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Christian Schwägerl begleitete schon als Kind seinen Vater regelmäßig in den Wald.

© Verena Eidel

Berliner Originale: Der Vogelbeobachter vom Urbanhafen

Christian Schwägerl hört Vögeln zu. Besonders freut er sich, wenn er eine unbekannte Stimme vernimmt.

Frühes Aufstehen lohnt sich. Und zwar jedes Mal, versichert Christian Schwägerl. Denn wenn man im allerersten Morgenlicht hinaus geht, betritt man eine andere Welt. Die Welt der Vögel. Ihr Leben entzieht sich im Grunde unserer Vorstellungskraft, das Leben auf den Bäumen, unter den Dachfirsten, das Emporschwingen, das Segeln mit dem Wind. Es bleibt unerreichbar für uns. Aber hin und wieder gibt es eine Begegnung – ein übermütiges Tirilieren, das uns inne halten lässt, ein schönes Gefieder, das uns in Staunen versetzt.

„Man muss sich die Stadt als eine Art Klippenlandschaft vorstellen“, erklärt der Biologe, „eine perfekte Landschaft für Vögel eben“. Und genau das ist es auch, was Christian Schwägerl besonders fasziniert – das Zusammenleben der Tiere mit den Menschen, die Anpassung der Tiere in der Stadt und die Einnahme dieses neuen Lebensraumes. Zum Beispiel der Spatz.

Der Umweltjournalist zeigt auf ein paar kleine braun-graue Vögel im Gebüsch am Wegesrand. Was die meisten nämlich gar nicht wissen: Der Spatz gilt neuerdings als bedrohte Vogelart. Auf dem Land oder in anderen Städten werden die Spatzen immer weniger. Hier in Berlin haben sie aber beinahe jede Scheu abgelegt, so der Vogelexperte. „Sie haben sich mit uns verbündet.“ Viele Ornithologen seien ja vor allem auf der Jagd nach den ganz außergewöhnlichen und seltenen Vogelarten. Aber, so Christian Schwägerl, die Vögel, die uns Tag für Tag begleiten, die sind die eigentliche Entdeckung: Sie zeigen uns, dass man es als Tier mit uns aushalten kann. „Und das ist sehr tröstlich. Denn ohne Tiere könnten wir ja nicht überleben.“

Am Ufer des Urbanhafens

Wenn Christian Schwägerl am Ufer des Urbanhafens steht und vom Vogelleben in der Stadt erzählt, dann passiert es immer wieder, dass er sich selbst unterbricht. Mit teils freudigen und teils überraschten Ausrufen hält er dann inne und sagt zum Beispiel: „Da! Ein Grünfink!“ oder: „Das war ja ein Gartenbaumläufer!“

Auch wenn das teilweise ziemlich unhöflich sei, wenn er mitten im Gespräch einfach abbreche, gibt der 48-Jährige zu und hebt bedauernd die Schultern, abschalten könne er das nicht mehr. Und dann sucht er mit den Augen die Bäume ab, bis er den Zwischenrufer gefunden hat. Und das ist hier im Morgengrauen am Ufer eigentlich ununterbrochen der Fall: Da ist zum Beispiel der harte Schlag des Grünfinken, das Tuckern der Blässhühner im Wasser, das feine Pfeifen der Blaumeise, der eher metallisch klingende Ton der Kohlmeise... Man sagt ja, das Singen der Vögel erfülle vor allem den Sinn und Zweck, um Weibchen zu werben und Reviere zu verteidigen.

Aber, fügt Christian Schwägerl hinzu, ich bin mir sicher, dass Vögel auch aus purer Lebenslust singen. „Sie sind ja Lebewesen – warum sollten sie keine Freude an ihrem Dasein verspüren?“ Das leuchtet sofort ein, während man dabei zusieht, wie die knallrosa Streifen am Himmel langsam größer werden und in ein sattes orange übergehen.

Das Zuhören sei es, worauf es ankommt, erklärt er. Denn nur durch das Zuhören wird einem der Zutritt in die andere Welt ermöglicht. Es lässt einen achtsam werden. Man müsse sich allerdings selbst vollkommen zurücknehmen. Doch darin werde man – Vogel für Vogel – immer besser, versichert er.

Natur ist umsonst und immer da

Bei Christian Schwägerl begann es bereits als Kind. Er begleitete damals seinen Vater, einen leidenschaftlichen Jäger, regelmäßig in den Wald. Er merkte aber schon recht bald, dass das Töten und das blutige Ausnehmen der Tiere nicht sein Ding war. Also begann er während dieser Stunden in der Natur, aus dem Hintergrundgezwitscher nach und nach die unterschiedlichen Gesänge raus zu hören.

Und dabei ist er bis heute geblieben. „Man entdeckt eigentlich jedes Mal etwas Neues “, erklärt er, „und das beste ist: Es ist umsonst und immer da – nicht nur im Wald, sondern hier mitten in der Stadt, direkt vor der Haustüre.“ Besonders toll sei es dann, von einem Vogel überrascht zu werden, den man noch nicht kennt.

Aber die Vogelwelt kann uns noch viel mehr vermitteln. Und das möchte Christian Schwägerl auf seiner neuen Plattform zeigen. Flugbegleiter nennt sich eine Gruppe von Journalisten und Biologen, die auf www.riff-development.de zeigen, warum das Beobachten von Vögeln sehr wohl politisch sein kann, wenn nämlich Lebensräume mehr und mehr vom Menschen zerstört werden.

Die Flugbegleiter laden ein, sich auf die Vögel einzulassen – auch in ganz eigennützigem Interesse: Einem Rotkehlchen zu lauschen, kann uns nämlich in einer Zeit, in der wir als Medienkonsumenten ständig Gefahr laufen, unter einer immer verheerenderen Aufmerksamkeitsstörung zu leiden, wieder zu mehr Ruhe und Fokus verhelfen. Uns und unsere Umgebung einmal in einem größeren Zusammenhang wahr zu nehmen, kann da bereits helfen. Auch schon beim allerersten Spaziergang. Das frühe Aufstehen hat sich gelohnt.

Sein Lieblingsort in Berlin ist: Das Tempelhofer Feld.

Seine Begründung: „Jedes Mal, wenn ich dort bin, habe ich ein bisschen das Gefühl, an der Nordseeküste zu sein – ich fühle mich durchgespült und genieße die Weite. Und nicht nur ich: Auch der Steinschmätzer zum Beispiel findet hier eine simulierte Wildnis zum Brüten – wie es sie sonst nur im Gebirge oder in der Tundra gibt.“

Von den Autorinnen erschien bereits: „111 Berliner, die man kennenlernen sollte“ (Emons Verlag, 230 Seiten, 16,95 Euro). Nun begeben sich Lucia Jay von Seldeneck und Verena Eidel für uns auf die Suche nach noch mehr Berlinern. Bisher unter anderem erschienen: Lizzy Scharnofske, das lebende Schlagzeug - Andreas Zadonai, ein Bäcker der alten Schule - Sinan Simsek, der Buchhändler vom Kott - Daniel Roick, der Meister der spontanen Küche - Gudrun Schmidt, die Seifenmeisterin aus Friedrichshain.

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