. Wenn man nicht aufpasst, kann es durchaus doch noch zu Parallelen kommen: 1968 protestierten die Studenten gegen eine Wachstumsideologie, hinter der alles verdrängt wurde. Heute wird jede gesellschaftspolitische Diskussion mit Zahlenkolonnen beantwortet. Die Ökonomisierung unserer Gesellschaft wird das manchmal genannt. In Berlin ist es die totale Fiskalisierung. Zahlen ersetzen Denken und begrenzen die – übrigens vorgeschriebene – Folgenabschätzung. Noch sind die Parallelen 1968 und 2003 politische Theorie.

Der Autor studierte 1960-67 an der FU, engagierte sich im Ring Christlich-Demokratischer Studenten und war 1984 bis ’89 sowie 1991 bis 2001 Regierender Bürgermeister.

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