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Berlin: Berliner Feuerwehr: Wenn im Notfall die Landesgrenze über Leben und Tod bestimmt

Wer an der Berliner Stadtgrenze Opfer eines Notfalls wird, muss um eine rechtzeitige Rettung bangen. Weil zwischen der Berliner Feuerwehr und einigen Brandenburger Landkreisen Verträge fehlen, rückt nicht immer das nächstgelegene und damit schnellste Rettungsteam aus.

Wer an der Berliner Stadtgrenze Opfer eines Notfalls wird, muss um eine rechtzeitige Rettung bangen. Weil zwischen der Berliner Feuerwehr und einigen Brandenburger Landkreisen Verträge fehlen, rückt nicht immer das nächstgelegene und damit schnellste Rettungsteam aus. Etwa eine halbe Stunde verging, bevor eine 46-jährige Berlinerin nach einem Herz-Kreislauf-Zusammenbruch in ihrer Firma bei Ahrensfelde von einem Notarzt behandelt wurde. Sie erlitt durch den Sauerstoffmangel einen schweren Gehirnschaden. Die Berliner Retter hätten in wenigen Minuten den Einsatzort erreichen können.

Es war kurz nach 10 Uhr, als die Statikerin bei der Firma Schwörer Bauindustrie im vergangenen Juli plötzlich an ihrem Schreibtisch zusammenbrach. Marion Köhler lag zuckend am Boden, als eine Kollegin 10.04 Uhr zum Telefon griff, den Notruf 112 wählte und von der Berliner Feuerwehr eine unerwartete Antwort erhielt: "Wir sind nicht zuständig." Weil die Firma der Berliner Statikerin kurz hinter Stadtgrenze bei Ahrensfelde liege, werde man den Notfall sofort nach Bernau zur verantwortlichen Rettungsstelle weiterleiten.

Plötzlich stand der Puls still

Im Büro vergingen derweil quälende Minuten. Marion Köhler atmete nicht mehr, ihr Puls stand still. Während Kollegen versuchten, die Mutter einer elfjährigen Tochter wiederzubeleben, griff die Mitarbeiterin um 10.13 Uhr erneut zum Telefon. "Der Wagen ist unterwegs", ließen die Brandenburger ihre Berliner Kollegen ausrichten. Tatsächlich traf der Rettungswagen nach 25 Minuten, die Notärztin 30 Minuten nach dem Zusammenbruch ein. Das Gehirn von Marion Köhler wurde durch den langen Sauerstoffmangel schwer geschädigt. Sie ist berufsunfähig und wird voraussichtlich den Rest ihres Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sein. "Nach über elf Monaten, fängt sie jetzt langsam an zu wissen, wer sie ist", sagt der Vater des gemeinsamen Kindes.

Besonders tragisch: Die Rettungsstelle der Berliner Feuerwehr war bei dem Zusammenbruch von Marion Köhler nur wenige Kilometer vom Einsatzort entfernt, sie hätte vermutlich fünf Minuten nach dem ersten Anruf die notfallmedizinischen Maßnahmen einleiten können. "Es ist ein trauriges Beispiel dafür, dass ein Mensch aufgrund mangelhafter Kooperation der Behörden in Berlin und Brandenburg mutmaßlich zu Schaden gekommen ist", sagt Rechtsanwalt Frank Teipel. Jeder Notfallmediziner könne bescheinigen, dass der schwere Hirnschaden auch noch nach sechs Minuten mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte vermieden werden können.

Grenzübertritt für Helfer verboten

Tatsächlich wären die Berliner nach eigenen Angaben durchaus willig gewesen, Köhler sofort zur Hilfe zu eilen. Doch es fehlte die rechtliche Grundlage. "Einsätze außerhalb des Landes Berlin sind grundsätzlich an die zuständige Umleitstelle abzugeben", heißt es bei der Senatsverwaltung. Da dieses Gesetz nicht im Sinne der Notfallopfer sein kann, hat sich die Berliner Feuerwehr in den vergangenen Jahren um eine Zusammenarbeit mit den angrenzenden Landkreisen bemüht.

