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Jürgen Hilbrecht ist der dienstälteste "Hauptmann von Köpenick".

© Mike Wolff

Berliner Original "zu militaristisch": Hauptmann von Köpenick wird kein Kulturerbe

Die CDU wollte den Hauptmann auf die Unesco-Liste des Kulturerbes setzen. Doch der Senat lehnt ab: Der Hochstapler sei nicht zur Identifikation geeignet.

Jeden Samstag um 11 Uhr lebt im Hof des Köpenicker Rathauses das alte Preußen wieder auf. Der Schustergeselle Wilhelm Voigt, gespielt vom Schauspieler Benno Radke, besorgt sich beim Trödler Uniform und Pickelhaube, kapert einen Trupp Soldaten, lässt den Bürgermeister festsetzen und bemächtigt sich der Stadtkasse. Das szenische Spiel, angereichert mit Berliner Mutterwitz und spontanem Klamauk, dauert 30 Minuten und lockt bis zu 120 Besucher an. Die Köpenickiade, so der Fachbegriff für den Coup aus dem Jahr 1906, gilt als Top-Attraktion des Köpenicker Regional-Tourismus.

Der Hauptmann von Köpenick gehört zur deutschen Gesellschafts- und Kulturgeschichte, ein pädagogisch wertvoller Erzählstoff, durch die Theaterfassung von Carl Zuckmayer und den Film mit Heinz Rühmann zu nationalem Ruhm gelangt. Seit 2000 wird das Schauspiel am historischen Tatort ein bis zwei Mal die Woche aufgeführt, inzwischen gibt es einen Verein, die Hauptmann-Garde, der sich um den Nachwuchs und passende Uniformen kümmert. Die Soldaten arbeiten ehrenamtlich, bekommen nur ein Handgeld aus der Spendenbüchse, die von den Touristen gefüllt wird.

Benno Radke spielt den Hauptmann jeden Samstag auf dem Hof des Köpenicker Rathauses. Neben ihm der Köpenicker Bürgermeister alias Albrecht Hoffmann, besser bekannt als Heinrich Zille.
Benno Radke spielt den Hauptmann jeden Samstag auf dem Hof des Köpenicker Rathauses. Neben ihm der Köpenicker Bürgermeister alias Albrecht Hoffmann, besser bekannt als Heinrich Zille.

© Thomas Loy

Vor der Köpenickiade muss sich die Truppe erstmal stärken.
Vor der Köpenickiade muss sich die Truppe erstmal stärken.

© Thomas Loy

Auf jeder größeren öffentlichen Feier in Köpenick tritt der Hauptmann auf und begrüßt die Gäste. Meistens übernimmt der Volksschauspieler Jürgen Hilbrecht diese Hauptmann-Termine. Da kann man schon mal auf die Idee kommen, die Hauptmann-Story der Unesco-Kommission anzudienen, um sie als „nationales immaterielles Kulturerbe“ würdigen zu lassen. Das kostet nicht viel mehr als ein paar Unterschriften.

Der Antrag wurde vom CDU-Bundestagskandidaten Niels Korte und der Staatsministerin für Kultur Monika Grütters im vergangenen Jahr werbewirksam auf den Weg gebracht, danach geriet er in Vergessenheit. Korte schaffte nicht den Sprung in den Bundestag, und Grütters war mit den Querelen in ihrer Partei beschäftigt.

Weltkulturerbe? Haben wir hier nicht

Im September fiel dem SPD-Abgeordneten Robert Schaddach, zugleich Vorsitzender des Tourismusvereins, die Sache mit dem Hauptmann-Kulturerbe wieder ein. Er stellte eine Anfrage an die Verwaltung von Kultursenator Klaus Lederer (Linke), machte jedoch einen kleinen Formfehler. Er sprach nicht von nationalem Kulturerbe, sondern wollte wissen, ob der Verwaltung ein „Antrag zum Weltkulturerbe“ bekannt sei und ob sie diesen unterstütze. Staatssekretär Gerry Woop antwortete zweimal mit einem schlichten „Nein“.

