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Das war einmal: Das White Trash in Prenzlauer Berg.

© Thilo Rückeis

Berliner Kult-Club zieht um: So wild waren die Partys im "White Trash"

Hier tobten Rockbands, ließen sich Jungs tätowieren und Frauen verführen. Jetzt zieht das "White Trash" ans Treptower Spreeufer. Wir erinnern uns noch einmal an die Zeiten, in denen Prenzlauer Berg noch wild war.

Alles muss raus! Fast geräuschlos, aber keineswegs lautlos hat das „White Trash“ am Donnerstagabend Abschied von der Schönhauser Allee genommen. Der inzwischen in jedem Touristenführer gepriesene Rockschuppen mit Tattoostudio, Fast-Food-Restaurant und täglichen Konzerten eröffnet am Spreeufer in Treptow neu. Ab heute geht es am Flutgraben 2 mit Biergarten weiter.

Punk und alte Kreuzberger

In den achtziger Jahren war die Punk- und Hardcore-Band „Jingo de Lunch“ in Berlin sehr bekannt. In den neunziger Jahren löste sich die Band mit der Frontfrau Yvonne Ducksworth auf. Vor gut acht Jahren hörte ich über Freunde aus Mitte, dass es im White Trash ein geheimes, kleines Konzert geben würde. Karten gab es offiziell nicht, aber wir kamen irgendwie rein. Wir, das waren ein Ex-Freund und ich. Der Ex-Freund war in den achtziger Jahren selbst begeisterter Punkmusiker und himmelte – wie viele Kreuzberger – die Frontsängerin sehr an.

An diesem Abend sahen wir im White Trash viele alte Kreuzberger: Es war ein tolles Wiedersehen mit jung gebliebenen „middle-aged“ Menschen, super Musik – und einem persönlichen Abschlussgespräch mit Yvonne. Mein Ex brachte vor lauter Ehrfurcht kein Wort heraus. Nach dem Konzert kamen „Jingo de Lunch“ wieder zusammen. Sabine Beikler

Ein Raum voller Pommes, Rauch und Neugier

Hier, in diesem verwinkelten Laden am unteren Ende der Schönhauser Allee, war ich doch schon mal. Bevor er zum White Trash wurde, aß ich hier mit einem entfernten alten Kumpel eine irische Suppe (daran erinnere ich mich nur, weil in der Suppe Nüsse waren, er aber keine Nüsse vertrug und einen allergischen Schock bekam). Dann wurde der Stil des White Trash von Irland in den Wilden Westen gebeamt – mit dem alten Inventar und Accessoires eines China-Restaurants, aber (abgesehen von mir) ganz neuem Publikum.

Wilder Westen. Das Inventar war eine bunte Mischung aus Irish Pub, China-Restaurant und US-Fast-Food-Laden.
Wilder Westen. Das Inventar war eine bunte Mischung aus Irish Pub, China-Restaurant und US-Fast-Food-Laden.

© imago stock&people

Und so saß ich hier mit einer nicht entfernten Bekannten und lauschte zum ersten Mal David Rose, einer schmächtigen jungen hellstimmigen Frank-Sinatra-Inkarnation aus Berlin; er sang mit zarter Zunge von der Liebe. An diesem Abend entdeckte ich das Swing Dance Orchester von Andrej Hermlin, das inzwischen regelmäßig große Säle begeistert, in einem zusammengerumpelten Raum voller Pommes, Rauch und Neugier. Und ich verliebte mich ins untere Ende der Schönhauser Allee. Und in den Swing. Robert Ide

Tatoo auf dem Hintern und Fiebern mit Obama

Das war einmal: Das White Trash in Prenzlauer Berg.
Das war einmal: Das White Trash in Prenzlauer Berg.

© Thilo Rückeis

Dominik Bardow und Moritz Honert erinnern sich an George-Bush-Fans und Obama-Verehrer.

Freigetränke für ein Tatoo auf dem Hintern

Das White Trash ist ja schon mal umgezogen. Als es noch versteckt in der Torstraße lag, hörte mein Freundeskreis: Wer sich dort „White Trash“ auf den Hintern tätowieren lasse, bekomme samt Anhang den ganzen Abend Freigetränke. Joe fing sofort Feuer, wir machten uns auf den Weg. Joe nannten wir eigentlich G.I. Joe: Ex-Fallschirmjäger der US-Army, volltätowiert, Fan von George W. Bush, maßloser Kiffer, manischer Schuhpolierer. Tattoo und Laden waren wie gemacht für ihn. Doch als wir in das umfunktionierte Chinarestaurant kamen, war der Tätowierer nicht da. Wir tranken trotzdem und aßen Burger, die auch im Irish Pub an der Schönhauser klasse blieben, auch wenn die aus der Torstraße mitgebrachte China-Deko dort etwas deplatziert wirkte.

Bei einem romantischen Dinner mit meiner Freundin, begleitet von einer Punkrockkapelle, aß ich einen grandiosen Octopus-Burger, mir hingen Tentakel aus dem Mund. Joe schrieb mir später noch mal, als er Englischlehrer in China war, sich in einem Kampfsportcamp in Thailand das Knie zertrümmert hatte, er bat mich, ein Paket Marihuana weiterzuschicken, was ich nicht tat, und warnte, dass die CIA anrufen könnte für einen Background-Check, er hatte sich beworben. Wo immer du jetzt bist, G.I. Joe: Ich hoffe, es steht „White Trash“ auf deinem Hintern. Dominik Bardow

Fiebern mit Obama

Es war 2008 und Obama war Jesus. Es war die Nacht der US-Wahl: Barack Obama gegen John McCain, Schwarz gegen Weiß, Gut gegen Böse. Hope! Drohnen? Todeslisten? NSA-Skandal? Alles weit weg, damals an jenem aufgekratzten Novembermorgen im White Trash, der inoffiziellen US-Botschaft Berlins. Im Kellerkino wurde auf der Leinwand George W. Bush erschossen, auf den Fernsehern im Erdgeschoss flackerten Wahlanalysen, durch die Boxen wummerten Krawall- Countrysongs von DM Bob – und über mehr als ein Gesicht flossen Tränen, als klar war, wer das Rennen machen würde.

