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Ein Leben mit Jazz. Drei der sieben Gründungsmitglieder von Horst Henschels Band Stray Dogs leben nicht mehr. Am Samstag wird das 60. Bandjubiläum gefeiert.

© Nico Schmidt

Berliner Musikgeschichte: Ein Leben im Hier und Jazz

Horst "Papa" Henschel jazzt seit 60 Jahren mit seinen "Salty Dogs". Louis Armstrong traf er in Schöneberg.

Als Jazz exotisch und es abends in Berlin kalt ist, sitzt Horst Henschel auf einer Heizung im Amerikahaus. Seine Freunde und er blättern in Jazzbüchern. Den Winter 1947 verbringen sie damit, die Namen der Musiker abzuschreiben. Benny Goodman, Louis Armstrong, King Oliver. Heute sind sie tot und Henschel spielt noch immer.

Bevor er das erste Instrument in die Hand nimmt, legt Henschel samstags Ziegelsteine auf den Herd. Um ein Uhr klingelt sein Wecker, er nimmt die heißen Steine, stellt seine Füße drauf, rollt sich in eine Decke und schaltet das Radio ein. Jazz-Almanach. „Ich saugte die Materie auf.“ Eine Stunde, ein Künstler.

Ein Konzert vor Louis Armstrong

Henschel, geboren 1929, beendet die Schule und beginnt, sich zum Elektromaschinenbauer ausbilden zu lassen. Am Hackeschen Markt kauft er ein Kornett. 450 Mark. Und lernt, zu trompeten.

In einer Kreuzberger Eckkneipe, Solmsstraße Ecke Riemannstraße, üben Henschel und seine Freunde. Kornett, Trompete, Posaune, Klarinette, Banjo, Bass und Piano. Fragt jemand, wie sie heißen, antworten sie erst New Berlin Rythm Kings, dann New Orleans Jazz Band.

Im Oktober 1952 kommt ein Mann nach Berlin, den Henschel nur aus den Büchern kennt. Louis Armstrong spielt erst im Steglitzer Titania-Palast und sitzt später in einem Kellerlokal bei einer Jamsession. Sein Manager verbietet ihm, mitzuspielen. Also steht Henschel auf der Bühne. „Ein wahnsinniges Gefühl“. In seiner Tasche hat er eine Karte, ein Foto von Armstrongs Band. Sein Held signiert.

Mittags Vorlesung, abends Konzert

Andere Amerikaner kommen selten in die Clubs, in denen Henschel spielt. Dafür kommt er zu den Amerikanern. Im Officer’s Club neben dem Tempelhofer Flugfeld trinkt er seinen ersten Whiskey. Tagsüber sitzt Henschel in Vorlesungen und Seminaren. Er liest Texte über Gleichstrom und Wechselstrom. Abends ist er in der Kajüte, einem Kellerlokal. Donnerstag für Donnerstag spielt die New Orleans Jazz Band, 20 Uhr bis Mitternacht. Draußen stehen Jugendliche an.

Das Jahr 1954 ist keinen Tag alt, als ein Konzertankündigung Henschels Leben ändert. Ohne das jemand fragt, wird er darauf als „Papa“ gelistet. Der Spitzname vieler berühmter Trompeter. „Das macht mich unglücklich.“ Warum? „Ich war Anfang 20. Wenn ich mit einem Mädchen sprach, kamen Freunde und riefen, ’Papa, wir müssen spielen.’“ Das Mädchen ging, der Name blieb.

Als Damenkapelle an der Freien Universität

Dann, im Herbst 1955, trifft Henschel einen Mann. Der fragt, kommt ihr nach München? Vier Wochen, 750 Mark. Sechs Abende spielen, einen frei. Henschel sagt ja. Er und vier Musiker steigen ins Auto. In dem Schwabinger Jazzklub hängt eine Spiegelkugel über der Bühne, davor schwitzen die Menschen. Die Besitzer fragen, wollt ihr bleiben? Erst nach sieben Monaten fährt Henschel zurück an die Spree.

Aus der New Orleans Jazz Band werden im Mai 1956 die Salty Dogs. Und die rücken wie der Jazz vom Rand in die Mitte der West-Berliner Gesellschaft. Sie spielen auf Schulbällen und in der Freien Universität. Henschel und die Musiker verkleiden sich als Damenkapelle, tragen Perücken und Strumpfhosen.

Henschel will spielen - weiter und weiter

Zwischen damals und heute liegen 60 Jahre. Der 86-jährige Henschel sitzt am Tisch seiner Tempelhofer Wohnung, schiebt Fotos in das Album, das vor ihm liegt. Drei der sieben Salty-Dogs-Gründer sind tot.

„Wenn ich heute einmal pro Woche auftrete, muss ich Ansatzübungen machen.“ Das Alter eben. Später will er noch üben, denn vor ihm liegt ein wichtiges Wochenende. Samstag feiert die Band Geburtstag (Die Eins, Wilhelmstraße 67a, ab 19 Uhr). Danach? Henschel will spielen – weiter und weiter.

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