Wird beispielsweise in der Brandenburger Gemeinde Eiche Süd, die im Osten der Stadt an der Grenze zu Hellersdorf liegt, ein Notfall gemeldet, fahren inzwischen automatisch die Berliner los. Gleiches gilt unter anderem für Gebiete an der Grenze zu Wannsee im Südwesten Berlins. "Es gibt allerdings Bereiche, die in die Zusammenarbeit nicht einbezogen sind", sagt Bernd Krause-Dietering, ärztlicher Leiter des Berliner Rettungsdienstes.

Wer beispielsweise in Glienicke nördlich Berlins Hilfe brauche, müsse auf einen Wagen aus dem Kreis Oberhavel warten, obwohl Frohnau gleich nebenan liegt. Die Notfälle hinter der Schönefelder Grenze seien auf das Rettungsteam aus Königs Wusterhausen angewiesen - obwohl die Berliner Feuerwehr in diesen Fällen schneller und auch einsatzwillig wäre. Die Organisation des Katastrophenschutzes untersteht in Brandenburg aber den einzelnen Landkreisen. Einige von ihnen befürchten offenbar, dass sich ihre Rettungsdienste nicht rentierten, wenn regelmäßig Einsätze an die Berliner abgegeben würden. Krause-Dietering: "Aus Sicht eines Notfallmediziners ist die derzeitige Regelung nicht zu verstehen."

Dass seine Frau zum Pflegefall wurde, nur weil Herz und Kreislauf gewissermaßen am falschen Ort stillstanden, stößt beim Lebensgefährten Marion Köhlers auf Fassungslosigkeit. Auch den Verweis auf Zuständigkeiten lässt der Mann aus Prenzlauer Berg nicht gelten: "Sobald ich als Berliner Nothelfer weiß, dass Eile geboten ist und untätig bleibe, handelt es sich trotz aller Gesetze um unterlassene Hilfeleistung." Tatsächlich erfährt die Berliner Feuerwehr über die Nummer 112 regelmäßig zuerst von den Notfällen, da durch eine Schaltung der Telekom Teile des Umlandes aus technischen Gründen zum Berliner Telefonnetz gehören.

Wie viele Patienten durch eine spätere Versorgung in der vergangenen Jahren Schäden erlitten haben, kann die Berliner Feuerwehr nicht sagen. "Den Ausgang der weitergeleiteten Fälle kriegen wir in der Regel nicht mit", sagt Krause-Dietering. In die Schlagzeilen geriet 1994 ein Fall, der sich an der Landsberger Chaussee, die im Nordosten Berlins Hellersdorf von Eiche trennt, zugetragen hat. Eine schwangere Frau verlor dort das Bewusstsein, als sie durch ein Kaufhaus auf der Eicher Straßenseite bummelte. Auch damals gaben die Berliner den Notruf vorschriftsmäßig zunächst nach Bernau weiter. Erst als der Rettungswagen nach 15 Minuten immer noch nicht am Ziel angekommen waren, griffen die Nothelfer aus der Hauptstadt ein. Der Helikopter aus dem Klinikum Steglitz und der Rettungswagen trafen noch vor dem Bernauer Wagen ein.

Hoffen auf den Staatsvertrag

Nach dem Fall Köhler hat die Berliner Feuerwehr eine Anfrage beim Innensenator gestellt, ob sie zukünftig auch ohne Vertrag in Notfällen ins Umland ausrücken dürfe - das Schreiben blieb bislang unbeantwortet. Die Notärzte hoffen nun auf einen Staatsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg, der generell regeln soll, wann welche Feuerwehr zum Einsatz ausrücken soll. Ein Termin für den Abschluss steht noch nicht fest. "Der Vertrag ist im Entwurf", heißt es bei der Feuerwehrleitung.

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