Alkoholgetränkter Überschwang, naive Glückseligkeit. Irgendwann, es muss so gegen fünf Uhr gewesen sein, köpfte Hausherr Wally Potts Champagnerflaschen. „Alles aufs Haus!“ Hope! Damals gab es sie noch. Moritz Honert

"Best sex ever" und ein intimes Konzert

Das war einmal: Das White Trash in Prenzlauer Berg.
Das war einmal: Das White Trash in Prenzlauer Berg.

© Thilo Rückeis

Ewa Dreweke erzählt von einem bestechenden Angebot, Katharina Langbehn von der wunderbaren Mischung aus Schweiß, Bier und Zigarettenrauch.

"Best sex ever"

Manche Geschichten, die im White Trash gespielt haben, sind schwer rekonstruierbar. Eines Abends haben mich Freunde „verkleidet“: Minirock, hohe Stiefel, enges Oberteil. So bin ich mit ihnen spätnachts ins White Trash marschiert, am legendären Inhaber vorbei, mit dem wir auch diverse Gespräche führten. Es war schon früher Morgen, als mich ein Typ zu überzeugen versuchte, mit ihm nach Hause zu gehen. „You will get the best sex ever“ lautete sein Argument, über das ich nachdachte. Ich ging dann doch gegen 6 Uhr morgens allein nach Hause. Eva Dreweke

Das intimste Konzert meines Lebens

Die Band „Papa Roach“ ist eine Jugendsünde. Viele Jahre später bescherten mir die zutätowierten Jungs das intimste Konzert meines Lebens. Die Bühne war nur minimal erhöht, es gab keine Absperrung: Kuschelrock in Reinform. Wie damals 300 Leute in den Keller des White Trash passten, ist mir bis heute unklar. Innerhalb weniger Minuten tropfte Schweiß von der Decke.

Wilder Westen. Das Inventar war eine bunte Mischung aus Irish Pub, China-Restaurant und US-Fast-Food-Laden.
Wilder Westen. Das Inventar war eine bunte Mischung aus Irish Pub, China-Restaurant und US-Fast-Food-Laden.

© imago stock&people

Als Jacoby Shaddix, der Sänger, sich beim Stagediving- Versuch an der niedrigen Decke den Kopf stieß, rastete das Publikum aus: Der Keller wurde zu einem riesigen Moshpit. Noch Wochen später konnte mein gesamter Körper in Form von blauen Flecken Geschichten davon erzählen. Die Mischung aus Schweiß, Bier und Zigarettenrauch dieses Abends macht für mich immer noch den besten Geruchscocktail meines Lebens aus. Auf Tuchfühlung mit den Helden meiner Jugend. Danke, White Trash! Katharina Langbehn

BH-Diskussionen und der Anfang vom Ende

Das war einmal: Das White Trash in Prenzlauer Berg.
Das war einmal: Das White Trash in Prenzlauer Berg.

© Thilo Rückeis

Martha Engel berichtet von Mädchen-Gesprächen nach mehreren Gin Tonics und Esther Kobelbom vom Versuch ihre Mutter vom "White Trash" zu überzeugen.

BH-Diskussionen

Drei Mädels, mehrere Gin Tonics. Die Stimmung war gut, die Gespräche drehten sich schnell um Schlüpfriges. Auch übers BH-Tragen wurde diskutiert. Kurze Zeit später wurden gegenseitig die Brüste „getestet“; in einer Ecke neben der Bar. Nicht genau zu klären ist, ob sich aufgrund dessen oder einfach nur so kurz darauf zwei Typen zu uns gesellten. Natürlich durften sie nicht mittesten. Trotzdem endete Stunden später die Nacht für eine der drei Frauen nicht im eigenen Bett. Martha Engel

Der Anfang vom Ende

Fünf Jahre lang versuchte ich, meine Mutter – eine Kennerin des rheinischen Sauerbratens und auch guten Pommes nicht abgeneigt – zu einem Besuch des White Trash zu bewegen. Einmal hatte ich es fast geschafft. Doch zwischen Tür und Angel machte sie einen Rückzieher: „In diese Spelunke geh’ ich nicht.“ – „Aber der Sauerbraten ist wirklich gut!“ – "Nur über meine Leiche."

Vor sechs Wochen probierte ich erneut, sie zu überzeugen. Mittags, in der Hoffnung, statt Thrash Metal würde vielleicht Elvis gespielt. Diesmal klappte es. Meine Mutter umklammerte ihre Handtasche. „Du wirst sehen“, rief ich im Brustton der Überzeugung, „das Essen ist einfach großartig!“ Wie oft hatte ich hier amerikanisches Comfort-Food genossen!

Eine qualvolle halbe Stunde später stand ein Teller mit lauwarmen, supersalzigen, steinharten Fuck-you-Fries, deren Ränder weißlich angelaufen waren, auf dem dreckigen Tisch. Der Veggie-Burger schmeckte wie ein Stück Packpapier. Meine Mutter guckte vorwurfsvoll. Beim Rausgehen sah ich: Das White Trash verkauft jetzt Fan-T-Shirts. Der Anfang vom Ende. Esther Kogelboom

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