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Berlin: Berliner Nachrufe: Gabriele Kasten, Geb. 1938

Mit feinen Linien hat die Zeit ihr Güte und Entschlossenheit ins Gesicht geschrieben. Die Augen blicken offen und etwas schelmisch in die Welt.

Mit feinen Linien hat die Zeit ihr Güte und Entschlossenheit ins Gesicht geschrieben. Die Augen blicken offen und etwas schelmisch in die Welt. Das graumelierte Haar ist kurz. Sie trägt Hose und sportliches Karohemd. Als dieses Foto von Gabriele Kasten vor wenigen Jahren entstand, wußte sie bereits, dass sie unheilbar krebskrank war. Nur kurz war die Phase gewesen, in der die Verzweiflung sie packte; in der auch sie fragte: Warum? Warum ich?

Doch sehr bald, so erinnert sich ihre Freundin Monika Dann, wurde das Sterben für sie zur Aufgabe. "Sie hat den Tod angenommen und eingeplant in das Leben. Jeden Tag hat sie versucht zu sehen, was schön daran war, und auch was schwer war." Die Stärke, mit der sie es schaffte, die Tragik ihrer letzten Jahre anzunehmen, hat auch die Schwestern im St. Josefsheim in der Pappelallee beeindruckt.

Hierher zog sich die 62-Jährige zwei Monate vor ihrem Tod zurück. In ihrer Wohnung in der Varnhagener Straße (Prenzlauer Berg), in der sie seit 1947 gelebt hatte, konnte sie nicht mehr alleine leben. Eine bewußte Wahl und zugleich eine Heimkehr, denn in dem von Karmelittinnen geleiteten Heim verbrachte sie bereits die ersten Jahre ihrer Kindheit. Ihre aus Breslau stammenden Tanten zogen sie groß. Auf sich selbst gestellt war sie schon damals und blieb es - eine eigene Familie hatte sie nicht - bis zum Schluss.

Statt dessen knüpfte sie seit ihrer Jugendzeit ein weitreichendes Netz von Freunden und Bekannten, das weit über den eingeschränkten Horizont eines DDR-Bürgers hinausreichte. Neugier und ihr Interesse an Menschen, der Politik und praktische Nächstenliebe trieben sie an. Der Glaube war für die bekennende Katholikin bis zum Schluss eine starke Kraft in ihrem Leben. Dabei behinderte ihre christliche Haltung sie beruflich - sie arbeitete lange im Außenhandel der DDR. Ihre Zugehörigkeit zur Kirche war aber zugleich auch eine Nische, in der sie sich einrichten konnte. Als Gabriele Kasten 1978 als Öffentlichkeitsreferentin des Caritasverbandes in den kirchlichen Dienst eintrat und für den Kurt-Huber-Kreis, einen katholischen Akademikerkreis aktiv wurde, öffnete diese Tätigkeit ihr Wege und Möglichkeiten zum Austausch mit Menschen jenseits der DDR.

Sie organisierte mit großer Akribie und Sorgfalt Treffen, Tagungen und Reisen, hatte Zugang zu westlichen Zeitungen und Literatur. Gabriele Kasten war in diesem Sinne privilegiert und gleichzeitig beschränkt im aktiven Christentum.

Ihre tiefe Religiosität, enorme Selbstdisziplin und eine Kraft, die viele verwunderte, halfen ihr auch auf dem letzten Weg. Einem Weg, den die 62-Jährige bis ins sprichwörtlich allerletzte Detail selbst bestimmte. Ihre Freundin Monika Dann sagt: "Mich hat es zunächst irritiert, als sie mich Wochen vor ihrem Tod bat, ihre Wohnung aufzulösen, mir sagte, wem ich welches Buch oder Bild geben möchte. Doch ich habe mich eines Besseren belehren lassen." Die Freude der anderen über die Geschenke haben ihr Kraft gegeben, haben ihr geholfen, loszulassen. "Wenn man totkrank ist, und einem alles genommen ist an Selbstbestimmung, wird auch die kleinste Möglichkeit zu entscheiden wichtig. Es war ein Akt der Würde für sie, sagen zu können, was mit ihren Sachen geschieht."

Besuche wollte Gabriele Kasten schließlich nicht mehr. Nur noch drei Menschen wollte sie sehen. Eine davon war Monika Dann. Über Briefe und das Telefon hielt sie ihre vielfältigen Kontakte aufrecht, solange es noch ging. Mancher Freund hat das nicht sofort verstanden. Viele boten ihre Hilfe an, doch die Sterbende lehnte ab. "Was sollen sie mir sagen?" lautete ihre Rückantwort. "Wie sollen sie mir helfen?"

Sie wollte kein Mitleid, auch keine Verlegenheit am Krankenbett. Trotz fortgeschrittener Krankheit blieben ihr geistige Freiheit und Entscheidungswille jedoch bis zum Schluss erhalten. Noch drei Tage vor ihrem Tod entschied sie mit großer Klarheit, wie die Beerdigung ablaufen, das Requiem gestaltet werden soll. Besonders wichtig war ihr, dass im Anschluß ein Treffen aller Freunde und Bekannte stattfinden sollte. Mehr als 250 Menschen versammelten sich am Grab. Folgendes Gedicht von dem Schriftsteller Walter Flex gab Monika Dann ihnen allen als Aufforderung mit auf den Weg.

"Gebt euren Toten Heimrecht, ihr Lebendigen, daß wir unter euch wohnen und weilen dürfen in dunklen und hellen Stunden. Weint uns nicht nach, daß jeder Freund sich scheuen muß, von uns zu reden! Macht, daß die Freunde ein Herz fassen, von uns zu plaudern und zu lachen. Gebt uns Heimrecht, wie wirs im Leben genossen haben!

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