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Liberale Probleme. FDP-Landeschef Christoph Meyer muss sich sorgen, dass seine Partei bei der Wahl im September an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert.

© p-a/dpa

Berliner FDP: Arbeit an scharfen Kanten

Wie die FDP vor der Wahl um ihr Profil kämpft. Im Programm findet sich sogar einiges, das Sarrazin-Anhängern gefallen wird.

Liberale brauchen gute Nerven, in Berlin zumal. Alle zwei, drei Legislaturperioden gerät die Landes-FDP in eine Existenzkrise. Furchtsame Liberale werden ihren Landesverband mal wieder in einer solchen Krise sehen. Fünf Prozent der Stimmen in der Sonntagsfrage: Das schafften die Liberalen im Juni 2010. Seither schwächelten sie, bis hin zur Auszehrung. Drei Prozent, vier Prozent. Guido Westerwelles Image-Probleme verkeilten den Berliner Verband derart unter der Fünf-Prozent-Grenze, dass die Wahlkämpfer in der CDU schon anfingen, für den 18. September fest mit dem liberalen Potential zu rechnen.

Christoph Meyer, FDP-Landes- und Fraktionschef sowie Spitzenkandidat in spe, hätte also Gründe genug, um zerfurcht von Sorgenfalten durch den Politikbetrieb zu hasten. Doch so ist es nicht. Heiter-ironisch wie je beschreibt der 35 Jahre alte Politiker, wie er die beginnende Wahlkampfstimmung wahrnimmt: „Es ist Interesse da an uns“, sagt Meyer. Den Satz „Mit euch will ich nichts mehr zu tun haben!“ bekommt er neuerdings nicht mehr zu hören.

Den Sympathie-Verlust hat, das sahen alle gleich, Guido Westerwelle verursacht. Zwischenzeitlich erinnerten FDPler aber erleichtert daran, dass Westerwelle ein paar schöne Auftritte im Fernsehen hatte und in Sachen Nordafrika mit sonorer Stimme verkündete, die „Zeit der Worte“ sei vorbei. Das sieht nach Deutschlands Wankelmut bei der Libyen-Resolution der UN nun auch wieder anders aus. Entscheidend für die Stimmungslage auch der Berliner FDP wird in jedem Fall das Ergebnis der Baden-Württemberg-Wahl in einer Woche sein.

Nicht dass sie in der Berliner FDP ein inhaltliches Problem mit Westerwelles umstrittener Dekadenz-Diagnose gehabt hätten. Im Gegenteil: Die Hauptstadt der Transferleistungsempfänger kann sich darauf einstellen, dass die Liberalen den Senat dafür ebenso attackieren werden wie die nicht ganz kleinen Teile der Bevölkerung, für die Berlin die Vervollkommnung des Sozialstaats, wenn auch auf ärmlichem Niveau, darstellt.

Das kommt an, jedenfalls bei den Bürgern, die an der FDP Interesse haben. Für eine wirtschaftspolitische Veranstaltung Anfang kommender Woche haben sich laut Meyer hundert Zuhörer angemeldet. Mehr als hundertdreißig kamen am Dienstag vergangener Woche zu einer Diskussion, in der es um Integration und das Ende multikultureller Träume ging. Die Liberalen, das zeigt sich an solchen Diskussionen, arbeiten an einem scharfkantigen Profil. Sebastian Kluckert, 36 Jahre alt, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion, wie Meyer oft im Anzug unterwegs, spottete über die CDU: die habe weit über vierzig Seiten mit ihren Vorstellungen von Integration beschrieben – die FDP brauche gerade mal 15 Seiten, um das Fördern und das Fordern der Zuwanderer auf den Punkt zu bringen.

Da findet sich unter dem Motto „Zuzug in die Sozialsysteme stoppen“ so einiges, was den Anhängern von Thilo Sarrazins Thesen gefallen wird. Die Berliner Liberalen fordern ein Punktesystem für Einwanderer. Sie wollen „Integrationsvereinbarungen“ mit Migranten, sie wollen die Eltern der Kinder in die Pflicht nehmen, wenn es um Sprachkenntnisse geht. Sie fordern: keine Grundsicherung für Erwerbslose, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, etwa weil sie aus Überzeugung eine Burka tragen. Die CDU ist, wenn man deren Integrationspapier liest, in vielem nicht so weit weg von der Überzeugung, dass im Umgang mit Einwanderern mehr Druck aufgebaut werden müsse. Aber die CDU will in dem Zusammenhang nett sein, alle mitnehmen ins schöne neue, auf „Gemeinsinn und Leistung“ aufbauende Berlin. Da geben sich die Liberalen gern härter – auch wenn sie wissen, dass ein Teil ihrer Forderungen Änderungen im Bundesrecht nötig macht. Egal – mit Ansagen wie „Kein Geld für Burka-Trägerinnen“ unterscheidet man sich von allen anderen - versteht sich, dass in den integrationspolitischen Überlegungen etwa der SPD Druck und Forderungen gar nicht vorkommen.

Für Meyer, Kluckert oder Martin Lindner, den FDP-Bundestagsabgeordneten und früheren Berliner Fraktionschef, ist etwa der Umgang mit der Integration die Ansage an das bürgerliche Berlin. Womöglich liegen sie damit richtig. Vor Wochen stellte Thilo Sarrazin seine Thesen bei einer Veranstaltung in Marzahn-Hellersdorf vor. Eingeladen hatte Sebastian Czaja, Vorsitzender des FDP-Bezirksverbandes und Abgeordneter. Voll war der Saal, und Czaja hörte von vielen, wie er sagte, dass Sarrazin die Lage des Landes und seine Probleme völlig richtig beschrieben habe.

Doch beeilen sich alle, die in der Berliner FDP etwas zu sagen haben, mit dem Hinweis, man werde allein mit der Integration keinen Wahlkampf machen. Wirtschaft, Bildung – das sind laut Meyer die Themen für eine Stadt, deren wirtschaftliche Kraft gerade mal 80 Prozent des Bundesdurchschnitts erreicht. Die Grundthese, sozusagen erzliberal, lautet in Meyers Worten: „Es ist nicht die Aufgabe von Politik, jedes Lebensrisiko zu übernehmen.“ Martin Lindner sieht das genauso: Die FDP müsse, auch und gerade in Berlin, ihren „Markenkern“ zeigen, nach dem Motto: „Der Sozialstaat ist für die Armen, aber nicht für die Faulen.“

Derart deutliche Ansagen gefallen offenbar vielen in der FDP. Trotz oder wegen der Existenzbedrohung durch Sympathieentzug hält man zusammen. Von Streitereien über die richtige Linie – oder den richtigen Vormann – ist nichts mehr zu hören. Meyer und Lindner verstehen sich offenbar bestens. Lindner führt neuerdings den Bezirksverband Steglitz-Zehlendorf. Meyers politische Heimat ist das andere Kraftfeld der Berliner FDP, der Bezirksverband Charlottenburg-Wilmersdorf.

Gelinde Zuversicht breitet sich aus. Vor Monaten schon, in der schwersten Westerwelle-Krise, sagte Meyer, es sei eben auch ein Vorteil, dass die Berliner Wahl am Ende des Superwahljahres 2011 liege. Der Ausgang der Wahl in Baden-Württemberg wird über Guido Westerwelle entscheiden. Bis zum September wird sich die FDP – so oder so – wieder gefunden haben. Lindner hält die 7,6 Prozent von 2006 abermals für möglich. Meyer sagt, aus bürgerlicher Sicht gebe es zur FDP „keine Alternative“.

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