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Willkommen. Reinhardt und Barbara Lebek an der Pforte ihres japanischen Gartens im Oberhofer Weg 44 in Lichterfelde.

© Thilo Rückeis

Berliner Pflanzen - Die Gartenserie (4): Am Ruhepol

Hinterm Zaun in Weiß und Schwarz herrscht Stille - auch fürs Auge. Rechte Winkel verleihen diesem Zengarten in Lichterfelde Struktur. Und europäische Gehölze tun so, als stammten sie aus Japan

Von Susanne Leimstoll

Der Garten macht es einem nicht leicht, lässt kein Schrittmaß zu, fordert Achtsamkeit bei jedem Tritt. Vom Kiesweg eine Stufe hinauf zum schmalen Pfad aus dunklem Holz, gehalten von weißen Pollern. Stehen bleiben, Hindernis ausmachen, Balance finden. Hinunter zum Rasen und hinüber – Vorsicht, Kante – zur Bodenskulptur. Beim Schritt um die alte Magnolie den Körper einmal nach rechts biegen, als sei man einer der Schilfhalme dort. Die schmale Stiege hinauf Richtung Dachgarten: festhalten, Drehung und statt Holz plötzlich ein nachgiebiger Pflanzenteppich unter den Füßen. Der Garten wirft einen auf sich selbst zurück, er provoziert einen Konflikt. Das Auge will wandern, all die hölzernen, steinernen, wuchernden Elemente erfassen oder sich entlanghangeln an der ordnenden Quadratur, den strukturierenden Linien, all den rechten Winkeln und ist doch gezwungen, sich auf die unmittelbare Nähe zu konzentrieren. Sich spüren, sich eingewöhnen, die Stille wirken, den Blick zur Ruhe kommen lassen. Der Verkehr jenseits des schwarz-weißen Zauns wirkt wie fernes Rauschen. Oberhofer Weg 44. Es gibt nicht eine Klingel mit Namen, es gibt zwei, an weißen Pfälen mit roter Kugel obenauf, links „Japanisches Haus“, rechts „Zen Garten“. Die linke ist für die Wohnung, die rechte hört man draußen. Reinhardt Lebek, 70, öffnet. Graues, fast kinnlanges Haar, Bärtchen, schwarz gerandete Brille und blickt einen mit Interesse an. Der Garten-Meister passt ins Gesamtkunstwerk – rotes Shirt, schwarze Bündchenhose, Birkenstock-Sandalen, schwarzer Schal mit Aufdruck „Black is back“. Ebenso Barbara Lebek mit rotem Zopf; er nennt sie „meine Muse“. Man könnte meinen, dies sei ein öffentliches Haus, ein Meditationszentrum, eine Kulturstätte.

Ein Platz für Künstler.

Ehe Reinhardt Lebek durch eine Krankheit für Jahre ausgebremst wurde, gab es hier wirklich Ausstellungen von Tuschmalerei, Workshops sogar. Und die Leute sagten: Wo? Na, im japanischen Haus. Nicht etwa: „Bei Lebeks“. Das soll bald wieder so sein. Reinhardt Lebek richtet sich noch ein wenig mehr auf und sagt, Brust raus: „Jetzt greifen wir wieder an.“ Ehe die Lebeks sich ihr Zen-Reich schufen, war er Bauleiter im Landschaftsbau und später, mit Frau Barbara, Florist mit eigenem Geschäft in Lichterfelde-West. Dessen zurückgenommene Blumen-Ästhetik wies bereits den Weg, was kommen sollte.

Ehe das Ehepaar sich 1983 für das Grundstück entschied, stand dort der Flachdachbungalow mit Maschendrahtzaun, das Gras kniehoch. Als der Kirschbaum weiß blühte, spross die Gartenidee. Lebek suchte fachliche Anleitung und fand bei Kiepert den Lageplan eines japanischen Mönchsgartens. Der blieb im Kopf. Das Garten-Puzzle wuchs, änderte über Jahrzehnte sein Gesicht. „Fertig ist nichts“, sagt der Hausherr. „Das ist ein Werk. Der Ist-Zustand ist das Fertige.“ Wo etwas zu Bruch geht, wird nicht restauriert. Lebek schafft in aller Ruhe Neues, seine Interpretation eines japanischen Gartens. Einen Raum, dessen Schlichtheit viel fürs Auge bietet – ganz ohne Blüten. Den europäischen Gehölzen verpasste er einen asiatischen Schnitt. Eibe, Efeu, Hainbuchhecke, Korkenzieherhasel, Magnolie spreizen die Äste über Leerräumen, geben Sichtachsen frei. Die Blautanne vorm Haus bedankt sich fürs Kappen des Wipfels, indem sie auf Dachhöhe ein ganzes Wäldchen austreibt. Die Hängebuche windet ihre Äste wie Schlangen durch die Stützen eines Pavillons. „Sie nimmt zur Kenntnis, dass da ein Dach ist“, sagt Reinhardt Lebek, als spreche er über ein sehr vertrautes Wesen.

Das Rechteck ist seine geometrische Form. Überall schaut man darauf oder hindurch: Spaliere, Pflanzkübel, Gartenskulpturen, Geländer. Die Füllung weiß, die Leisten fast schwarz. In der Gartenmitte sprießen, umgeben von schwarzem Schiefersplitt und großen Felsbrocken belaubte Stämmchen aus Ahornsämlingen ums Eck. „Seit Jahren beschäftige ich mich damit“, sagt der Zengärtner. „Ich halte sie künstlich kurz.“ Das getrimmte Totholz am Baum entstand vier Wochen zuvor. Dem Baumchirurgen im Wipfel hat er zugerufen, was weg muss. „Totholz“, sagt Reinhardt Lebek, „ist wie der Lauf des Lebens.“ Am Boden ziehen rote Kugeln aus Keramik oder Kunststoff wie glühende Punkte den Blick an und öffnen ihn dann für ihr Umfeld.

Geborgte Landschaften.

Der Zaun zum Nachbarn ist an zwei Stellen durchbrochen. Verschmitztes Lächeln: „Geborgte Landschaften“, sagt Lebek. Es gibt keinen Bruch, der Nachbar hat Manches übernommen. Wer vom Pavillon auf dem durch Fagus samtweich begrünten Dach hinüber blickt, sieht, dass sich der Pflanzteppich auf Nachbars Garage fortsetzt. Was hier noch werden soll? Vielleicht kleine Landschaften in Terrarien, deren Glas sich noch in einer Ecke stapelt. Oder ein klitzekleiner Teich in jener Vertiefung mitten im Garten. Es gibt noch keine Antwort. „Wenn man nicht weiß, wohin man will, kommt man am weitesten“, zitiert Reinhardt Lebek aus seinem Notizbuch, in dem er Weisheiten sammelt. Draußen, an der zweiten Pforte, ist das neueste Werk zu besichtigen. Ein über Eck angeordnetes Wortspiel mit dem Familiennamen, eine Aufforderung: ER LEBE KUNST. „Es geht ja noch weiter“, sagt Reinhardt Lebek. Und dann, aufmunternd: „Er-lebe!“

Klare Linien. Rechtecke und rote Kugeln als Blickfang strukturieren die Anlage. In der quadratischen Gartenskulptur werden selbst ausgesäte Ahornbäumchen kurz gehalten.
Klare Linien. Rechtecke und rote Kugeln als Blickfang strukturieren die Anlage. In der quadratischen Gartenskulptur werden selbst ausgesäte Ahornbäumchen kurz gehalten.

© Thilo Rückeis

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