zum Hauptinhalt

Berliner Krebsgesellschaft hilft erkrankten Eltern und Familien: Wenn Kinder ihren Halt verlieren

Diagnose: Krebs. Wenn Kinder das bei ihren Eltern mitbekommen, sind sie meist tief verunsichert und trauen sich nicht, ihr eigenes Leben weiterzuleben. Die Krebsstiftung Berlin hilft Familien in schwierigen Situationen, die Sprachlosigkeit zu überwinden – und Halt zu finden.

Die Diagnose war niederschmetternd: Prostatakrebs. Als sei das nicht genug, bekam Ferdinand Warland (Name geändert) nach der Diagnose auch noch familiäre Probleme. Tochter Luise, mit 15 Jahren sowieso in einem schwierigen Alter, konnte den Vater nicht leiden sehen. Das äußerte sich in einem massiven Vertrauensverlust und entsprechenden Kommunikationsproblemen. „Sie konnte nicht mehr mit uns sprechen“, erzählt der 48-Jährige zwei Jahre nach dem Tag, der sein Leben von Grund auf veränderte. Luise begann grundlos zu weinen, sich selber Schmerzen zuzufügen, Dinge zu zerstören. „So kannte ich meine Tochter nicht“, sagt Warland rückblickend.

Sie brauchen Erbschaften und Spenden

Für den Gründungsdirektor des Universitären Tumorzentrums an der Charité, Peter Schlag, sind die Symptome nicht verwunderlich. Er hat viel zu tun gehabt mit Familien, die von Krebs betroffen sind. Für Kinder, die selber erkranken, gibt es länger schon Netze. Unter welchen Problemen Kinder erkrankter Eltern leiden, ist erst in den letzten Jahren herausgekommen, vor allem durch ein Forschungsprojekt, das auch in Hamburg und Tübingen lief. Dabei ging es darum, welche Probleme auftauchen und was für einen Betreuungsbedarf es gibt.

„Je mehr man weiß, desto größer ist der Bedarf, etwas zu tun“, sagt Schlag und erklärt so den Auslöser zur Gründung der Krebsstiftung Berlin im Dezember 2012. Er ist auch Vorsitzender der Berliner Krebsgesellschaft, die vor allem von Spenden und Vermächtnissen finanziert wird, deshalb aber nur zeitlich befristete Projekte in Angriff nehmen kann. Mit der Stiftung wollte man langfristig Versorgungslücken schließen. Zwar ist, besonders angesichts der niedrigen Zinsen, der Grundstock noch nicht so hoch, wie er sein könnte. Neben Erbschaften, regelmäßigen Spenden und Zuwendungen von Betrieben, die ihrer sozialen Verantwortung nachkommen wollen, hofft Schlag daher besonders auf Zustiftungen, auf Stifter also, deren Kapital zwar für eine eigene, aber nur handlungsschwache Stiftung reichen würde. Da die Stiftung sich in ihrer Arbeit auf Berlin und die Randgebiete konzentriert, besteht für Stifter hier die Möglichkeit, sich direkt in der Stadt zu engagieren.

Angst vor der Endlichkeit

Nach wie vor sei Krebs ein tabuisiertes Thema, sagt Schlag. „Besonders wenn es um Unheilbarkeit geht.“ Jeder weiß, dass das Leben endlich ist, aber man muss nicht immer dran denken. „Krebs ist das Signal, dass das Leben akut begrenzt ist.“ Die Patienten selber machen zuerst eine Phase der Wut durch, dann ziehen sie sich zurück. Nur wenige setzen sich aktiv mit der Krankheit auseinander. Sind sie Mutter oder Vater, steht bald die Frage im Mittelpunkt: „Wie sage ich es meinem Kind?“ Nicht jeder weiß, was für Schlag selbstverständlich ist: „Verschweigen ist das Allerschlimmste, was man tun kann.“ Denn für die Kinder geht alle Sicherheit verloren. Hilflosigkeit ersetzt Verlässlichkeit, die Kontrolle geht verloren, es gibt keinen regelmäßigen Rhythmus mehr im Leben. Plötzlich liegt die Mutter im Bett, wird jeden Tag weniger, muss immer wieder ins Krankenhaus. Kommt sie zurück nach Hause, freuen sich die Kinder auf endlich wieder gemeinsame Spiele, aber dazu ist die Mutter dann vielleicht zu schwach. Viele Kinder reagieren auf den drohenden Verlust des wichtigsten Halts im Leben auch mit schlechtem Gewissen. Eigentlich möchten sie zum Sport gehen oder zum Tanzen, sich mit Gleichaltrigen vergnügen. Aber dürfen sie das angesichts der Probleme der Mutter? Hier beginnt der Teufelskreis. Die Kinder ziehen sich ebenfalls zurück, vernachlässigen ihre Freundschaften. Sie werden in der Schule schlechter und haben keinen Spaß mehr am Leben. Oft kommen finanzielle Probleme hinzu. Für Musikunterricht oder den Ausflug mit dem Sportverein ist plötzlich kein Geld mehr da. Zum wichtigen Fußballspiel kann die Mutter nicht mehr kommen. Alleinerziehende tendieren dazu, die Kinder wie Elternteile zu behandeln, ihnen die Fürsorge zu überlassen. Ursache von diesen Problemen ist meist Unsicherheit, wie man mit dem Schicksalsschlag Krebs umgehen soll.

