zum Hauptinhalt
Schwesterlich. Una und Sarah Wiener (re.) vor dem Gemälde ihres Bruders Adam.

© Davids/Tom Maelsa

Berliner Gesellschaftsleben: Wiener Blut

Das „Exil“ in Kreuzberg war legendär. Oswald Wiener, einer der Gründer, ebenso. Für eine besondere Vernissage traf sich seine Familie in Berlin.

Dass Oswald Wiener mit dem Kosenamen „Ossi“ im Stadtgedächtnis haften geblieben ist, beruht eigentlich auf einem Irrtum. Daheim in Österreich haben ihn alle so genannt, in Berlin durften das eigentlich nur seine besten Freunde. Berlin, das waren vor allem die legendären Jahre von 1972 bis 1985, in denen er zusammen mit seinem Partner Michel Würthle das legendäre Restaurant „Exil“ in Kreuzberg betrieb.

Am Freitagabend ist er noch einmal zurück gekommen: Familientreffen in der Galerie Contemprorary Fine Arts von Bruno Brunnett in der Charlottenburger Grolmanstraße 32/33. Eröffnet wird eine Ausstellung mit Bildern seines Ende vergangenen Jahres nach kurzer Krankheit mit nur 51 Jahren verstorbenen Sohnes Adam Wiener. Alle sind sie gekommen, Adams Schwestern Una und Sarah mit Sohn Arthur, deren Mutter Lore Heuermann und natürlich Oswald Wieners zweite Frau Ingrid, die ebenfalls Künstlerin ist, aber damals für das gemeinsame Restaurant-Projekt extra das Kochen gelernt hatte. Bei ihr gab es nicht nur die österreichischen Klassiker, sondern auch Innereien und sogar Stierhoden in Aspik.

Auch Marianne Frisch ist da, die einst mit dem Schriftsteller Max Frisch verheiratet war. Sie erinnert sich noch, wie es damals war, aus dem gutbürgerlichen Friedenau ins dunkle Kreuzberg zu fahren, eine finstere Gegend, so nah an der Mauer. Aber im Exil waren sie oft und richtig gerne. Spätabends habe ihnen Ingrid immer die Reste aufgetischt, erzählt sie lächelnd. „Schön siehst du aus“, sagt sie zu Oswald Wiener, der ein leuchtend gelbes Jackett trägt und darunter rosa Hosenträger. Auch er war und ist eigentlich ein Künstler, Schriftsteller, Psychologe, Kybernetiker. In den 50er Jahre war er mal Jazzmusiker.

An diesem Abend will die Familie mit Freunden zusammen ein Konzert geben für Adam. „Ich spiel a Handy“, sagt Wiener verschmitzt, hält später aber auch mal kurz eine hölzerne Flöte in der Hand, während Una eine Trommel durchbohrt und Sarah ein Tamburin schwingt.

Sarah Wiener hat ihrem Vater zuvor strahlend den Kameramann vorgestellt, „mit dem ich alles mache“. Die Fernsehköchin bezeichnet sich selbst als „schwarzes Schaf der Familie“, weil sie als einzige keine Künstlerin ist. Mit dem Restaurant im Hamburger Bahnhof führt sie einen Teil der Familientradition fort.

Der Mann vom "Exil": Oswald Wiener
Der Mann vom "Exil": Oswald Wiener

© Andreas Klaer

„Es gab ja nichts anderes damals“, sagt der Vater. Erst später haben frühere Exil-Kellner wie die spätere Prominenten-Wirtin Fofi sich selbständig gemacht, ist Michel Würthle in die Paris Bar eingestiegen, und noch viel später hat der damalige Stammgast Stephan Landwehr den „Grill Royal“ erfunden.

Damals pilgerte die gesamte Boheme nach Kreuzberg: David Bowie, Max Frisch, Quincy Jones, Rainer Werner Fassbinder, Jack Nicholson, Helmut Newton, Martin Kippenberger. „Auch der Beuys kam, wenn er in Berlin war.“ Für die Maler, die später als „Junge Wilde“ in die Kunstgeschichte eingehen sollten, war das Exil ein Lebensraum. Als der Erfolg kam, floss dann statt Bier Champagner.

Sarah Wiener kam nach Berlin, nachdem sie mit 17 Jahren in Österreich das Mädcheninternat kurz vor dem Abitur geschmissen hatte. Sie half dann erst mal mit in der Küche, bevor sie sich später selbständig machte.

Das Exil war eigentlich nicht in erster Linie ein gastronomischer Dienstleistungsbetrieb, sondern, wie Wiener es beschreibt, „ein Ort, in dem man sich auf Augenhöhe begegnete und gedankliche Anregungen austauschte“. Und nebenbei auch gut aß. Heute bezeichnet sich Oswald Wiener als „Privater“, man könnte auch sagen Universalgelehrter, aber das Wort ist ihm zu hoch. Über den Erfolg der Tochter freut er sich wahnsinnig. Das sei doch menschlich, sagt er, die Zuneigung gehört den Blutsverwandten. Von der Kunst des Sohnes, farbenfrohe Collagen, gefällt ihm manches. „Um den habe ich mich nicht so viel gekümmert, eigentlich ist er vaterlos aufgewachsen“, sagt der 80-Jährige.

Lore Heuermann konnte die drei Kinder als alleinerziehende Mutter in Wien gut durchbringen. Die 79-Jährige sitzt auf der Fensterbank mit kurzen dunkelroten Haaren und einer silberblauen chinesischen Jacke. Auch sie ist Künstlerin, ist als Bewegungszeicherin im Theater und beim Ballett tätig. Wieners zweite Frau Ingrid steht derweil noch einmal gemeinsam mit ihrer Stieftochter Sarah in der Küche und bereitet Schinkenfleckerl zu für die Gäste. Jeder soll sich einbringen.

Später bricht polternd die Musik los mit kulinarischen Refrains wie „Bauchfleisch“, „Keks“ und „Hähnchen“. Manche Gäste hören sich das lieber von draußen an. Man fühlt sich an die Happenings der frühen Jahre erinnert. Marianne Frisch trägt schwarzen Hut zur weißen Bluse, als solle sie eine alte Dame im Fernsehen spielen, aber einen Schalk merkt man ihr an. 1985 verließen Oswald Wiener und seine Frau Ingrid Berlin, um in Kanada ein neues Leben zu starten. Von Kreuzberg zog es sie nach Yukon. Seit zweieinhalb Jahren leben sie zum größten Teil wieder in Österreich. Wenn er in Berlin ist, geht Oswald Wiener heute ganz gern mal ins Cassambalis. Auch dieses Lokal wird von einem früheren Exil-Kellner bewirtschaftet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false