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Immer dabei. Jonny K. mit der typischen Schirmmütze als Schattenspiel: Jugendliche der Tanzgruppe Team Recycled haben das Musical „I am Jonny“ einstudiert.

© Mike Wolff

Berliner Musical zum Tod auf dem Alex: Wir sind alle Jonny K.

Seit ihr Bruder auf dem Alexanderplatz in Berlin bei einem Streit unter Jugendlichen starb, engagiert sich Tina K. gegen Gewalt. Nun bringt sie mit einer Tanzgruppe ein Musical auf die Bühne – ein Probenbesuch.

Tina K. hält im Gespräch kurz inne. „Was ich mir wünsche?“ Und dann sagt sie einen kleinen Satz, der den Tod ihres Bruders und ihren Schmerz und die beiden Jahre seither umfasst, still und aufrichtig.

Oktober 2012, Alexanderplatz: Eine Auseinandersetzung unter Berliner Jugendlichen eskaliert. Der 20-jährige Jonny K. geht dazwischen, um zu schlichten, und liegt kurz darauf selbst am Boden, von den Tritten gegen den Kopf so schwer verletzt, dass er wenig später stirbt. Seit einem Jahr erinnert eine in den Gehweg der Rathausstraße eingelassene Gedenkplatte an den Gewaltexzess, der bundesweit Erschütterung auslöste.

Tina K. wirft sich heute noch vor, dass sie in jener Nacht nicht dabei war. „Dann wäre es nicht passiert.“ Der Tod ihres Bruders wurde zu einem radikalen Wendepunkt ihres Lebens. Sie ging mit ihrem Schmerz, auch ihrer Wut und Verzweiflung nach draußen. „Das wollte ich nicht hinnehmen. Das darf nicht sein, dass unsere Gesellschaft so verroht.“ Sie hat die Stiftung „I am Jonny“ gegründet und wirbt in Schulen für Zivilcourage und Gewaltprävention.

Doch ihr ist ebenso wichtig, dass ihr Bruder nicht nur ein Opfer bleibt, „der, den sie am Alex totgeprügelt haben“. Jonny war ein ganz gewöhnlicher Berliner Jugendlicher, er hat Hip-Hop gehört, Breakdance probiert, Basketball gespielt. Das Zocken auf der Playstation war ihm wichtiger als die Schule, und das gab Stress mit ihr, die sich verantwortlich fühlte, weil sie acht Jahre älter war.

Einmalige Aufführung

Aus diesen Lebensstationen hat die Tanzlehrerin Lisa Kühn das Musical „I am Jonny“ geschrieben, das sie auch selbst inszeniert. Jeff Jiminez und seine Tanzgruppe Team Recycled sowie eine Vielzahl von befreundeten Musikern bringen es auf die große Bühne des Stage Theaters am Potsdamer Platz. Es wird eine einmalige Aufführung, von vielen gefördert und gesponsert. Der Reingewinn fließt an die Stiftung. Es ist ein Geschenk für Jonny zu seinem 23. Geburtstag und eine Erinnerung an ihn für die vielen, die ihn kannten und schätzten. Jocelyn B. Smith wird da sein. Peter Freudenthaler von Fools Garden wird kommen und Lemon Tree spielen, Jonnys Lieblingslied beim Karaoke.

Jonny wird in seinen Lebensetappen von sieben Protagonisten verkörpert. Einer von ihnen ist Niklas, zwölf Jahre alt, Schüler aus Wandlitz und Hip-Hop-Tänzer, seit er sechs war. Als seine Lehrerin Lisa von der Eastside Funcrew ihn fragte, ob er Jonny spielen möchte, hat er sofort zugesagt. Er findet den Einsatz von Tina K. mutig und stark. „Sie ist eine richtig gute Schwester“, sagt er mit Brandenburger Nüchternheit. Niklas kennt selbst Situationen, die heikel sind. Manchmal fährt er mit seinen Jungs zum Alexanderplatz, um dort zu tanzen. „Da sind auch schon größere Jugendliche gekommen und haben gesagt: Das ist unser Revier, haut ab! Wir haben unser Zeug genommen und sind gegangen. War nicht so schön.“

Tina K., Schwester des getöteten Jonny K., mit der Tanzlehrerin Lisa Kühn.
Tina K., Schwester des getöteten Jonny K., mit der Tanzlehrerin Lisa Kühn.

© Mike Wolff

Vertraute Situationen

Die meisten Jugendlichen in dieser Stadt kennen ähnliche Situationen. Angepöbelt werden, vertrieben, gemobbt, abgezogen, verprügelt, getreten, für viele ist das eine stete Möglichkeit. Jeder Abend kann in einem Desaster enden, jede Rangelei kann eskalieren, gerade wenn Alkohol oder sonstige Drogen den hochschießenden Aggressionen freien Lauf lassen. Tina K. hört solche Geschichten regelmäßig, wenn sie Schulen besucht. „Jonny K., das kann jeder von uns sein.“ Es sind Geschichten, von denen Eltern und Lehrer oft nichts ahnen, weil die Kinder und Jugendlichen meinen, damit allein fertig werden zu müssen.

Auch für diese Jugendlichen soll das Musical ein klares Zeichen sein: Du bist nicht allein. Wir gehören zusammen, wir helfen einander. Dieser Gemeinschaftsgeist ist auch während der Proben deutlich spürbar. Berliner Jugendliche aus 15 Nationen sind dabei. Die verschiedenen asiatischen Communitys der Stadt finden hier zusammen: Thais, Philippiner, Koreaner: „Wir Asiaten kennen uns alle.“ Das Ensemble ist für Tina mittlerweile zu ihrer zweiten Familie geworden.

Extreme Erfahrung

Für die beteiligten Tänzer, Schauspieler, Musiker ist die Erarbeitung dieses Musicals eine intensive emotionale Erfahrung. Als sie die Alexanderplatz-Szene einstudiert haben, kam Jonnys bester Freund zur Probe und erzählte, wie es in jener Nacht war, als Jonny niedergeschlagen und getreten wurde. In dem Moment war es im Ensemble totenstill.

Tina K. ist dankbar, dass dieses Stück entstanden ist, in dem ihr Bruder noch einmal lebendig wird für ein großes Publikum. In einer Szene etwa lümmeln Jonny K. und seine Freunde auf einer Couch herum, so wie alle Berliner Jugendlichen chillen und sich von den Anstrengungen der Pubertät erholen. Der Fernseher läuft, sie blödeln herum, sie sind jung und kraftvoll, und es ist einer dieser Nachmittage, an denen das Leben einfach großartig ist. „Diese Szene ist so sehr Jonny“, ruft Tina aus der ersten Reihe, „ich liebe diese Szene!“ In diesem Moment ist Jonny spürbar anwesend, einer von ihnen, einer von uns.

„Was ich mir wünsche“, sagt Tina K. schließlich, „mit meiner Arbeit in den Schulen und jetzt mit diesem Musical, ist ganz einfach, dass wir die Menschen um uns herum mit Liebe erfüllen.“

I am Jonny. Das Musical, Montag, 13. April, 20 Uhr, Stage Theater am Potsdamer Platz, Marlene-Dietrich-Platz 1. Karten ab 20,90 Euro. www.iamjonny.de.

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