Kinder vermitteln, dass sie Spaß haben dürfen

An dieser Stelle tritt die Stiftung ein. Sie beschäftigt zwei Kinderpsychologen, die Erfahrung haben mit Onkologie, mit Familientherapie und mit Jugendpsychiatrie. Sie gehen direkt in die Familien nach Hause. Derzeit werden etwa 130 Familien betreut. Mal gilt es, die Sprachlosigkeit aufzubrechen. Mal können sie Kinder und Eltern an andere Projekte vermitteln, um die schlimmsten Folgen aufzufangen. Es gibt ja viele Hilfsangebote. Nur sind Menschen, die von einer schweren Krankheit betroffen sind, oft nicht mehr in der Lage zu Recherchen.

Drei Monate nach der Diagnose erfuhr Ferdinand Warland durch die Lektüre eines Zeitungsartikels zufällig von der Arbeit der Stiftung. Der Ansatz leuchtete ihm ein, mehr noch nach dem ersten Gespräch. „Es braucht in so einer Situation Leute von außen, die nicht involviert sind, die eine andere Sichtweise haben.“

Die Kinderpsychologin Manon Recknagel arbeitet für die Stiftung und weiß genau, wie es ganz konkret aussieht in einer Familie nach der plötzlichen Krebsdiagnose. „Alles gerät aus den Fugen. Oft haben gerade sensible Eltern schlicht Angst, dass das Kind einen Knacks bekommt, wenn es die Wahrheit erfährt.“ Zur Angst vor der eigenen Zukunft kommt eine neue Unsicherheit im Umgang mit den eigenen Kindern. Recknagel hat immer wieder erfahren, dass es ein großer Irrtum, ist zu glauben, die Kinder bekämen nichts mit, nur weil man über die Krankheit schweigt. „Die Fantasie der Kinder läuft dann unkontrolliert in jede Richtung.“ Gerade Jüngere geben sich selber mal die Schuld an der Krankheit. Freilich entwickeln sich nicht immer Störungen. „Kinder haben Ressourcen.“ Die muss man zu aktivieren wissen.

Kinder wagen sich nicht außer Haus

Manche Kinder ziehen sich, wie Luise, zurück und sprechen nicht mehr mit den Eltern. Kinder im Alter zwischen acht und 13 bekommen häufig Schulprobleme. Sie wollen nicht mehr in die Schule gehen, weil sie Angst haben, bei der Rückkehr nach Hause könnte etwas Schlimmes passiert sein. Hier sieht Manon Recknagel Handlungsbedarf bei den Eltern. Der Satz: „Du kannst unbesorgt zur Schule gehen, wenn etwas ist, sagen wir dir Bescheid“ kann eine große Bürde von den kindlichen Schultern nehmen. Es ist wichtig, dass sich nicht das ganze Familienleben über die Krankheit definiert. Wichtig ist es auch, dass die Eltern dem Kind sagen: „Wir freuen uns, wenn du weggehst und Spaß hast“. Die offizielle Erlaubnis der Eltern, auch mal unbeschwert zu sein, ist für die Kinder wichtig.

Felix Warland jedenfalls hat gute Erfahrungen gemacht. Es gab mehrere Gespräche mit der Psychologin, mal in der Familie, mal von Angesicht zu Angesicht. Heute sagt er über seine Tochter: „Sie ist in ihrer Persönlichkeit gereift und ständig gewachsen.“

Wer bei der Berliner Krebsgesellschaft e.V. unter der Rufnummer 28 32 400 anruft, hat die Chance, schnell einen Gesprächstermin zu bekommen. Unter dieser Nummer können sich auch gern Geldspender melden. Im Netz: www.berliner-krebsgesellschaft.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false