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Berlin: Berliner Kaiserschmarrn

im Zwiegespräch mit seinem Haustier Frau Hoffmann demonstriert, wie man verkehrt herum auf einem Sessel sitzen kann. Mit ihrer Nase stößt sie fast an die Rückenlehne.

im Zwiegespräch mit seinem Haustier Frau Hoffmann demonstriert, wie man verkehrt herum auf einem Sessel sitzen kann. Mit ihrer Nase stößt sie fast an die Rückenlehne. So kann sie nichts sehen als den Bezugsstoff. Durch ihre Körpersprache signalisiert sie: „Ich bin sauer.“

Ich erkundige mich nach ihrem Kummer, und es dauert eine Minute, bevor sie zuerst fast unverständlich leise, dann lauter und deutlich klagt: „Dabei erfülle ich doch alle Voraussetzungen! Ich bin weiblich, habe keine Kinder und stamme aus der Drôme. Was muss ich denn sonst noch können, um nach Berlin zu dürfen?“

Berlin? ich glaub, ich hör nicht recht. „Du willst nach Berlin? Da waren wir doch schon mal zusammen.“

„Na und? Das war damals. Da war Berlin noch nicht fertig. Die Stadt war schmutzig und voller Arbeitslosen.“

„Ist sie auch heute noch. Und voller Barrikaden.“

„Was? Herrscht in Berlin Revolution?“

„Schlimmer! Der Terror wütet in den Straßen!“

Frau Hoffmann macht eine flotte Drehung und reißt die Augen auf. Ihr Fell sträubt sich. „Wilde Hunde?“

„Nein. Al Qaida. Gleich um die Ecke, wo wir gewohnt haben, neben dem feinen Hotel, haben sie die Straße verbarrikadiert. Und nicht viel weiter, auf der anderen Seite des Lindenboulevards, die gleichen Barrikaden.“

„Wir müssen ja nicht bei den Barrikaden wohnen.“

„Müssen nicht. Aber ehe du dich versiehst, veranstalten die Berliner ein Straßenfest, und du bist eingekeilt zwischen Hertha-Fans, Ethnos und sonstigen Alternativen.“

„Was sind sonstige Alternative?“

„Aldi-Kunden. Verfassungsschützer.“ Während sie überlegt, ob sie von Verfassungsschützern eingekeilt werden möchte, beißt sie erst einmal gründlich auf ihrer Pfote herum. „Das spricht doch nicht gegen Berlin!“

Sie hat Recht. Aldi gibt es überall, und die Verfassung wird hier wie dort vor ausländischen Katzen geschützt.

„Berlin ist momentan ein heißes Pflaster“, sage ich, „dort entsteht eine neue Regierung.“

„Das ist es ja, warum ich nach Berlin will! Vielleicht gibt es in der neuen Regierung einen Job für mich!“

„Einen Job? Seit wann drängt es dich zur Arbeit?“

Frau Hoffmann zuckt unübersehbar mit den Ohren. Ich nehme nicht an, dass sie sich für eine fleißige Katze hält, aber ich sollte ihr mehr zutrauen, heißt das. Um einem ungeplanten Ortswechsel vorzubeugen, verschweige ich ihr die Wahrheit nicht: „In einer deutschen Regierung hättest du nicht die geringste Chance.“

Sie springt vom Sessel und baut sich auf dem Teppich vor mir auf: „Und warum nicht?“

„Du bist zu elegant“, beginne ich meine schonungslose Analyse. „Zu elegant und zu graziös. Außerdem redest du zu gescheit. Du verwendest Nebensätze, und damit bist du bei Berlinern, die nur „Bild“-Zeitung lesen, automatisch untendurch. Darüber hinaus kennzeichnet dich dein verfeinerter Geschmack als Außenseiter.“

Sie ist sichtlich getroffen. Starrt mich wütend an und peitscht mit dem Schwanz. „Warum bin ich nicht als Schäferhund auf die Welt gekommen? Dann wäre ich heute Kaiser von Deutschland.“

Das mag stimmen. Aber wie kommt sich eine Katze vor, wenn sie in den Spiegel schaut und einen Schäferhund sieht? Wie kommt sich Frau Merkel vor, wenn sie im Spiegel aussieht wie Gerhard Schröder? Müßige Überlegung. Ich versuche, sie aufzuheitern. „Es gibt so viele Freaks in Berlin. Warum willst du unbedingt Kaiser sein?“

Sie überlegt, während sie ihren Pelz bügelt. „Die werden doch dafür bezahlt, dass sie nicht ständig bei Frau und Kind in der Provinz sitzen, nicht wahr?“

„Das stimmt“, gebe ich zu. „Aber glaubst du, die zahlen einer Katze wöchentlich einen Flug nach Hause?“

„Ich könnte einen Pilotenschein machen und selber fliegen.“

Da sieht man, wie die Sehnsucht nach Berlin die Fantasie anregt. Auch bei Katzen.

— Der Autor ist Deutschlands bekanntester Gourmetkritiker und kennt sich auch bei Katzen aus. Ganz besonders bei Frau Hoffmann, seiner schlauen Mitbewohnerin. Sie hat zu allem etwas zu sagen.

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