Diese Antwort ist absolut korrekt und gleichzeitig falsch. Denn bereits im Mai war ein ablehnender Bescheid aus dem Hause Lederers an den Treptow-Köpenicker CDU-Verordneten Dustin Hoffmann ergangen, der dem Verein „Kulturerbe Köpenicker Hauptmann-Geschichte“ vorsitzt. Darin erklärt die Kulturverwaltung, die Köpenickiade sei ein „historisches Ereignis aus dem Jahr 1906 und selbst keine kulturelle Ausdrucksform im Sinne des Unesco-Übereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes“. Und: „Da die Köpenickiade mit dem deutschen Kaiserreich und dem preußischen Militarismus verbunden und nicht mehr zur Identifikation geeignet ist, ist fraglich, ob und welche Bedeutung sie in unserer heutigen Gesellschaft noch hat bzw. haben könnte.“

Identifikationsfigur für die Köpenicker

Für die CDU ist das eine Fehlinterpretation der Ereignisse samt ihrer Rezeptionsgeschichte. Der Hauptmann von Köpenick parodiere doch gerade den Militarismus und die Obrigkeitshörigkeit, erklärt Hoffmann. Die Hauptmann-Geschichte könne „eine gesunde Skepsis“ gegenüber Führungspersönlichkeiten befördern, selbst in der Bundeswehr. Außerdem sei der Hauptmann eine Identifikationsfigur für die Köpenicker, ähnlich wie der Rattenfänger von Hameln. Der steht übrigens seit 2014 auf der Liste des immaterielles Kulturerbes.

Die Hauptmann-Geschichte lockt Touristen in die Köpenicker Altstadt, bis zu vier Busse kommen pro Aufführung, erzählt Garde-Vorsteher Georg Stieler. Damit passiert genau das, was sich Rot-Rot-Grün in seinem aktuellen Tourismuskonzept zum Ziel gesetzt hat: Die bessere Einbindung der Außenbezirke. Dass der Hauptmann nicht auf die Kulturerbe-Liste gesetzt werde, sei „bedauerlich für Köpenick“, sagt Stieler.

Es fehlt an Nachwuchsarbeit

Am Scheitern des Antrags trifft aber auch die CDU eine Mitschuld. Der Antrag war wohl etwas schluderig, von Rechtschreibfehlern ist die Rede. Außerdem bemängelt die Kulturverwaltung inhaltliche Lücken, es fehlten Hinweise auf die „Nachwuchsarbeit“ und den „Prozess der Weitergabe“ dieses Kulturerbes.

Das ist die Achillesferse des Köpenicker Hauptmannwesens. Darsteller Jürgen Hilbrecht ist inzwischen 75 und die Hauptmann-Garde stand im vergangenen Jahr kurzzeitig vor dem Aus, weil man sich zerstritten hatte. Kulturstadträtin Cornelia Flader (CDU) will jetzt eine „Zukunftswerkstatt Hauptmann“ einrichten, um der Tradition eine sichere Basis zu verschaffen. Vielleicht versucht man es in ein paar Jahren dann nochmal mit einem Unesco-Antrag.

Die Senatsverwaltung für Kultur ist bei einer Bewerbung aber nur die erste Hürde (siehe weiter unten). Wer sich das Köpenicker Kulturerbe auch ohne Unesco-Titel anschauen möchte: Nächsten Samstag ist die letzte Vorstellung vor der Winterpause.

Der lange Weg zum Unesco-Eintrag

Neben den Baudenkmälern führt die Unesco auch Listen des immateriellen Erbes. Im Unesco-Verzeichnis des „nationalen immateriellen Kulturerbes“ befinden sich derzeit 72 Kulturformen sowie sieben Programme zur Erhaltung des Kulturerbes. Darunter das Sternsingen, der Rheinische Karneval, die Passionsspiele Oberammergau, das Köhlerhandwerk und das Hebammenwesen.

Berliner Beiträge sind bislang eher selten, darunter die Porzellanmalerei der KPM-Manufaktur. Das Aufnahmeverfahren ist mehrstufig. Vereine oder Initiativen machen Vorschläge und stellen im jeweiligen Bundesland Anträge. Die Länder können bis zu vier Bewerbungen bei der deutschen Unesco-Kommission einreichen – die nächste Auswahlrunde findet voraussichtlich von April bis Oktober 2019 statt. Die Unesco-Kommission schickt ihre Favoriten wiederum zur Bestätigung durch die Kultusministerkonferenz (KMK) und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.

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